SPIEF 2025: Die multipolare Realität klopft an – Berlin macht nicht auf
Von ELENA FRITZ
Vom 18. bis 21. Juni blickt die wirtschaftspolitische Welt erneut nach St. Petersburg. Dort findet das 28. St. Petersburg International Economic Forum (SPIEF) statt – ein Treffen, das vielen im Westen kaum noch bekannt ist, obwohl es de facto eine der wichtigsten globalen Plattformen zur wirtschaftlichen Neuvernetzung geworden ist. Während sich die Bundesregierung und große Teile der deutschen Medienlandschaft in gewohnter Selbstgewissheit abwenden, schreiben andere Länder längst die neue wirtschaftspolitische Landkarte – ohne uns.
„Gemeinsame Werte: Grundlage für Wachstum in einer multipolaren Welt“ – so lautet das offizielle Motto des SPIEF 2025. Ein Satz, der an Klarheit kaum zu überbieten ist. Nicht nur, weil er den Anspruch erhebt, jenseits der westlichen Wertedogmatik gemeinsame Grundlagen für wirtschaftliches Wachstum zu definieren. Sondern weil er den Bruch mit der regelbasierten Ordnung so unverhohlen formuliert, dass man sich fragt, wie lange Berlin das noch ignorieren kann.
Denn während sich Europa und insbesondere Deutschland wirtschaftlich selbst strangulieren, wächst rund um dieses Forum ein neuer Kreis aus Akteuren zusammen: China, Indien, die VAE, Südafrika, Brasilien, Simbabwe, Oman – sie alle waren 2024 vor Ort, mit insgesamt 21.800 Teilnehmern aus 139 Ländern. Über 1000 Verträge im Umfang von mehr als 70 Milliarden Euro wurden dort abgeschlossen – darunter Dutzende mit internationalen Unternehmen. SPIEF ist längst nicht mehr Symbolveranstaltung, sondern konkret gelebte Wirtschaftsdiplomatie.
Deutschland: Gehorsam statt Interessen
Man hätte erwarten dürfen, dass ein Land wie Deutschland – Exportnation, Industriehochburg, Technologieland – an einem solchen Forum zumindest mit Beobachtern teilnimmt. Doch Fehlanzeige. Offizielle Vertreter bleiben fern. Aus Prinzip. Aus Gehorsam. Aus Selbstverleugnung.
Die offizielle Linie lautet, man wolle mit einem „Aggressor“ keine Bühne teilen. Die Wahrheit ist: Man beraubt sich jeder Möglichkeit zum wirtschaftlichen Realismus. Denn während Berlin den moralischen Alleingang zelebriert, reisen Vertreter aus Frankreich, der Schweiz und den USA durchaus nach St. Petersburg – etwa Robert Agee, Präsident der US-Handelskammer in Russland. Nicht, weil sie Russland mögen, sondern weil sie wissen: Man muss reden, wenn man handeln will.
SPIEF: Nicht „russisch“, sondern multipolar
Wer das SPIEF noch immer für eine russische Ersatzveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum in Davos hält, hat die Entwicklung der letzten Jahre verschlafen. Das Forum hat sich zu einem kristallinen Spiegel multipolarer Realität entwickelt: BRICS-Staaten koordinieren hier ihre wirtschaftliche Zukunft. Energie- und Infrastrukturpartnerschaften werden verhandelt. Cybersicherheit, Ernährungssouveränität und Technologiebündnisse stehen ebenso auf dem Programm wie die Revision der internationalen Wirtschaftsarchitektur.
In diesem Jahr diskutieren Teilnehmer unter anderem die Zukunft von Jalta und Potsdam als Ordnungsmodelle. Was nach Historikerdebatte klingt, ist in Wahrheit die programmatische Neudefinition der Weltordnung – ohne Europa, ohne Deutschland, ohne die selbsternannten Wertehüter des Westens.
Die große Leerstelle heißt Berlin
Während Russland und China Brücken bauen, während Indien, Vietnam und die VAE gezielt neue Allianzen suchen, während Brasilien und Südafrika mitreden wollen – verharrt Berlin in dogmatischer Schockstarre. Kein realistischer Blick auf Interessen, keine erkennbare Außenwirtschaftsstrategie, keine Souveränität im Denken.
Dabei ist die Lage in Deutschland mehr als alarmierend:
Energiepreise auf Rekordniveau
Industrieproduktion im Rückgang
Investitionsklima im freien Fall
Mittelstand in struktureller Defensive.
Kurzum: Deutschland verliert den Anschluss. Nicht, weil andere sich abwenden, sondern weil man selbst jeden Weg zur Kooperation verbaut.
Fazit: Wer blockiert, wird ersetzt
Das SPIEF ist kein Ort für Hymnen auf Moskau – sondern ein Marktplatz für Interessen. Wer nicht mitverhandelt, wird nicht gefragt. Wer nicht präsent ist, wird ersetzt. Die multipolare Welt ist keine Zukunftsmusik. Sie ist Gegenwart. Berlin aber spielt immer noch Kalten Krieg.
Und so bleibt die Frage offen: Wie lange können wir es uns noch leisten, nicht dabei zu sein? Und wie lange glauben wir, dass moralische Selbstüberhöhung wirtschaftliches Überleben garantiert?
SPIEF 2025 zeigt, was möglich ist – wenn man will. Deutschland zeigt, was passiert, wenn man nicht mehr kann.
(pi-news.net)