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Schräge Nachbarschaft

Einige Bemerkungen über das deutsch-polnische Verhältnis

Von Dr. Helmut Roewer

Der Staat Polen ist seit 1919 unser Nachbar – geographisch betrachtet. Wenn man die fünf, sechs Jahre einmal ausspart, in denen es zwischendrin (1939-45) keinen polnischen Staat mehr gab, so sind das knapp hundert Jahre des Nebeneinanders, doch von guter Nachbarschaft wird man beim besten Willen kaum sprechen können. Da wir uns nach meiner Einschätzung in den Bereich einer neuerlichen unerfreulichen Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Polen bewegen, will ich kurz beleuchten, worin ich die Gefahrenherde sehe. Ich betrachte meinen Text zugleich als Aufforderung, mir zu widersprechen, denn nichts würde ich mehr schätzen, als einem Irrtum unterlegen zu sein.

Indessen: In den letzten Wochen und Monaten bestand mehrfach Anlass, über das deutsch-polnische Verhältnis nachzudenken: Diplomatische Ungeschicklichkeiten von deutscher Seite wechselten sich mit Drohungen und ins Gigantische reichenden Forderungen aus Polen ab. Darauf wird bei Bedarf einzugehen sein. Ein spezielles Augenmerk soll dem Agieren des östlichen Nachbarn als Mitglied in den internationalen Clubs der EU und der Nato gelten.

Eins
Polen, Deutsche und die selbstgemachte deutsche Energiekrise
Fährt man den Grenzfluss Oder und später die Lausitzer Neiße aufwärts, also nach Süden, kommt man bald hinter Görlitz auf der B 99 nach Hirschfelde. Linker Hand, also jenseits der Flussaue, dampft es gewaltig, denn dort liegt im letzten polnischen Landzipfel vor der Tschechei das polnische Kohlekraftwerk Turów. Unübersehbar. Von hier bezieht Deutschland Strom, wenn Sonne und Wind in Deutschland zu träge sind, um eine Rechnung auszustellen, doch dafür tun’s dann die Polen. Und das ist auch gut so, denn sonst würde in Deutschland partiell das Licht ausgehen.

Nun, man gibt gerne unter Nachbarn, auch wenn diese ein wenig deppert sind. Denn diese Deutschen sind gerade dabei, die eigene, durch das Abschalten der Kernkraftwerke entstandene Notlage nochmals zu verschärfen. Um das zu ergründen, muss man nur in die Gegenrichtung fahren, also nach Norden, oderabwärts. Man kommt durch mutwillig stillgelegten Braunkohletagbau in der Lausitz und recht bald – ebenfalls unübersehbar – zum Kohlekraftwerk Boxberg, einem der modernsten seiner Art, das nach dem Willen der grünen Faschisten und ihrer Helfershelfer in der CDUCSUSPDFDP bald vom Netz soll. Der Grund: die Lüge vom Umweltgift CO2.

Und weiter geht’s oderabwärts bis nach Schwedt. Jetzt wird’s ein bisschen politisch, denn hier wird in einer Raffinerie seit den 1960er Jahren Russen-Öl verarbeitet, weil an dieser Stelle der Odergrenze die sowjetrussische Pipeline Drushba (Freundschaft) endet. Mit der Freundschaft war es im Frühjahr 2022 vorbei, nachdem die deutsche Regierung sich entschloss, einem amerikanischen Gebot Folge zu leisten. Es galt, die Russen zu boykottieren. Die französischen Raffinerie-Betreiber in Schwedt, die Elf-Aquitaine, machten zum 31. Dezember 2022 den Ölhahn zu und behaupteten, dies sei bestenfalls ein deutsches Problem. Ausnahmsweise stimmt das.

Doch unverfroren ergänzten die Eigentümer der Anlage: Wenn denn die Deutschen wirklich Öl in Schwedt benötigen sollten, könnten sie es sich ja aus Rostock oder Danzig anliefern lassen. Damit hat man hierzulande jetzt seit fünf Monaten Erfahrung sammeln können. Die angelieferte Ölmenge beträgt etwa die Hälfte derjenigen, die zur wirtschaftlich rentablen Auslastung der Anlage benötigt wird, und sie kann nur unter den größten Schwierigkeiten herangeschafft werden, denn a) die Polen wünschen keine Ausschiffung in Danzig und b) der Hafen in Rostock ist zu flach, um Öltanker der gewöhnlichen Größe anlanden zu lassen. So muss das Russen-Öl, das einen langen Weg über die Weltmeere hinter sich hat, auf der Reede auf kleine Schiffe umgepumpt werden. Zudem ist die bestehende, aus der DDR stammende Pipeline Rostock-Schwedt zu klein und zu marode, um die benötigten Mengen transportieren zu können.

Es steht also zu erwarten, dass Schwedt dichtmacht. Das wird den politisch geplanten Ausstieg aus dem Individualverkehr und damit die Abwrackung Deutschlands deutlich erleichtern.

Freundlicherweise hat Polen angeboten, die Anlage in Schwedt zu übernehmen. Zugleich hat es zur Bedingung erhoben, dass in Schwedt kein Russen-Öl mehr verarbeitet werde. Das ist – angesichts der Auslegung der Anlagen auf genau dieses Öl – eine Luftnummer der unfreundlichen Art.

Ähnlich Paradoxes gilt es aus dem Gas-Geschäft zu berichten. Seit Jahren laufen polnische Offizielle Sturm gegen die russische Gaszufuhr nach Deutschland – speziell durch die Ostsee-Pipelines („Nord Stream“). Böse Zungen behaupten, die Feindseligkeit gegen diese Transportform liege weniger am russischen Absender, als an der mangelnden Möglichkeit aus diesem Geschäft Vorteile ziehen zu können (keine mutwilligen Gas-Lecks, keine Durchfuhrzölle), denn die Nord Stream- Leitungen berührten polnisches Hoheitsgebiet nicht.

So nimmt es kaum Wunder, dass die Zerstörung der Gasleitungen im September 2022 durch die USA sogleich zu polnischen Glückwunsch-Adressen Anlass gaben, die so deutlich deutsch-feindlich ausfielen, dass es selbst den Tätern in Washington irgendwie peinlich war.

Zwei
Deutsche, Polen und die Grenzen
Deutschland und Polen haben seit der Wiedererrichtung des polnischen Staates 1918/19 eine gemeinsame Grenze. Diese Grenze verschwand vorübergehend, als nach dem deutschen und sowjetischen gemeinsamen Vorgehen gegen den polnischen Staat im September 1939 dieser zwangsweise aufgelöst und eine gemeinsame Grenze zwischen Deutschland und der Sowjetunion festgelegt wurde.

Genau diese Grenze wurde nach ihrem vorübergehenden Verschwinden nach dem deutschen Angriff 1941 gegen die Sowjetunion wieder akut, als es nämlich um die künftige Neugliederung Europas nach dem Sieg über Deutschland ging. Bereits auf der Konferenz der Großen Drei (Churchill, Roosevelt und Stalin) 1943 in Teheran bestand Stalin auf der Grenze vom Oktober 1939, also der des Hitler-Stalin-Paktes. Die beiden anderen sagten nicht Nein, sondern verständigten sich stillschweigend darauf, Polen zur Kompensation für die verlustig gehenden östlichen Gebiete nach Westen, also nach Deutschland hinein zu verschieben. So entstand die Oder-Neiße-Grenze. Der gesamte wiedererrichtete polnische Staat rückte also im Sommer 1945 auf der Landkarte nach links.

Die Karte zeigt die Verschiebung Polens nach Westen. Während die weißumrandete Grenzlinie den polnischen Staat in den Grenzen von 1920-39 zeigt, gibt das rotgefärbte Feld den Staat in den Grenzen ab 1945 wider. Der 1945 verloren gegangene Teil im Osten gehört heute (von Nord nach Süd) zu Litauen, Weißrussland und zur Ukraine. Interessant auch: Die heutige Ostgrenze Polens entspricht im Wesentlichen der Grenzziehung zwischen Deutschland und der Sowjetunion im Jahre 1939 (Hitler-Stalin-Pakt).

Mit der Grenzziehung von 1945 könnte es sein Bewenden haben, wenn nicht der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991/92 etlichen Polit-Akteuren in aller Welt die Vorstellung von der Möglichkeit vermittelt hätte, in neue Räume aufbrechen zu können. Dass diese neuen Räume fast in allen Fällen die alten aus der Zeit vor oder unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg sind, liegt daran, dass das Geschichtsgedächtnis in vielen Völkern ausgesprochen nachtragend ist.

Nach diesem gedanklichen Umweg sei der Hinweis erlaubt, dass bevorzugt in Polen pünktlich zur Entlassung aus dem Warschauer Pakt 1990/91 und damit aus der Aufsicht Sowjet-Russlands der Blick nach Osten gerichtet wurde. Die Parole von der Rzeczpospolita (= Gemeinwesen der Polnischen Krone und des Großfürstentums Litauen) machte die Runde. Hinter diesem, für deutsche Zungen unausprechbaren Wort verbirgt sich die einstige litauisch-polnische Adelsrepublik, ein Großreich, das beanspruchte, von Meer zu Meer zu reichen – von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer, das Intermarium. Nebenbei bemerkt: es ging im 18. Jahrhundert mitsamt dem polnischen Staat unter.

Nun könnte man das Ganze, ins Hier und Jetzt zu übertragen, als die Spinnerei von ein paar Ewiggestrigen abtun, doch die Wahrheit ist leider die, dass die polnischen Großraum-Nationalisten seit Jahren an prominenter Stelle in der Politik mitwirken. Ihnen ist es mit der Ausdehnung in die Staatsgebiete von Litauen (Wilna), Weißrussland (Brest-Litowsk) und die Ukraine (Lemberg) ernst.

Der laufende kriegerische Konflikt um die Ukraine hat hieran nichts geändert – ganz im Gegenteil, die polnische und die ukrainische Führung haben mehrfach Erklärungen abgegeben, deren Inhalt nach einem Staatenbund, wenn nicht sogar nach einem Bundesstaat klingt. Ich erlaube mir, diese Erklärungen mit einer gehörige Portion Skepsis zu betrachten, da ich es für fraglich halte, ob unter denjenigen ukrainischem Staatsbürgern, die sich selbst als Ukrainer betrachten, irgend eine Sympathie für solche Objekte vorhanden ist. Die Erfahrungen, die deren Vorfahren mit den Polonisierungs-Maßnahmen der 1920/30er Jahre gemacht haben, dürften dagegensprechen.

Was dieser Vorgang mit Deutschland zu tun hat, wird weiter unten im Abschnitt über Deutschland, Polen und die Nato zu erörtern sein.

Drei
Deutsche, Polen und das Geld
Polen ist seit 2004 Mitglied der Europäischen Union. Es ist das Land, das bei der Osterweiterung der EU von allen Ländern am meisten profitiert hat. Zahlmeister dieses Geldtransfers war der deutsche Steuerzahler. Höhe der Zahlungen und deren Wege hat der Wirtschaftsjournalist Bruno Bandulet beschrieben (z.B. in: Beuteland, Rottenburg 2016).

Nicht jeder fand es angesichts der permanenten Finanzspritzen, die Deutschland den Polen verabreicht hat, witzig, als vor kurzem von polnischer Seite Reparationsforderungen wg. der im Zweiten Weltkrieg von Deutschen angerichteten Schäden erhoben wurden. Es sollte hierbei um die bescheidene erste Rate von einer Billiarde (= 1.000 Milliarden = 1.000.000 Millionen = 1.000.000.000 Tausend = 1.000.000.000.000) Euro gehen. Die neue deutsche Regierung lehnte ab. Man wundert sich – nicht, weil die Forderung unbegründet wäre, was sie schließlich ist, sondern dass diese Regierung ablehnte, zu deren Credo der deutsche Schuldkult gehört, über den an dieser Stelle nichts weiter mitgeteilt werden soll.

Die Ablehnung der Reparationsforderungen war doppelt genäht: Zum einen handelte es sich um einen polnischen Verzicht, abgegeben in den 1950er Jahren gegenüber Deutschland, ironischerweise vertreten durch die Regierung der DDR. Zum andern um summarische Verzichtserklärungen im Verfolg des Zwei-plus-Vier-Vertrages 1990 zur Herstellung der deutschen Einheit, wobei die Beteiligten erklärten, dass der immer noch fehlende Friedensvertrag mit Deutschland nunmehr entbehrlich sei.

Die an den Verhandlungstisch drängenden Polen wurden von den vier Siegermächten (Sowjetunion, USA, Großbritannien und Frankreich) als Nichtbeteiligte kühl zurückgewiesen. Für die einstigen Sieger galt es zu vermeiden, dass die eigene Beteiligung an der Kriegseröffnung im September 1939 aus den Kellern der Geschichte hervorgeholt werden würde. Ebenso erschien es ihnen tunlich, jegliche Debatte darüber zu vermeiden, dass sie selbst es waren, die für das polnische Verschiebungs-Desaster des Jahres 1944/45 die Verantwortung trugen.

Vier
Deutsche, Polen und die Nato
Die Nato wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Verteidigungsbündnis gegen die Sowjetunion unter amerikanischer Führung gegründet. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991/92 hatte sich der Zweck der Nato erledigt. Ihre Auflösung hätte nahegelegen, doch sie unterblieb. Stattdessen erfolgte gegen Ende des Jahrzehnts die Nato-Osterweiterung.

Polen wurde 1999 Mitglied der Nato. Diese Mitgliedschaft ist für die anderen Vertragsstaaten nicht ohne Risiko, falls es stimmt, dass das polnische Verhalten die Ausrufung des Bündnisfalles provozieren könnte. Anlass zu derartigen Befürchtungen geben die polnischen außenpolitischen Aktivitäten in Richtung Ukraine und Weißrussland. Beide Länder sind unmittelbare Nachbarn im Osten. Das Staatsgebiet beider Länder umfasst Territorien, die nach polnischer Lesart zu Polen gehören. Beide Länder verhalten sich gegenüber polnischen Verbalattacken unterschiedlich.

Während Minsk polnischen Erweiterungsavancen strikt ablehnend gegenübersteht, zeigt sich die gegenwärtige ukrainische Führung entgegenkommend.

Sieht man bezüglich der Ukraine etwas genauer hin, wenn sich polnische und ukrainische Spitzenleute zu Verbrüderungszeremonien zusammenfinden, kann man grundlegende Unterschiede beider Seiten zumindest zwischen den Zeilen lesen: Die polnische Lesart ist die Erweiterung des eigenen Staatsgebiets nach Osten, die ukrainischen Führung verfolgt über einen Umweg durch eine staatenbundähnliche Verbindung mit Polen das Ziel, den Partner und damit die Nato in den Krieg mit Russland direkt hineinzuziehen.
Durch einen Umweg zum Ziel, die Nato in den Krieg gegen Russland hineinzuziehen: polnische und ukrainische Spitzenpolitiker bei der Übergabe polnischer Leopard 2-Panzer, die selbstredend ursprünglich aus Deutschland stammen im Frühjahr 2023.

Ob es der polnischen Kriegspartei im Zusammenwirken mit der ukrainischen Führung gelingt, den beabsichtigten Nato-Bündnisfall herbeizuführen, kann von Deutschland aus nicht gesteuert werden, sondern ist allein Angelegenheit der USA, die den polnischen Staat seit Ende der 1990er Jahre zu ihrem wichtigsten Verbündeten in Europa aufgebaut haben. Diese Neuorientierung der US- Außenpolitik hatte neben der Vergrößerung des Machtbereichs eindeutig eine anti-deutsche Spitze.

Man mag es für eine Übertreibung halten, aber vor meinem inneren Auge steigen zwei Bilder auf: Das eine handelt vor der Einkreisung Deutschlands, die dank der Mitwirkung unkluger deutscher Politik in zwei Weltkriege führte. Das andere hat mit Polen zu tun, das seit dem Jahreswechsel 1938/39 dank britisch-amerikanischer Anstiftung eine antideutsche Provokationspolitik vom Zaun brach, auf die ein deutscher, seinerzeit von seinen Paladinen wg. seiner angeblichen unfehlbaren Weitsicht gepriesener Führer mit dem idiotisch zu nennenden Angriff auf Polen reagierte.
(beischneider.net)

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