Skepsis und Prävention als Leitsterne der Unterscheidung
(gh) - "Wunder gibt es immer wieder – aber künftig ohne kirchliches Gütesiegel. Das Glaubensdikasterium stellt die Skepsis gegenüber der Instrumentalisierung statt der Wahrheitsfrage ins Zentrum des Umgangs mit angeblichen Wundern – und erzeugt damit weiteren Reformbedarf", teilt katholisch.de mit. "Wunder sind prekär geworden. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaft lassen immer weniger Raum für das übernatürliche Wirken Gottes in der Welt. Seit Jahrhunderten warten die Gläubigen im Dom zu Neapel jedes Jahr dreimal sehnsüchtig darauf, ob sich das Blut des Märtyrers Januarius verflüssigt.
Denn wird das heilige Blut in der kostbaren Ampulle nicht flüssig, gilt es als schlechtes Omen. Was den Neapolitanern ein Wunder ist, glaubt die Wissenschaft ganz nüchtern erklären zu können: In der Ampulle befinde sich kein wirkliches Blut, sondern ein Stoff mit ungewöhnlichen Fließeigenschaften. 'Thixotropie' heißt das Phänomen, bei dem 'nichtnewtonsche Fluide" dünnflüssig werden, wenn sie deformiert werden. Vulgo: Wenn der Bischof die Ampulle schüttelt. Ob in der Ampulle wirklich Märtyrerblut ist oder eine solche thixotrope Substanz, ist nicht bekannt: Direkt untersuchen konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den wunderverdächtigen Stoff noch nie.
Als Wunder ist das Blut des Januarius von der Kirche offiziell nicht anerkannt und das, obwohl es schon seit 1389 immer wieder flüssig wird. Das Blutwunder von Neapel ist symptomatisch für die Herausforderung, vor der der Wunderglaube der Kirche in der rationalen Gegenwart steht. Die Entzauberung der Welt, von der der Soziologe Max Weber vor gut 100 Jahren gesprochen hat, ist auch in der Kirche in vollem Gange. Weber meinte damit, dass sich das Weltbild der Menschen grundsätzlich rationalisiert hat: 'dass man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, dass es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, dass man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne'".
domradio de. fragt deshalb skeptisch: "Gibt es heute noch Wunder in der Katholischen Kirche? - Wenn das Unerklärliche erklärbar wird - Eine Marienstatue in Sachsen sorgte für Schlagzeilen, weil sich auf ihr ein Blutfleck bildete. Jetzt zeigt sich: Es war kein Wunder, sondern nur eine Ansammlung roter Milben. Aber gibt es heute noch Wunder, die die Kirche anerkennt? Von einer derartigen Entzauberung der Welt, oder vielmehr von einem kirchlichen Symptom der Entzauberung der Welt, sprach auch Glaubenspräfekt Víctor Manuel Fernández bei der Vorstellung der 'Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene': Auch er beschrieb, wie schwer sich die Kirche heute mit Wundern tut.
Die bisher geltenden Regeln für die kirchenamtliche Klärung von Wundern gingen noch davon aus, dass ein Wunder – ganz rational-bürokratisch – mit einem klaren, schwarz-weißen Ausgang bewertet werden könne: 'constat de supernaturalitate' oder 'constat de non supernaturalitate' – die Übernatürlichkeit steht fest, oder es steht fest, dass es nicht übernatürlich ist. Im Graubereich war die Formulierung 'non constat de supernaturalitate', 'es steht nicht fest, ob …'. Laut Fernández sind seit 1950 nur sechs solcher Verfahren mit einem abschließenden Ergebnis beschieden worden' Wie viele davon mit dem Prädikat 'constat de supernaturalitate", verriet er nicht. Die Bewertung der angeblichen Marienerscheinung in Međugorje steht mittlerweile im fünften Jahrzehnt aus. Bis heute äußert sich die Kirche nicht dazu, ob die Übernatürlichkeit feststeht oder nicht – wä"hrend über die Jahre Millionen von Pilgern den Weg zum Wallfahrtsort finden'".
Was folgt daraus? Kein Wunder: "Wunder sind in der modernen Welt also überwiegend wissenschaftlich erklärbar, seien es Blutwunder wie in Neapel oder Ostro oder Wunderheilungen in Lourdes. Es gibt auch heute noch Fälle, die nicht erklärt werden können, aber folgt man der Argumentation des Mediziners Cornel Sieber ist die Abwesenheit einer wissenschaftlichen Erklärung nicht im Umkehrschluss der Beweis für ein Wunder. Für den persönlichen Glauben sollte das aber nicht unbedingt eine Rolle spielen, das ist auch der Standpunkt des Vatikans. Selbst wenn ein sogenanntes Wunder mit naturwissenschaftlichen Argumenten erklärt werden kann, heißt das nicht, dass Christen darin nicht auch ein Zeichen Gottes sehen können. Vielleicht liegt die Antwort auf Gottes Wirken bei Wundertaten nicht im 'Wie', sondern im 'Warum'". Noch vier W dazu, und der ganze Qualtätsjournalismus wäre fertig. Wenn's den mal gäbe, das wäre wirklich ein Wunder!