Künstliche Intelligenz macht Dumme nicht klug
Von MEINRAD MÜLLER
Der PI-NEWS-Artikel von Sonntag „Grok und ChatGPT machen Schüler dümmer: Mit Macht zur Maschine“ bedarf einer Gegenrede. Er könnte gerade jene Leser verunsichern, die sich bislang noch nicht näher mit dem Thema Künstliche Intelligenz (KI) beschäftigt haben und sie in eine falsche Richtung lenken. Statt nüchtern zu fragen, was Technik leisten kann und was nicht, wird hier eine Drohkulisse aufgebaut, die an die alten Ängste beim Aufkommen von Autos, Traktoren, Webstühlen oder Computern erinnert.
Dabei ist der Vergleich geradezu lehrreich: Als der Traktor kam, musste kein Bauer mehr das Pferd vor den Pflug spannen. Das war kein Weltuntergang, sondern eine Erlösung für Rücken, Hände und Lebenszeit. Schaufel und Spaten stehen zwar noch immer im Geräteschuppen. Doch wer würde heute freiwillig noch zehn Hektar Acker per Hand umgraben und Wochen diese Schwerstarbeit leisten wollen? Ein effizienter Landwirt nutzt Maschinen. Schneller zu sein ist kein Luxus, sondern Überlebensbedingung. Knechte bezahlen, das kann er schon lange nicht mehr.
KI ist nichts anderes als ein neues Werkzeug. Wer früher stundenlang in Archiven und Bibliotheken wühlte, kann heute mit kluger Fragestellung binnen Sekunden ein Wissensfeld schnell überblicken. Es ist wie mit Google, nur vielfach ausführlicher. Die geistige Anstrengung bleibt, nur das mühselige Suchen entfällt. Die Maschine wird nicht von sich aus aktiv, die KI stellt selbst keine Fragen. Es ist der Mensch, der seine Arbeit delegiert. Wie ein Arbeitgeber, der Arbeit „geben“ kann, so muss ein Ki-Nutzer, der Maschine die richtigen Fragen geben können.
Neue Werkzeuge rufen neue Ängste hervor
Übersetzer, Bilanzprüfer oder Anwälte werden sich in Bälde neue Aufgaben suchen müssen. Politiker hingegen müssten nicht mehr „nach Bauchgefühl“ entscheiden. Sie könnten sich von einer virtuellen Gruppe von 1000 Referenten ein Thema ausarbeiten lassen. Sie können dabei sogar vorgeben, aus welcher Perspektive ein Gesetzentwurf betrachtet werden soll. Menschen können das nicht in gleicher Weise. Sie sind parteipolitisch geprägt und bemerken oft nicht einmal, wie sehr ihre Sichtweise eingeengt ist.
Natürlich rufen neue Werkzeuge auch neue Ängste hervor. Röntgenologen, die heute MRT-Bilder beurteilen, greifen dank KI auf 100.000 ähnliche Fälle zurück. Und ja, auch Wirtschaftsprüfer, Übersetzer, Programmierer oder Grafiker fragen sich: Wird mein Beruf bald nicht mehr gefragt sein? Aber dieselbe Frage stellte sich schon 1893 der Kutscher, als das erste Taxi vorbeifuhr.
Man muss kein Digital-Prediger sein, um zu erkennen, worum es eigentlich geht. Es geht nicht um die Ersetzung des Menschen, sondern um seine Befreiung. Warum sollten wir stupide Formulare abtippen, Vorfälle sortieren, Betriebsabläufe strukturieren oder Textabschnitte nummerieren, wenn das eine Maschine fast kostenlos übernehmen kann? So wie der Geschirrspüler uns vom Abwasch befreit, nimmt die KI uns das Stumpfe ab. Was wir zurückbekommen, ist Zeit für das Eigene, das Kreative, das wirklich Menschliche.
KI verlangt Neugier, Übung und sehr viel Training
Auch Musiker können sich nicht einfach ein Radio mit auf die Bühne nehmen und auf den Knopf drücken. Genauso kann die KI zwar Vorschläge machen, aber gespielt wird noch immer von Menschenhand. Wer bisher nur 28 Tasten des Klaviers kennt, wird auch mit KI keine Symphonie zustande bringen. Doch wer die ganze Klaviatur mit 88 Tasten beherrscht, der spielt klüger, mit weniger Kraftaufwand und erhält mehr Applaus.
Noch ein Bild: Der moderne Laptop funktioniert nicht nach der AEG-Methode – also „Auspacken, Einschalten, Geht“. Wer ihn bedienen will, muss sich einarbeiten. Sonst sitzt selbst der klügste Kopf davor wie der sprichwörtliche Ochs vorm Berg. Genauso ist es mit KI. Sie verlangt Neugier, Übung und sehr viel Training. Diese Aussage trifft der Autor dieses Textes nun seit zwei Jahren intensivster Beschäftigung mit KI. Keine Aufgabe löst sich von allein, aber vieles schneller.
KI ist dabei sogar ehrlich. Sie schreibt und gibt zu, dass sie sich irren kann. Solche Töne liest man weder in anwaltlichen Schriftsätzen noch in ärztlichen Gutachten. Die Maschine fordert geradezu zum Mitdenken auf. Sie macht Fehler. So wurde in einem Text zum 17. Juni die Berliner Mauer versehentlich ins falsche Jahr verlegt. Auch greift der Mensch ein. Es ist nicht alles KI, was glänzt.
Das Pferd war einst Standard, bis der Traktor kam
Man muss nicht jeder neuen Mode hinterherlaufen. Aber man sollte auch nicht den Fehler machen, ein neues Werkzeug kleinzureden, nur weil man es noch nicht kennt. Das Pferd war einst Standard, bis der Traktor kam. Und wer heute glaubt, sich aus Stolz oder Snobismus der Entwicklung entziehen zu können, wird bald zusehen, wie andere an ihm vorbeiziehen.
Denn eines gilt: Wer KI kleinredet, wird zwar nicht durch KI ersetzt, aber durch einen Mitbewerber, der KI zu bedienen weiß. So sicher wie das Amen in der Kirche.
(pi-news.net)