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Was ist richtig, was ist falsch?

Wo es  mit der Verfassung für die Frauen schlecht bestellt ist, muss man glauben, dass die Hälfte des Staates gesetzlos ist

Von Aristoteles

Auch eine grosse Freiheit der Weiber ist dem Zwecke der Verfassung zuwider und für das Wohl des Staates von Nachtheil. Denn so wie der Hausstand aus Mann und Frau besteht, so ist auch bei dem Staate anzunehmen, dass die Volksmenge ziemlich zur Hälfte aus Männern und zur Hälfte aus Frauen besteht. Wo es daher mit der Verfassung in Bezug auf die Frauen schlecht bestellt ist, da muss man glauben, dass die Hälfte des Staates gesetzlos ist, und dies ist dort auch eingetroffen. Der Gesetzgeber wollte den ganzen Staat wehrhaft machen und an den Männern erkennt man diese seine Absicht deutlich; aber bei den Frauen hat er es versehen; denn sie leben zuchtlos nach allen Richtungen und weichlich.

Nothwendig muss in solchen Staaten der Reichthum zu Ehren kommen und besonders, wenn sie noch unter die Weiberherrschaft gerathen, wie es bei vielen soldatischen und kriegerischen Völkerschaften der Fall ist, mit Ausnahme der Kelten und vielleicht einiger anderen Völkerschaften, bei denen der fleischliche Verkehr mit Männern als anständig gilt. Denn der, welcher die Mythen bildete, hat nicht mit Unrecht den Ares mit der Aphrodite verbunden; alle diese Völkerschaften sind dem geschlechtlichen Verkehr entweder mit Männern oder mit Frauen sehr zugeneigt. Deshalb erhielt sich dies auch bei den Lakoniern und während ihrer Herrschaft wurde vieles von den Frauen angeordnet. Denn welcher Unterschied ist es, ob die Frauen herrschen, oder ob die Herrscher von den Frauen beherrscht werden? beides kommt auf dasselbe hinaus. Der Muth ist zu allen gewöhnlichen Geschäften, mit Ausnahme des Krieges, ohne Nutzen und die Lakonischen Frauen wurden selbst hierfür höchst schädlich, wie sich bei dem Einfall der Thebaner offenbarte; sie nützten hier so wenig, wie die Frauen in anderen Staaten, und brachten sogar mehr, als die Feinde, Verwirrung hervor. In den ersten Zeiten scheint allerdings die Zügellosigkeit der Weiber bei den Lakoniern in natürlicher Weise sich gebildet zu haben; denn die Männer waren wegen der Feldzüge lange Zeit vom Hause abwesend und hatten mit den Argivern und dann mit den Arkadiern und Messeniern Kriege zu führen. Als sie nun in die Ruhe kamen, so fügten die Männer in Folge des Lagerlebens (denn es fordert dies viele Arten der Tugend) sich zwar leicht dem Gesetzgeber; dagegen soll Lykurg wohl versucht haben, die Frauen unter die Gesetze zu bringen; allein als sie Widerstand leisteten, hat er davon abgestanden. Dies sind die Ursachen, aus denen diese Ereignisse und offenbar auch diese Fehler hervorgegangen sind.

Indess kommt es mir nicht darauf an, wer hier Verzeihung erhalten soll und wer nicht, sondern auf das, was richtig und was fehlerhaft ist. Diese schlechten Zustände in Bezug auf die Frauen scheinen, wie ich schon oben gesagt habe, nicht blos der Verfassung an sich eine gewisse Unziemlichkeit gegeben, sondern auch die Habsucht gesteigert zu haben. Neben dem bisher Dargelegten möchte man auch die Misstände in Bezug auf den Grundbesitz tadeln. Ein Theil von den Bürgern gelangte zu einem sehr grossen Vermögen, ein anderer nur zu einem sehr kleinen; deshalb ging der Grund und Boden in die Hände Weniger über. Auch sind hier die Bestimmungen der Gesetze schlecht.

Denn Grundbesitz zu kaufen oder den eignen zu verkaufen, erklärte Lykurg für unziemlich, und that daran recht; dagegen gestattete er das Vermögen zu verschenken, oder zu vermachen an wen man wollte, obgleich doch dies zu demselben Ergebniss, wie jenes, führen musste. Auch gehörten beinahe zwei Fünftel des ganzen Grund und Bodens den Frauen, da viele Erbtöchter vorkamen und grosse Ausstattungen gegeben wurden, obgleich es besser gewesen wäre keine Ausstattung, oder nur eine geringe oder mässige zuzulassen. Jetzt kann Jeder seine Erbtochter geben, wem er will und wenn er ohne eine solche Bestimmung stirbt, so kann der Erbe, den er hinterlässt, sie an wen er will, verheirathen. Während daher das Land sonst 1500 Reiter ernähren und 30,000 Schwerbewaffnete stellen konnte, betrug deren Zahl nicht 1000. Auch hat sich durch die Thatsachen klar herausgestellt, dass die hier getroffene Einrichtung falsch war, denn der Staat hat nicht eine Niederlage ertragen können und ging durch seine geringe Volksmenge zu Grunde. Man erzählt zwar, dass unter den früheren Königen noch Bürger in die Staatsverbindung aufgenommen wurden und dass es deshalb damals, trotz der langen Kriege, an Menschen nicht gemangelt habe. Spartaner sollen damals an 10,000 gewesen sein; indess ist es, mag dies wahr sein, oder nicht, doch besser, dass die Zahl der Männer im Staate durch die Ausgleichung des Besitzes anwachse.

Hier steht aber das Gesetz über die Kindererzeugung einer solchen Verbesserung im Wege. Der Gesetzgeber wollte, dass die Spartaner die möglichst starke Mehrzahl bilden sollten und er trieb sie deshalb zur Erzeugung vieler Kinder; denn sie haben ein Gesetz, wonach der, welcher drei Söhne hat, frei vom Kriegsdienste ist, und wer viere hat, frei von allen Abgaben. Allein offenbar müssen, wenn die Volksmenge sich sehr vermehrt und das Land danach vertheilt wird, Viele in Armuth verfallen. Auch die Bestimmungen über die Ephorie sind nicht zu billigen. Diese Beamten sind bei ihnen die Herren über die wichtigsten Angelegenheiten; sie werden aber alle aus dem Volke erwählt und deshalb gelangen auch oft sehr dürftige Leute, welche wegen ihrer Armuth käuflich sind, zu solcher Amtsgewalt. Dies hat sich schon vormals oft gezeigt und jetzt wieder bei der Gelegenheit mit den Andriern. Einige von den Ephoren waren mit Geld bestochen und hätten, wenn es von ihnen abgehangen, den ganzen Staat zu Grunde gerichtet. Indem ihre Macht sehr gross war und der eines Tyrannen gleich kam, waren selbst die Könige genöthigt, ihnen zu schmeicheln. Auch dies verdarb die Verfassung; aus einer Aristokratie ging sie in eine Demokratie über.

Diese Behörde der Ephoren hält allerdings den Staat noch zusammen, denn das Volk verhält sich ruhig, weil es an der obersten Gewalt Theil nimmt; mag dies nun durch den Gesetzgeber, oder durch Zufall so gekommen sein, so ist es doch für die Sache zuträglich; denn wenn eine Verfassung Bestand haben soll, so muss sie darauf Bedacht nehmen, dass alle Bestandtheile des Staates sich in demselben gleichen Zustande erhalten. Nun ist dies bei den Königen wegen der ihnen zugetheilten Würde der Fall und bei der besseren Klasse wegen ihrer Theilnahme an der Rathsversammlung (denn dieses Amt ist der Lohn für ihre Tugend) und bei dem Volke wegen der Ephorie, weil sie aus Allen besetzt wird. Deshalb mögen zwar für dieses Amt Alle wählbar sein, aber nicht in der jetzigen Weise, die gar zu kindisch ist.

Auch sind sie die Herren über die wichtigsten Angelegenheiten, obgleich Leute, wie es sich trifft, zu diesem Amte gelangen. Deshalb wäre es besser, sie entschieden nicht nach eignem Ermessen, sondern nach den Vorschriften und den Gesetzen. Auch steht die Lebensweise der Ephoren mit dem Zwecke des Staates nicht in Uebereinstimmung; sie ist sehr ungebunden, während sie bei den Uebrigen in Strenge übertrieben wird, so dass diese die Gesetze hier nicht einhalten können, sondern denselben heimlich entlaufen und den sinnlichen Lüsten sich ergeben.

Auch die Bestimmungen über die Gewalt der Aeltesten sind nicht passend. Allerdings könnte man leicht sagen, dass sie als sittliche und für die Mannestugend hinlänglich erzogene Männer dem Staate nützlich sein müssen; allein es ist doch schon bedenklich, dass sie auf Lebenszeit zu Richtern in den wichtigsten Angelegenheiten bestellt sind; denn es giebt nicht blos ein Alter für den Körper, sondern auch für den Geist. Wenn sie aber gar in der Weise erzogen sind, dass selbst der Gesetzgeber ihnen nicht, als guten Männern, vertrauen kann, dann ist die Einrichtung nicht ohne Gefahr und viele Mitglieder dieser Versammlung scheinen in Staatsangelegenheiten Geschenke angenommen, oder sonst nach Gunst entschieden zu haben. Deshalb wäre es besser, wenn sie nicht unverantwortlich wären, was sie jetzt sind. Man könnte wohl meinen, dass ja das Amt der Ephoren alle Beamten zur Rechenschaft ziehen könne; allein dies ist für die Ephoren ein viel zu grosses Geschenk und ich meine, dass nicht auf diese Weise Rechenschaft abgelegt werden sollte. Auch ist das Verfahren, was für die Wahl der Aeltesten stattfindet, kindisch und es ist nicht recht, dass der, welcher des Amtes würdig erkannt worden, sich selbst darum bewerben soll; denn der, welcher für das Amt passend ist, muss es übernehmen, mag er wollen, oder nicht.

Allein der Gesetzgeber verfährt auch hier, wie bei anderen Puncten der Verfassung; er will seine Bürger ehrgeizig machen und deshalb benutzt er dies auch bei der Wahl der Aeltesten, da Niemand sich um ein Amt bewerben wird, wenn er nicht ehrgeizig ist und doch werden die meisten der absichtlichen Vergehen von den Menschen aus Ehrgeiz und Geldgeiz begangen.

Was das Königthum anlangt, so soll später darüber verhandelt werden, ob dessen Bestand den Staaten nützlich ist, oder nicht; aber auf jeden Fall wäre es für den Lakonischen Staat besser, nicht so wie jetzt zu verfahren, sondern jeden König nach seinem Lebenswandel zu beurtheilen. Auch ist selbst der Gesetzgeber offenbar nicht der Meinung, dass er sie zu sittlichen guten Männern machen könne; er traut ihnen nicht, als wären sie keine zuverlässigen und rechtlichen Männer; deshalb sandte er ihnen ihre Gegner als Begleiter auf den Feldzügen mit und er erachtete es zuträglich, wenn die Könige unter einander uneins wären. Auch hat der, welcher zuerst die gemeinsamen Mahle, die sogenannten Phiditien, einführte, dies nicht richtig gemacht. Diese Zusammenkünfte hätten mehr auf Staatskosten eingerichtet werden sollen, wie in Kreta; bei den Lakoniern muss aber Jeder beitragen, obgleich Manche sehr arm sind und den Aufwand dafür nicht bestreiten können. So tritt das Gegentheil von dem ein, was der Gesetzgeber beabsichtigte: er wollte die gemeinsamen Mahle zu einer demokratischen Einrichtung machen, aber bei solcher Anordnung sind sie durchaus nicht demokratisch; die sehr Armen können nicht Theil nehmen und doch ist dies bei ihnen die herkömmliche Bedingung zum Bürgerrecht, denn wer diesen Beitrag nicht leisten kann, ist davon ausgeschlossen.

Das Gesetz über die Befehlshaber zur See ist schon von Anderen getadelt worden und mit Recht; denn es führt nur zu Unruhen, da neben den Königen, als den Feldherren zu Lande, die lebenslängliche Befehlshaberstelle über die Seemacht als ein beinahe zweites Königthum hingestellt worden ist. Auch könnte man den Grundlagen des Gesetzgebers dasjenige zum Vorwurf machen, was schon Plato in seinen »Gesetzen« geltend gemacht hat, nämlich, dass die ganze Anordnung seiner Gesetze nur auf einen Theil der Tugend und zwar auf die kriegerische abzielt. Diese Tugend ist zwar gut für die Oberherrschaft und deshalb erhielten sie sich auch, so lange sie Krieg führten; aber während ihrer Oberherrschaft gingen sie zu Grunde, weil sie nicht verstanden ihre Musse gut anzuwenden und weil sie sich in keinen von den anderen, aber der Kriegskunst fern stehenden Künsten geübt hatten. Ein nicht geringerer Fehler als dieser, ist es, dass sie glauben, die Güter, um die am meisten gekämpft wird, würden mehr durch Tugend, als durch Schlechtigkeit gewonnen; hierin haben sie wohl Recht, aber dass sie diese Güter noch über die Tugend stellen, ist unrichtig.

Auch in Bezug auf die Staatsgelder ist es bei den Spartanern schlecht bestellt; denn in der Staatskasse ist Nichts, obgleich sie zu schweren Kriegen gezwungen sind und die Abgaben schlecht eingehen, da den Spartanern der grösste Theil des Landes gehört und sie deshalb einander in der Steuerzahlung nicht controlliren. So ist das Gegentheil von dem eingetreten, was der Gesetzgeber Nützliches wollte; den Staat hat er mittellos gemacht und die Einzelnen geldgierig.

So viel über die Staatsverfassung der Lakedämonier denn dies sind die Puncte, die man am meisten tadeln könnte.
(Aus Aristoteles "Politik", übersetzt von J. H. v. Kirchmann, projekt-gutenberg.org)

 

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