Zugriff auf fremdes Staatsvermögen erwies sich als rechtlich nicht tragfähig
Von David Cohnen
Der Ausgangspunkt der aktuellen europäischen Entwicklung war der Versuch, eingefrorenes russisches Staatsvermögen, das insbesondere in Belgien verwahrt wird, dauerhaft zu beschlagnahmen und der Ukraine zur weiteren Kriegsführung zur Verfügung zu stellen. Dieser Schritt stellte einen massiven Eingriff in Eigentumsrechte dar und hätte einen folgenreichen Präzedenzfall im internationalen Finanz- und Völkerrecht geschaffen. Dennoch wurde er politisch mit Nachdruck verfolgt - maßgeblich auch von Deutschland und seiner politischen Führung.
Dass dieser Versuch letztlich scheiterte, lag nicht an moralischen Skrupeln, sondern an der rechtlichen Realität. Haftungsrisiken, mögliche internationale Klagen, die Verletzung grundlegender Eigentumsgarantien und die Sorge einzelner Mitgliedstaaten, insbesondere Belgiens, vor unabsehbaren Folgekosten führten dazu, dass eine Einstimmigkeit nicht erreicht werden konnte. Der Zugriff auf fremdes Staatsvermögen erwies sich als rechtlich nicht tragfähig.
Doch das Scheitern dieses Vorhabens führte nicht zu einer politischen Neubewertung, sondern lediglich zu einem Strategiewechsel. An die Stelle der offenen Beschlagnahmung trat die gemeinsame Aufnahme von rund 90 Milliarden Euro neuer Schulden zur Unterstützung der Ukraine. Formal handelt es sich dabei um eine wirtschafts- und haushaltspolitische Maßnahme, die nach den EU-Verträgen mit Mehrheitsbeschluss möglich ist. Genau hier beginnt jedoch die eigentliche Problematik.
Die Europäische Union trennt juristisch zwischen der Beschaffung von Geld und dessen Verwendung. Diese Trennung ist formal korrekt, politisch jedoch hochproblematisch. Denn die 90 Milliarden Euro werden nicht für einen offenen, neutralen Zweck aufgenommen, sondern mit dem expliziten Ziel, die Fortsetzung eines Krieges zu ermöglichen. Monat für Monat sterben in diesem Krieg Abertausende Menschen. Die Finanzierung dient nicht abstrakter Stabilisierung, sondern konkret der Verlängerung militärischer Auseinandersetzungen.
Damit wird aus einer wirtschaftlichen Maßnahme materiell eine militärisch kriegsunterstützende Handlung. Eine solche Handlung fällt nach Sinn und Zweck eindeutig in den Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, für die grundsätzlich Einstimmigkeit erforderlich ist. Diese Einstimmigkeit wird jedoch umgangen, indem die Entscheidung zeitlich und formal in einen vorgelagerten Finanzakt ausgelagert wird.
Kurz gesagt:
Die Geldbeschaffung mag juristisch mehrheitsfähig sein.
Die Verwendung dieser Mittel zur Kriegsfortsetzung ist es nicht - jedenfalls nicht ohne Einstimmigkeit.
Eine Maßnahme, deren alleiniger Zweck die Ermöglichung militärischer Gewalt ist, kann nicht dadurch ihrer politischen Verantwortung entkleidet werden, dass man sie als Haushaltstechnik deklariert. Wer die Finanzierung beschließt, beschließt faktisch die militärische Unterstützung mit. Alles andere ist eine juristische Fiktion.
Diese Konstruktion wird politisch nicht nur hingenommen, sondern aktiv getragen - insbesondere durch die deutsche Führung. Der Bundeskanzler, hier personifiziert durch Friedrich Merz, tritt dabei nicht als Bremser oder Mahner auf, sondern als treibende Kraft. Deutschland unterstützt diese Linie, macht sie mehrheitsfähig und übernimmt damit eine Schlüsselrolle bei ihrer Durchsetzung.
Gerade für Deutschland hat diese Politik gravierende Folgen. Als wirtschaftlich stärkster Mitgliedstaat haftet Deutschland faktisch für rund ein Drittel der neuen Schulden - etwa 30 Milliarden Euro. Diese Haftung trifft einen Staat, der bereits heute strukturell überfordert ist. Deutschland ist hoch verschuldet, kann seinen Haushalt nur noch durch massive Neuverschuldung stabilisieren und plant für die kommenden Jahre zusätzliche Schulden in Billionenhöhe. Ein ausgeglichener Haushalt ist auf absehbare Zeit nicht erreichbar.
Diese finanzielle Lage ist kein Naturereignis, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen und Prioritätensetzungen. Zu diesen zählen unter anderem eine dauerhafte und kostspielige Kriegsunterstützung, das Ausbleiben wirksamer Maßnahmen zur Begrenzung illegaler Migration, ein Sozialstaat mit immer geringeren Leistungsanforderungen sowie eine stetige Umverteilung von Einkommen und Vermögen ohne nachhaltige Gegenfinanzierung. Der Staat verpflichtet sich immer weiter, ohne seine Einnahmenbasis entsprechend zu stärken oder Ausgaben konsequent zu begrenzen.
Vor diesem Hintergrund wiegt die Rolle des Bundeskanzlers besonders schwer. Friedrich Merz hätte die Möglichkeit, finanzielle Tragfähigkeit zur Leitlinie politischen Handelns zu machen, europäische Verpflichtungen an klare Bedingungen zu knüpfen und nationale Belastungsgrenzen offen zu benennen. Stattdessen unterstützt er eine Politik der Entgrenzung: neue Schulden, neue Haftungen, neue Verpflichtungen - bei gleichzeitig ungelösten inneren Problemen.
Die Folge ist ein wachsender Vertrauensverlust. Bürger erleben einen Staat, der erklärt, was juristisch zulässig ist, aber nicht mehr, was politisch verantwortbar bleibt. Legalität ersetzt Legitimität, formale Korrektheit ersetzt politische Ehrlichkeit. Entscheidungen von größter Tragweite werden technokratisch verpackt und ihrer tatsächlichen Bedeutung entkleidet.
Die eigentliche Groteske besteht darin, dass Politik glaubt, sich selbst erklären zu können, indem sie sich juristisch absichert. Doch Politik, die nur noch mit Konstruktionen argumentiert, verliert den Bezug zur Realität der Menschen. Die Umgehung der Einstimmigkeit bei der Finanzierung eines Krieges ist dabei kein Randphänomen, sondern Ausdruck eines grundlegenden Problems politischer Verantwortung.
In diesem Sinne ist der Bundeskanzler, hier verkörpert durch Friedrich Merz, nicht nur Teil des Systems, sondern eine zentrale Figur seiner Zuspitzung. Nicht, weil er allein entscheidet, sondern weil er führt - und diese Führung bewusst in Richtung weiterer finanzieller und politischer Selbstüberforderung lenkt. Genau deshalb muss seine Verantwortung benannt werden. Nicht polemisch, sondern sachlich. Nicht aus Prinzip, sondern aus Notwendigkeit.
