Springe zum Inhalt

Gebrauchsanleitung für Diktaturen

Hervorragende Untertanen schwächen, Männer von Charakter beseitigen, Spione bestellen

Von Aristoteles

Die Tyrannenherrschaften können auf zwei entgegengesetzte Weisen erhalten werden; die eine ist die hergebrachte, in der die meisten Tyrannen die Herrschaft führen, und von welcher das Meiste der Korinther Periander eingerichtet haben soll; indess kann man hierfür auch vieles aus der persischen Herrschaft entnehmen. Es ist dies das schon seit alter Zeit genannte Mittel um die Tyrannis nach Möglichkeit zu erhalten, nämlich die hervorragenden Unterthanen zu schwächen, Männer von Charakter zu beseitigen und weder Tischgenossenschaften noch Hetärien zuzulassen; auch keinen Unterricht oder sonst dergleichen, sondern alles das zu überwachen, aus dem zweierlei sich zu bilden pflegt, nämlich Verstand und Treue; auch keine Vorträge, noch andere wissenschaftliche Unterhaltungen zu gestatten und nach Möglichkeit alles so einzurichten, dass die Unterthanen mit einander unbekannt bleiben; denn die gegenseitige Bekanntschaft führt zu grösseren Vertrauen auf einander.

Auch müssen die Einwohner hier alles offen betreiben und möglichst vor den Thüren sich aufhalten; so kann am wenigsten ihr Thun verborgen bleiben und durch diese stete Knechtschaft müssen sie an eine niedrige Denkungsweise gewöhnt werden. Dies und anderes der Art ist bei den Tyrannen in Persien und anderen barbarischen Staaten zu finden; denn dies Alles geht auf denselben Zweck. Auch muss der Tyrann sorgen, dass nichts von dem verborgen bleibe, was die Unterthanen sprechen oder thun und es müssen Spione bestellt werden, wie in Syrakus die sogenannten Potatogiden. Hiero schickte auch Leute aus, die horchen mussten, wo eine Zusammenkunft oder Unterredung statt fände. Denn wenn dies geschieht, besprechen sich die Leute aus Furcht vor solchen weniger und so weit es geschieht, bleibt es dann weniger verborgen.

Auch gehört es zu solcher Tyrannenherrschaft, dass man die Leute sich einander verleumden und gegen einander verfeinden lässt; ebenso dass die Freunde und ebenso das Volk mit den Vornehmen, und die Reichen untereinander entzweit werden, und dass man die Unterthanen arm macht, damit die Leibmacht erhalten werden kann und die Unterthanen, um das tägliche Brot zu verdienen, keine Zeit zu Nachstellungen behalten. Ein Beispiel dafür sind die Pyramiden in Aegypten und die Weihgeschenke der Kypseliden und der unter den Pisistratiden erbaute Tempel des Zeus und die Bauwerke des Polykrates bei Samos. Alles dies führt zu demselben Erfolge, nämlich zur schweren Arbeit und Armuth der Unterthanen. Eben dahin führen schwere Abgaben, wie in Syrakus, wo es vorgekommen ist, dass die Einwohner ihr ganzes Vermögen in fünf Jahren unter Dionys in Abgaben haben abliefern müssen.

Der Tyrann fängt auch gern Kriege an, damit die Unterthanen keine Musse behalten und fortwährend eines Anführers bedürfen. Das Königthum erhält sich durch seine Freunde, aber der Tyrann traut seinen Freunden am wenigsten, weil Alle ihn beseitigen mögen, und diese es am ehesten vermögen. Auch das, was in der äussersten Demokratie geschieht, ist alles tyrannisch, wie die Herrschaft der Weiber im Hause, damit sie das, was die Männer thun, ausplaudern; ebenso die Zügellossigkeit der Sclaven aus demselben Grunde. Denn weder die Weiber noch die Sclaven stellen den Tyrannen nach und wenn sie gute Zeit haben, müssen sie schon der Tyrannenherrschaft und der Demokratie gewogen sein, da auch das Volk gern Alleinherrscher sein mag. Deshalb steht auch der Schmeichler bei beiden in Ehren, nämlich der Volksführer bei dem Volke (denn der Volksführer ist der Schmeichler des Volkes) und der kriechenden Gesellschafter bei den Tyrannen, wie dies ja die Schmeichler sind.

Deshalb lieben die Tyrannen die schlechten Leute; denn wenn man ihnen schmeichelt, freut es sie und dies wird kein Mann von freier Gesinnung thun; gute Menschen lieben oder schmeicheln nicht. Auch sind die Schlechten zum Schlechten zu gebrauchen; denn ein Nagel treibt den andern, sagt das Sprüchwort. Auch ist es tyrannische Art, sich an keinem ehrwürdigen oder freisinnigen Mann zu erfreuen, denn nur der Tyrann allein will als ein solcher gelten; wer also mit Würde und Freimuth ihm entgegentritt, nimmt ihm das Hervorragende und Gebietende der Tyrannis; vielmehr hassen sie solche Leute, als ihrer Herrschaft gefährlich. Auch ist es ihr Amt mehr die Fremden, als die Bürger zu Tischgenossen und zum Umgang zu haben, weil letztere als feindselig gelten, während jene ihnen nicht entgegentreten. Dies und Aehnliches erhält zwar die Herrschaft des Tyrannen, aber es verliert deshalb nichts an seiner Schlechtigkeit.

Alles dies lässt sich, so zu sagen, auf drei Weisen zurückführen; der Tyrann strebt nämlich nach dreierlei; einmal nach einer kleinmüthigen Gesinnung bei seinen Unterthanen (weil ein Kleinmüthiger nicht wohl ihm nachstellen wird); dann, dass Niemand dem Anderen traut; denn die Tyrannis kann nicht eher gestürzt werden, als bis Einige einander vertrauen. Die Tyrannen verfolgen deshalb auch die rechtlichen Leute, weil sie ihrer Herrschaft Schaden bringen, nicht blos weil sie solche herrische Regierung nicht haben mögen, sondern weil sie auch unter sich und anderen als zuverlässig gelten und weder sich, noch andere anklagen mögen. Als drittes erstrebt der Tyrann die Unfähigkeit seiner Unterthanen zu Geschäften; denn Niemand unternimmt etwas, was ihm nicht möglich ist und so wird auch die Tyrannis nicht beseitigt, wenn die Macht dazu nicht vorhanden ist. Sonach lassen sich alle Pläne der Tyrannen nach irgend einer Richtung hier auf diese drei zurückführen; alle Unternehmungen der Tyrannen laufen auf eine dieser Voraussetzungen hinaus; entweder dass Niemand dem Anderen traue, oder dass Niemand etwas vermöge, oder dass jedermann kleinmüthig gesinnt sei.

Dies ist nun die eine Weise, wie die Tyrannenherrschaften sich erhalten können; die andere sorgt dagegen gerade für das dem bisherigen Entgegengesetzte. Man kann ihr Verfahren aus dem Untergange der Königthümer entnehmen. Ein Grund für deren Untergang lag in der Steigerung der Herrschaft zu einer tyrannischen und so liegt ein Mittel zur Erhaltung der Tyrannis in ihrer Ueberführung in eine königliche Herrschaft, indem nur Eins festgehalten wird, nämlich die Macht, damit die Herrschaft nicht blos über die Gutwilligen, sondern auch über die Widerspenstigen sich erhalte; denn wenn diese Macht weggegeben wird, so fällt auch die Tyrannis. Dies soll indess nur die Grundlage bleiben; alles andere kann der Tyrann wirklich oder scheinbar thun in rechter Nachahmung des Königthums.

Zunächst hat er also sich den Anschein zu geben, als sorge er für das Staatsvermögen; er darf es also nicht durch solche Schenkungen verschwenden, welche das Volk erbittern, insofern er von ihm das nimmt, was es mit Mühe und Arbeit sich sauer verdienen muss und dies dann reichlich an Kebsweiber, Fremde und Künstler wieder weggiebt; vielmehr muss er über seine Einnahmen und Ausgaben Rechnung ablegen, wie schon einige Tyrannen gethan haben; denn bei solchen Verfahren wird er als ein guter Hausverwalter und nicht als ein Tyrann gelten. Auch braucht er deshalb nicht zu fürchten, dass ihm das Geld einmal ausgehen könnte, da er ja der Herr über den Staat bleibt. Auch für Tyrannen, die sich ausserhalb Landes begeben ist ein solches Verfahren besser, als aufgehäufte Schätze zurückzulassen; denn dann werden die Wächter weniger der Regierung sich bemächtigen wollen. Den sich entfernenden Tyrannen sind solche Wächter auch gefährlicher, als die Bürger, denn letztere ziehen mit ihnen ab, aber die Wächter bleiben zurück.

Ferner muss der Tyrann die Abgaben und Staatsleistungen scheinbar der guten Wirthschaft wegen ansammeln, für den Fall dass er sie in Kriegszeiten gebrauchen müsste und er selbst muss sich überhaupt so als Wächter und Bewahrer des Staatsvermögens benehmen, als wenn es sein eigenes wäre. Seine äussere Erscheinung darf nicht hässlich, sondern muss ehrwürdig sein und der Art, dass die, welche ihm begegnen, nicht Furcht, sondern Ehrerbietung empfinden. Dies ist allerdings nicht leicht, wenn er verachtet wird und deshalb muss er, wenn auch nicht die anderen Tugenden doch die politische sich zu erwerben suchen und mit den Schein einer solchen sich umgeben. Auch darf man nicht sehen, dass er selbst einem Unterthan und insbesondere einem Jüngling oder einer Jungfrau Schmach anthue und auch seine Umgebung darf dies nicht thun. Auch seine Frauen müssen sich so gegen andere Frauen benehmen, denn viele Tyrannenherrschaften sind wegen Uebermuth der Frauen untergegangen.

In Bezug auf sinnliche Genüsse muss er das Entgegengesetzte von dem thun, was jetzt einzelne Tyrannen thun; diese beginnen ein solches Treiben gleich vom Morgen ab und fahren damit viele Tage hindurch fort, und wollen auch den Anderen so erscheinen, damit man sie als glückliche und selige Menschen anstaune. Vielmehr muss der Tyrann in solchen Genüssen Maass halten oder wenigstens vor den Anderen den Schein annehmen, als vermeide er solche Genüsse. Denn nicht der Nüchterne, sondern der Betrunkene ist leicht zu bewältigen und verächtlich; und ebenso nicht der Wachende, sondern der Schlafende. Sonach hat er so ziemlich das Gegentheil von allem vorher Gesagten zu thun. Er muss die Stadt versorgen und schmücken, als wäre er ihr Vormund und nicht ihr Tyrann. Auch muss er sich bei den gottesdienstlichen Handlungen besonders eifrig beweisen; denn wenn der Tyrann für gottesfürchtig und fromm gehalten wird, so fürchtet man weniger etwas Ungesetzliches von ihm, und man stellt ihm weniger nach, weil er dann auch die Götter zu Beschützern hat. Auch darf der Tyrann sich nicht einfältig benehmen, und Leute, die in irgend einem Punkte sich ausgezeichnet haben, muss er so ehren, dass sie selbst meinen, ihre Mitbürger könnten, wenn sie selbständig wären, ihnen nicht mehr Ehre erweisen. Solche Ehren muss er selbst austheilen, die Strafen aber muss er durch Beamte oder die Gerichte vollziehen lassen.

Eine für jede Alleinherrschaft nützliches Schutzmittel ist ferner, dass nicht ein Bürger allein gross gemacht werde, sondern mindestens mehrere; denn dann werden sie einander im Auge behalten. Muss aber doch Einer zu einem Grossen gemacht werden, so darf er wenigstens nicht von kühner Sinnesart sein; denn ein solcher Charakter ist zu allem Unternehmen geneigt. Soll dagegen Jemand seiner Gewalt entsetzt werden, so muss dies allmälig geschehen und es darf ihm die ganze Gewalt nicht auf einmal entzogen werden. Ferner muss der Tyrann sich aller übermüthigen Verletzungen enthalten, vor allen zweier, nämlich der körperlichen Züchtigungen und des fleischlichen Umgangs mit der Jugend. Ganz besonders muss er sich dessen vorsehen gegen ehrgeizige Personen; denn Vermögensbedrückungen empfinden nur Geizige schwer, aber Ehrverletzungen die Ehrgeizigen und die rechtlichen Menschen.
Deshalb darf er gegen solche nicht so verfahren, oder er muss wenigstens in väterlicher Weise die
Züchtigung vornehmen und nicht aus Geringschätzung und ebenso den sinnlichen Verkehr mit der Jugend nur aus Zuneigung und nicht aus Willkür treiben und überhaupt die anscheinenden Ehrverletzungen durch grössere Ehrbezeugungen sich erkaufen. Von denen, die es auf sein Leben abgesehen haben, sind diejenigen am meisten zu befürchten und zu bewachen, welche auf ihr eigenes Leben keinen Werth legen, sofern sie ihn nur tödten können. Deshalb muss er sich am meisten vor denen in Acht nehmen, welche sich oder ihre Verwandten für von ihm beschimpft halten; denn die, welche in solcher zornigen Stimmung etwas unternehmen, schonen sich selbst nicht. Schon Herakleitos sagte, dass es schwer sei, gegen den Zorn und den Eifer anzukämpfen, da dieser das Leben in den Kauf gebe.

Da die Staaten aus zwei Klassen bestehen, aus den armen Leuten und den Wohlhabenden, so müssen beide Klassen glauben, dass diese Herrschaft ihnen nützlich sei und es darf keine Klasse die andere verletzen. Die Klasse, welche die stärkere ist, muss der Tyrann am meisten zu den Aemtern heranziehen; denn wenn diese der Regierung vorsteht, so braucht der Tyrann weder die Sclaven für frei zu erklären, noch den Bürgern die Waffen zu nehmen; es genügt, dass die Klasse, welche zur Herrschaft hinzugenommen worden ist, stärker ist, als die, welche sich ihnen entgegenstellt.

Das Einzelne hierbei weiter zu erörtern, ist überflüssig; denn der Zweck liegt klar vor; er geht dahin, dass der Tyrann sich seinen Unterthanen nicht als einen Tyrannen, sondern als einen Hausvater und König erweise und nicht als einen, der nur für sich sorgt, sondern wie ein Vormund für sie und der in seiner Lebensweise Maass hält und nicht in das Uebermaass sich stürzt und nicht blos mit den Vornehmen verkehrt, sondern der gegen die Menge sich gefällig zeigt. Dann muss seine Herrschaft sich nicht allein schöner und beneidenswerther gestalten, weil er über bessere und nicht herabgedrückte Menschen herrscht, sondern seine Herrschaft wird dann auch weder fortwährend gehasst, noch gefürchtet werden, vielmehr sich lange Zeit erhalten. Auch der Tyrann selbst muss von Charakter tugendhaft sein, oder wenigstens tugendhaft und nicht schlecht, sondern nur halb schlecht.
(Aus Aristoteles (384-322 v.Chr.) "Politik", nach J. H. v. Kirchmann, 1880)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert