AIDA nova – Die neue Art der Weltrettung
Von Vera Lengsfeld
Es ist nicht meine erste Begegnung mit einem Kreuzfahrtschiff. In den 90er Jahren bin ich mit meiner Schwester von Venedig zu den griechischen Inseln gefahren und zurück. Damals waren die Schiffe noch verhältnismäßig klein. Es gab ein paar hundert Passagiere an Bord, es ging fast familiär zu.
Nun der zweite Versuch. Wir waren schon einen Tag vorher in Kiel angereist und hatten im Unique, die billigere Variante des Atlantik-Hotels Quartier genommen. Abgereist waren wir in der ersten Maiwärme in Thüringen, die mich vergessen ließ, meinen Mantel mitzunehmen. Kiel empfing uns eiskalt, windig und nass. Von der Stadt hätten wir sowieso nichts sehen können. Aus der Fahrt, die 4,5 Stunden dauern sollte, wurden sechs, denn es ging von Baustelle zu Baustelle. Kurz vor Hamburg zeigte uns das Navi an, einen größeren Umweg zu nehmen, um Baustellen auf der Autobahn nach Kiel zu vermeiden. Wir landeten aber nur in weiteren Baustellen. Deutschland ist zu einem Flickenteppich geworden. Die Infrastruktur bröckelt an allen Ecken und Enden.
Das Hotelrestaurant wollte uns erst ab 20.30 bedienen. Zum Glück sahen wir auf der anderen Straßenseite den „Blauen Engel“, den ich gern jedem Kielbesucher weiterempfehlen kann. Wir bekamen einen hervorragenden Matjes mit Schwarzbrot und Marmelade. Bis dahin hatte ich die Marotte meines Großvaters, Bückling mit Marmeladenbrot zu essen, für einmalig gehalten. Nun erfuhr ich, dass es eine Kieler Spezialität ist. Wahrscheinlich ein so genanntes Armeleuteessen.
Ich kann versichern: Es schmeckt!
Während wir mit Blick auf den Hafen aßen, lief die AIDA nova ein. Meine Freundin erzählte mir, dass sie schwere See gehabt habe. Der stürmische Wind ließ sogar das Wasser im Hafen kabbelig werden.
Als wir am anderen Vormittag an Bord gingen, hatte sich der Wind etwas gelegt, aber es war immer noch eiskalt. Ich hatte mir vorsorglich noch eine knielange Steppweste besorgt, um besser gewappnet zu sein.
Wie 4000 Passagiere an Bord gehen, ist ein Erlebnis für sich. Wir hatten zwar einen Slot für 11 Uhr gebucht, aber Ungeduldige, die erst um 12.00 einchecken sollten, standen zu Dutzenden frierend vor dem Tor, so dass man sie mitleidig einließ, was die Warteschlange unendlich verlängerte.
Als wir endlich an Bord waren, hatten wir aber Glück. Unsere Kabinen, die erst in zwei Stunden verfügbar sein sollten, waren schon fertig. Das Gepäck wurde uns später nachgeliefert. Das Schiff würde erst um 20.30 ablegen, aber noch einmal von Bord zu gehen, war angesichts des Trubels undenkbar.
Am Nachmittag wurden wir vom Kapitän informiert, dass jetzt auf den Balkonkabinen nicht geraucht werden dürfe, denn dass Schiff wurde als erstes Kreuzfahrtschiff mit LNG-Gas betankt. Der Käptn war hörbar stolz darauf. Er hielt das offensichtlich für einen entscheidenden Beitrag zur Klimarettung. Überhaupt ist das Schiff voller Botschaften, dass sich Eigner und Crew den hehren Zielen der Vielfalt und des Klimaschutzes verpflichtet fühlen. An der Bordwand prangt der Slogan „Green Cruising“ und das Zeichen des Blauen Engels, der Umweltprädikate vergibt. Ich fühlte mich an den russischen Adel erinnert, der spätestens nach der Februar-Revolution seine Schlösser und Güter mit roten Fahnen schmückte, in der Hoffnung, den Vernichtungsplänen der Bolschewiki zu entgehen. Geholfen hat es freilich nichts.
Was die Vielfalt betrifft, ist sie fast ausschließlich auf Seiten der Crew vorhanden, besonders beim Kabinenpersonal. Die Passagiere sind überwiegend Biodeutsche, besonders viele Familien mit Kleinkindern.
Um nicht missverstanden zu werden, ich habe nichts gegen Kreuzfahrten an sich, ich finde nur, dass man mit solch einer Propaganda verschont werden sollte.
Mit der klassischen Seefahrt hat das Ganze nichts mehr zu tun. Es ist eher ein schwimmender Vergnügungspark. Jede Menge Shows, Spaß und Spiele, Entertainment auf der ganzen Linie. Jeden Tag gibt es von morgens bis spät abends dutzende Angebote. Eins hätte ich gern wahrgenommen, die Besichtigung der Küche für über 4000 Esser. Aber da hatte ich Enkel-Dienst.
Die Informationen sind eine Art Infotainment, gewürzt mit jeder Menge Wörter wie „toll“, „absolut“ und „mega“.
Es gibt 16 Restaurants und Bars. Wer nutzt die? Wir haben schließlich Vollpension. Inclusive Tischwein und Bier mittags und abends. Allerdings scheint es zahlreiche Käufer des „Getränkepakets“ für über 200 Euro gegeben zu haben, denn überall an Deck und in den Whirlpools sitzen coctailschlürfende Menschen. Alle verfügbaren Liegen sind mit Handtüchern drapiert, also irgendwie belegt, auch wenn niemand in der Nähe ist.
Meine Kabine ist eine Insel der Ruhe in diesem Trubel. Das Sofa steht vor dem Balkon und bietet einen unverstellten Blick auf die See. Als ich morgens um fünf das erste Mal aufgewacht bin und die tiefblaue unendliche Wasserfläche sah, war ich doch froh, hier zu sein. Ich bewunderte die Seeleute früherer Zeiten, die sich in Nussschalen in diese Weite gewagt haben, ehe ich wieder einschlief.
Am Morgen sahen wir, dass wir keinesfalls allein waren. Immer wieder kamen Schiffe an uns vorbei oder waren in der Ferne sichtbar. Meine Enkeltochter jauchzte jedes Mal vor Freude, wenn sie ein neues Schiff entdeckte. Am Abend unseres „Seetages“ war in der Ferne die Küste von Schweden zu sehen. Am anderen Morgen würden wir Oslo erreichen.
Aber vorher musste noch ein medizinischer Notfall ausgeschifft werden.
Das gelang bewundernswert. In den 20-30 Minuten, die bis zum Eintreffen des Rettungshubschraubers verblieben, gelang es der Crew alle Decks und Balkons menschenleer zu machen. Eine Crew von schätzungsweise einem Dutzend Mitgliedern stand bereit, notfalls den Kranken per Seil in den Hubschrauber zu befördern, falls der nicht landen könnte. Es war eine Freude zu sehen, wie hochprofessionell auf der AIDA nova ein Notfall gemanagt wird. Kurz nach Abflug des Hubschraubers waren alle Decks wieder frei, um den schönen Sonnenuntergang bewundern zu können.
(vera-lengsfeld.de)