Früher unumstrittene Dominanz im Pazifik eingebüßt
Von Dieter Farwick, Brig.General a.D.
Wie ernst ist der Versuch Chinas, das demokratische Taiwan – früher Formosa – zu umzingeln – im Wasser und in der Luft? Als Drohung für den Ernstfall. Diese Versuche hat es in der Vergangenheit mehrfach gegeben.
Peking besteht seit Jahrzehnten darauf, das demokratisch geführte Taiwan als eine „abtrünnige Provinz Chinas“ zu behandeln und sogar diese High-Tech-Insel wieder einzuverleiben – wenn es sein muss auch mit Gewalt. Diese Drohung hat durch Wiederholungen an Schrecken und Schärfe verloren.
Taiwan ist politisch und wirtschaftlich stabil sowie industriell sehr stark. Mit seiner Halbleiterproduktion gehört Taiwan zu den Spitzenreitern in der gesamten Welt.
Militärisch ist „Festland-China“ Taiwan weit überlegen. Diese Überlegenheit besteht hauptsächlich auf dem Papier. China hat seit Jahrzehnten an keinem Krieg teilgenommen.
Die völkerrechtswidrige Invasion Russlands in der Ukraine sollte ein Warnsignal für den Präsidenten Xi Jinping sein. Putin wollte die Ukraine in drei Tagen militärisch besiegen. Die Entscheidung steht nach einem Kriegsjahr noch aus.
Er hat sich in vielen Punkten verschätzt: So auch In der Bereitschaft von Staaten dieser Welt, politische und militärische Unterstützung zu leisten – an der Spitze die Vereinigten Staaten von Nordamerika und einige wichtige westliche Staaten. In einer UN-Vollversammlung hat sich eine deutliche Mehrheit geweigert, den Angriff Russlands zu unterstützen – eine Lehre für China.
Russland hat durch seinen völkerrechtswidrigen Angriff die NATO, die der französische Präsident Macron noch vor Jahren als „hirntot“ bezeichnet hat, regelrecht stabilisiert. Die NATO ist dabei, zwei wichtige Staaten – Schweden und Finnland – in das Bündnis aufzunehmen. Dies ist besonders für Finnland eine deutliche Verbesserung seiner Abschreckungs – und Verteidigungsfähigkeit.
Jährlich wiederholte Übungen von NATO-Streitkräften im Baltikum signalisieren die Unterstützung auch der jeweiligen Bevölkerung. Angesichts der langen Landesgrenze zwischen Finnland und Russland sollte Russland nicht vergessen, dass es im II.Weltkrieg Finnland nicht besiegen konnte.
Sollte auch Schweden Mitglied der NATO werden, was bisher die Türkei blockiert, würde die Nordostflanke der NATO noch stabiler
Die chinesische Einschätzung der sicherheitspolitischen Lage im Pazifik
Der chinesische Präsident Xi Jinping hat auf die russische Bitte um militärische Unterstützung eher zurückhaltend reagiert. Er will nicht, durch Putin in dessen Krieg hineingezogen werden.
Xi Jinping hat etliche Baustellen in seinem Bereich.
Seine restriktive Null-Strategie gegen Covid–19 hat China schwer geschadet.
Die Zahlen der Toten und Erkrankten sind in China – trotz seiner rigiden Absperrungen und Quarantäne-Maßnahmen – sehr hoch – zu hoch im Vergleich mit anderen Weltmächten.
Wichtige Lieferketten wurden unterbrochen, ganze Stadtviertel wurden unter Quarantäne abgesperrt.
Der Luftverkehr wurde eingestellt.
Die Staus von Frachtschiffen im Hafen von Shanghai waren kilometerlang, ein Aus- und Beladen dieser Schiffe war selten möglich. Es kam zu zahllosen Arbeitslosen, die ihre Unternehmen und Schiffe verließen und zu ihren Familien im Landesinneren flohen.
Zu spät hat Xi Jinping seine Null-Covid-Strategie aufgegeben – ohne Vorbereitung.
In der Summe hat Xi Jinping deutlich an Vertrauen für seine Führungskunst bei großen Teilen der Bevölkerung verloren. Vertrauen und Ansehen waren Säulen des inneren Friedens.
Das Bruttosozialprodukt Chinas ist um einige Prozent gesunken. Viele notwendige Fachkräfte fehlen in zahlreichen Unternehmen.
Der Re-Start der chinesischen Wirtschaft und des täglichen Lebens verlief mit Schwierigkeiten. Die Unruhen von Uiguren im Westen Chinas wirken noch im Untergrund.
Tibet ist noch immer ein Unruheherd.
Es wird noch einige Zeit dauern, bis der frühere „Normalzustand“ wieder hergestellt werden kann.
Die totale Überwachung seiner Bevölkerung reduziert „besondere Vorkommnisse“. Sie werden im Keim erstickt.
Das Ausland nutzt die Situation, die „einseitige industrielle Abhängigkeit“ von China zu reduzieren. Neue Lieferketten müssen entwickelt werden.
China ist in technisch anspruchsvollen Importen zu einem wesentlichen Teil von Taiwan abhängig. Diese Fakten gehen ein in eine landesinterne Beurteilung.
Die außenpolitische Einschätzung von Xi Jinping
China hat die früher unumstrittene Dominanz im Pazifik eingebüßt. Die Vereinigten Staaten haben in den letzten Jahren mit „alten“ und „ neuen“ Verbündeten ein Sicherheitsnetz im Pazifik aus- und weitergebaut, das von Japan bis nach Australien reicht sowie Südkorea und Vietnam einschließt. In einigen Allianzen sind Kräfte von Großbritannien und Frankreich als Mitglieder eingebunden.
Die chinesische Führung hat diese Entwicklungen erkannt und in Stärke umgesetzt. Sie beklagt diese Entwicklung als „Eindämmung“.
Diese Entwicklung hat strategische und geopolitische Bedeutung, auf die „Europa“ mit Neid schauen kann. Es hat diese geopolitische und geostrategische Entwicklung der letzten Jahre verkannt.
Wie entscheidet Xi Jinping in dieser neuen politischen Umgebung im Pazifik? Noch einmal ein Blick auf den Krieg zwischen Russland und westlicher wirkungsvoller moralischer, militärischer und wirtschaftlicher Unterstützung.
Dieser Blick über den Tellerrand kann für Xi Jinping hilfreich sein.
Ihm geht es um die Weltmacht-Rivalität mit den Vereinigten Staaten. Das dürfte für Xi Jinping wichtiger sein als die Rettung des Juniorpartners Russland mit seiner schrumpfenden und älter werdenden Bevölkerung.
Er sollte seinen Einfluss auf Putin nutzen, dessen Krieg gegen die Ukraine zeitnah mit einem Waffenstillstand zu beenden und in faire Verhandlungen zu führen, die ohne Putin zu einem robusten Frieden führen könnten, der auch von der Ukraine akzeptiert werden kann.
Natürlich gibt es noch einen Unsicherheitsfaktor: Werden die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten ihre Beistandsversprechen tatsächlich einhalten? Jede amerikanische Regierung muss davon ausgehen, dass die derzeitige Weltordnung zerstört würde, wenn sie ihre wiederholten Beistandsversprechen brechen würde.
Sie muss ihrer Verantwortung für das Überleben der Menschheit gerecht werden.
(beischneider.net)