»Willst du ein Mensch sein, so nimm dich in acht vor der Weisheit!«
Von Erasmus von Rotterdam
Allein das Denken, sagt man, hat im Kriege doch viel zu bedeuten. Bei dem Führer schon, aber ein Denken soldatischer, nicht philosophischer Art; im übrigen braucht es Tagediebe, Hurenwirte, Straßenräuber, Meuchelmörder, Bauernschädel, Strohköpfe, Schuldenbrüder und derlei Hefe der Menschheit zu diesem heldischen Metier, nur keine Philosophen, die nach der Lampe riechen. Die sind ja auch sonst im praktischen Leben keinen Heller wert, wie am besten Sokrates beweist, den Apolls Orakel den alleinig Weisen genannt hat, freilich recht unweise; denn als er einst vor dem Volke zu reden versuchte, war der Erfolg ein schallendes Gelächter. Doch hatte der Mann Verstand genug, den Titel »der Weise« abzulehnen und dem Gotte selbst zurückzugeben; er meinte auch ganz richtig, der Weise tue gut, die Hände von der Politik zu lassen. Noch besser freilich hätte er gesagt: »Willst du ein Mensch sein, so nimm dich in acht vor der Weisheit!«
Denn was anderes als die Weisheit war daran schuld, daß er später seinen Prozeß verlor und den Schierling trinken mußte? Während er nämlich über Wolken und Ideen spintisierte, die Länge des Flohfußes berechnete, sich über die Stimmkraft der Schnake nicht genug verwundern konnte, vergaß er zu lernen, was man zum täglichen Leben braucht. Aber sprang dem Lehrer in der höchsten Not denn nicht sein Schüler Plato bei? O ja, ein Fürsprech sonderlicher Art! Vor dem Lärm der Menge verlor er die Fassung, und in der Mitte seiner Eingangsperiode blieb er stecken. Und gar der Aristotelesjünger Theophrast! Trat vor das Volk und – brachte keinen Ton heraus, als hätte er den Wolf gesehen. Und so einer sollte Soldaten im Felde begeistern »Wie stand es mit Isokrates?
Der wagte in seiner Schüchternheit zeitlebens nicht den Mund aufzutun. Selbst Cicero, der römischen Beredsamkeit Vater, sprach immer seine ersten Sätze unter unmännlichem Zittern, wie ein gacksender Schuljunge. Fabius deutet uns das als Zeichen des gediegenen Redners, der weiß, wo die Gefahren lauern. Aber gesteht er damit nicht offen ein, daß das Wissen den Weg zum Erfolg, versperrt? Und wer schon beim unblutigen Wortgefecht vor Angst in Ohnmacht fällt, wie wird sich der im ernsten Waffengang halten?
Und da lobt und rühmt man noch, weiß der Himmel, jenen vielberufenen Satz des Plato, daß die Staaten glücklich würden, sobald die Philosophen Könige wären oder die Könige Philosophen! O bewahre! Fragt die Geschichte, und sie wird euch sagen, daß ein Staat mit keinem Regenten so schlecht fährt, wie wenn die Herrschaft einem Philosophaster, einem Schleppträger der Wissenschaft in die Hände fällt. Das dürften zur Genüge die beiden Catonen beweisen, von denen der ältere mit seiner bornierten Angeberei den Frieden im Lande störte, der jüngere für die Freiheit Roms sich so gescheit wehrte, daß sie zugrunde ging. Denkt ferner an Brutus, an Cassius, an die Gracchen; denkt auch an Cicero, der seiner römischen Republik so gut zum Verhängnis wurde wie Demosthenes seiner athenischen.
Und der Kaiser Marc Aurel? Zugestanden sogar, er sei ein guter Regent gewesen – schon das wäre leicht ihm abzustreiten, weil er gerade als Erzphilosoph unbeliebt und verhaßt bei seinen Untertanen war – doch dies zugestanden, so hat er doch sicher dem Lande mehr Unheil gebracht durch seinen Erben, den Schurken von Sohn, als durch eigenes Wirken Gedeihen. Denn die Art von Menschen, die sich dem Studium der Weisheit verschreibt, hat ohnehin viel Pech, besonders mit ihren Kindern, wohl weil die Natur der Verbreitung dieser Seuche vorbeugen wollte. Darum mißriet dem großen Cicero der Sohn – man weiß das ja –, und darum schlugen die Kinder des weisen Sokrates mehr der Mutter als dem Vater nach, wie einer nicht übel sagte, das heißt: sie waren dumm.
(Erasmus von Rotterdam, aus "Das Lob der Torheit")