Sisteron müsste man erfinden, gäbe es die Stadt nicht
Von Albrecht Künstle
Sisteron ist seit 1976 Partnerstadt meiner Heimatstadt Herbolzheim im Breisgau. Eine Partnerschaft nicht nur auf dem Papier, sondern ein gelebter Austausch unterschiedlicher „Menschenschläge“. Aber vereint im unbändigen Willen, nie wieder Krieg gegeneinander zu führen und aus den äußeren Gegebenheiten und dem Leben das Beste zu machen. Triebfeder sind nicht bezahlte Stadtoberhäupter, sondern ehrenamtliche Partnerschaftskomitees beider Städte. In Herbolzheim ist es „seit ewig“ ein Lehrer, der besser Baumstark statt Baumann heißen könnte. Im jährlichen Wechsel besuchen sich ein Bus voll Menschen einmal hier und einmal dort. Zusätzlich gibt es Treffen zwischen einer Handvoll Sportvereinen. Die Besuchsprogramme sind vollgepackt mit „offiziellen“ Begegnungen, besonders aber mit Begegnungen befreundeter Familien, bei denen auch jeweils diniert und übernachtet wird.
Sisteron ist eine südostfranzösische Kleinstadt mit knapp 8.000 Einwohnern im Département Alpes-de-Haute-Provence und trägt den Beinamen „Tor zur Provence“ (Porte de Provence). Sie ist eine wichtige Station an der Route Napoléon. Diese Perle Frankreichs lässt sich kaum mit Worten beschreiben, bei jedem Besuch eröffnet sich bisher Unentdecktes. Dieser kurze Reisebericht soll aber einen eher politischen Schwerpunkt haben.
Beim ersten Stopp oberhalb der Pont_de_la_Caille gleich hinter der schweizerischen Grenze zu Frankreich sprach ich den Fahrer an, der eine Kippa trug. Mitreisende der weiteren Partnerstadt Morawica (Polen) wunderten sich etwas: Ein weißbärtiger Holländer, der in Deutschland wohnt und sich hier als (guter) Busfahrer den Lebensunterhalt verdient. Aber nein, er war kein Jude, verwahrte er sich dagegen, sondern ein „rückkonvertierter“ Muslim. Eine Art Sekte, deren Mitglieder ebenfalls solche Kopfbedeckungen tragen. Auch in der Öffentlichkeit, nicht speziell in Synagogen und auf Friedhöfen wie es gemäßigte Juden tun. Er trat als Christ zum Islam über, weil Islam „Friede“ heiße, und deshalb auch unser Jesus Christus ein Muslim war, so seine Logik. Ich kannte diese gewagte These bereits, unterließ es aber zu fragen, warum ausgerechnet sein Muhammad alles andere als friedlich war. Dann ging es weiter über Grenoble auf die „Route Napoleon“ über einen Pass hinab gen Sisteron.
Schon von Weitem sticht die unverkennbare Zitadelle ins Auge mit der besonderen Lage und ihrer wechselvollen Geschichte. Wie wäre die Weltgeschichte wohl verlaufen, wäre Napoleon im Jahr 1815 auf dem Marsch nach Paris an diesem Nadelöhr der Alpen mit seinen tausend Mannen aufgehalten worden? Aber auch Herbolzheim durchzog eine Prominente: Marie-Antoinette im Jahr 1770 mit 350 Pferden, 235 Menschen und 57 Wagen. Jene spätere Königin ging leider zum falschen Friseur, den französischen Revolutionären. Diese schnitten ihre am 16. Oktober 1793 nicht nur die prächtige Frisur, sondern den ganzen Kopf ab.
Der Besuch dieser Zitadelle war ein Schwerpunkt des diesjährigen Besuches von Sisteron. Im Ersten Weltkrieg waren in der Zitadelle deutsche Kriegsgefangene inhaftiert, ihr Zeppelin war in der Gegend abgestürzt. Im Zweiten Weltkrieg gehörte Sisteron in der Zeit der deutschen Besetzung Frankreichs unter den Bedingungen des Waffenstillstands von Compiègne ab 22. Juni 1940 zum „unbesetzten Frankreich“, und wieder meinte es das Schicksal nicht gut…
Den höchsten Punkt der Zitadelle bildet eine große restaurierte Kapelle, die seit 1956 wie die übrige Zitadelle als Museum dient. Die Kapelle wurde im Zweiten Weltkrieg unnötig bombardiert und zu zwei Dritteln zerstört. Doch wer auf den erklärenden Tafeln danach sucht, wer das war, wird enttäuscht. Natürlich mussten das die Deutschen gewesen sein. Doch es verhielt sich etwas anders: In der Zitadelle war ein Internierungszentrum für sogenannte „unerwünschte“ französische, „politische“ und „Common Law“-Häftlinge eingerichtet. Das Lager Sisteron wurde zunächst von französischen Gefängniswärtern und ab dem Jahr 1944 von deutschen Soldaten bewacht.
Im August 1944 wurde Sisteron von englischen und amerikanischen Fliegern bombardiert – nicht nur die Zitadelle. Auch auf die lebenswichtige Brücke Pont de la Baume aus dem Jahr 1365 wurde keine Rücksicht genommen. Sie bekam ebenfalls den „Segen“ der Alliierten ab, wurde aber gleich 1945 wiederaufgebaut. Die hundert umgekommenen Bewohner der Stadt konnten dabei nicht mehr helfen. Bilder und kurze Erläuterung zu Sisteron finden Interessierte hier.
Auf der Spitze der spektakulären Felsformation östlich wehte noch die rote Fahne. Obwohl Sisteron konservativ ist mit dem entsprechenden Bürgermeister Daniel Spagnou, Ex-Abgeordneter in Paris, gibt es immer noch diese Tradition: Einer der Rekruten klettert am Vortag des 1. Mai die steilen Felsen hoch und setzt oben angekommen eine rote Fahne. Früher sollen junge Kletterer aus dem politisch anderen Lager die Fahne wieder entfernt haben, aber jetzt stand sie noch. Die „Rechten“ sind dort auch nicht mehr was sie einmal waren. Nebenbei: Das sehr gute „Sisteroner Lamm“ schmeckt auch Wölfen und wurde so zum Streitobjekt. Tierschützer wollten die grauen Vierbeiner zähmen!? Dazu meinte Monsieur Spagnou im Parlament, „dann kann man genauso gut versuchen, einen Hai zu erziehen.“ Könnten auch „Rechte“ recht haben?
Anders als bei uns in Deutschland fallen Ausländer kaum auf, zumindest nicht auf dem Land. Es dauerte lange, bis eine Frau mit Kopftuch zu sehen war. In meiner kleinen Heimatstadt sieht man solche Muslima in jeder Straße, selten ohne zwei oder drei Kinder – die aber die Windel nicht am Kopf tragen. Die dortige Unauffälligkeit liegt nicht nur daran, dass Frankreich mit 5,5 Mio. etwas weniger Muslime hat als Deutschland. Sie kommen dort überwiegend aus Nordafrika, nicht aus arabischen Ländern wie bei uns. Die Muslime aus den früheren Kolonien sind meist auch in Frankreich geboren und weniger verbohrt als diejenigen bei uns. Es sei denn, sie leben in großen Gruppen in den größeren Städten. Diesen gilt alles als feindlich, was nicht muslimisch ist, insbesondere der Staat. Aber auch auf dem Land waren gesprühte Parolen zu sehen, die Polizisten als Mörder bezeichnen.
Die Energiewende lässt in Frankreich auf sich warten. Nur an einer Raststätte war ein kleines Windrad zu sehen. Auch die Solarenergie wird weniger genutzt als bei uns, obwohl die südlichere Lage noch besser geeignet wäre. Der Wind ist ebenfalls beständiger. Einen Begriff für „Klimakrise“ oder „Klimakatastrophe“ gibt es im Französischen nicht, allenfalls als zwei separate Worte. Die Franzosen beziehen ihren Strom zu zwei Dritteln aus AKWs, aber immerhin 8,6 Prozent aus Windkraft. Bei uns werden über ein Drittel der vielen Windräder „abgeregelt“, weil die Netzkapazität nicht ausreicht. Beachtlich sind 7,8 Prozent der Stromproduktion aus den vielen Kanälen, die auch der Bewässerung der Landwirtschaft dienen.
Ein Höhepunkt war der Abend des Nationalfeiertags am 14. Juli. Er bestand aus einem bunten Umzug von etwa einem Dutzend Gruppen und Wagen. Bunt in den Farben, nicht bunt bezüglich der Herkunft der Mitwirkenden. Von 8jährigen bis 80jährigen Aktiven war alles vertreten, moderne Musik und traditionelle mit tanzenden Trachtenträgern. Trotz des französischen Nationalstolzes keine Spur von revolutionärem Gehabe – ähnlich einem Umzug an unserer Fasnacht. Abschließend wurde noch kräftig geschossen. Ein Feuerwerk von der Zitadelle aus, wie wir es schon lange nicht mehr gesehen hatten. Die unzähligen akustischen Wummse kosteten nicht wenig, doch Kanzler Scholzens Doppelwummse kommen uns teurer zu stehen.
Auch unsere Gastgeber gönnen sich wie alle Franzosen nicht nur üppigeres Essen und mehr Kultur. Sie leben auch sonst auf „größerem Fuß“. Ihre Häuser sehen zwar weniger modern aus als unsere, aber sie stehen auf so großen Grundstücken, wie sie bei uns nur wenige Villenbesitzer ihr Eigen nennen. Logisch, die Einwohnerdichte beträgt in Frankreich weniger als die Hälfte der unsrigen. Das Land ist zusammen mit den Überseedepartements flächenmäßig größer als die Ukraine (abzüglich der drei Oblaste, die ihnen schon lange nicht mehr gehören, weil sich diese für Autonomie entschieden hatten). Die Ukrainer führen einen Krieg gegen ihren Nachbarn Russland, die Franzosen gegen einen inneren Feind.
Wer wird diese Kriege gewinnen? Meine Prognose: Keiner – noch nie wurden Kriege wirklich gewonnen. Die Devise kann nur Verständigung lauten – wie sie mit unserer Städtepartnerschaft praktiziert wird. Partnerschaft ist möglich, wenn beide sie wollen!
Dieser Artikel wurde ohne „KI“ nur mit Künstle-Intelligenz erstellt und erscheint auch auf der Webseite des Autors
(beischneider.net)