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Turbinen drehen sich am längsten Strom der Erde für den Strom
Von Hans Hofmann Reinecke
Am 9 September 2025 wurde GERD, der „Grand Ethiopian Renaissance Dam“ mit großem Zeremoniell eingeweiht. Er soll landesweite Energieversorgung ermöglichen und den Zustrom durch den Blauen Nil regulieren, um eventuelle Hochwässer zu vermeiden. Das stromabwärts gelegene Ägypten hat von Anfang an gegen das Projekt protestiert. Dort will man nicht zulassen, dass eine andere Nation Kontrolle über seine wichtigste Lebensader bekommt.
Der Strom der Ewigkeit
Mit insgesamt 6650 Kilometern ist der Nil der längste Fluss der Erde, und er ist die Lebensader Ägyptens.
Der „eigentliche“ Nil ist aber nur halb so lang, denn er bildet sich erst durch den Zusammenfluss des weißen mit dem blauen Nil. Am blauen Arm begann 2011 der Bau eines der weltweit größten Wasserkraftwerke, dem Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD), welcher am 9.September 2025 seiner Bestimmung übergeben wurde. Er liegt im Norden Äthiopiens, nahe der Grenze zum Sudan. 1000 Kilometer stromabwärts von GERD liegt Karthum, wo sich Weißer und Blauer Nil vereinigen, 2500 Kilometer stromabwärts liegt der Assuan Damm, und 3700 km sind es bis nach Kairo.
Eine Scherbe aus dem Teller
Ein Wasserkraftwerk gilt als umweltfreundlich und nachhaltig. Stimmt das? Voraussetzung für seinen Bau sind sehr spezielle topographische Gegebenheiten. Stellen Sie sich eine Landschaft vor, in die ein riesiger Suppenteller eingesenkt ist, bei dem talwärts eine Scherbe fehlt. Durch den Teller fließt ein Fluss, und der verlässt den Teller natürlich durch den talseitigen Spalt. Würde man nun diesen Spalt künstlich schließen, dann könnte das Wasser nicht entweichen, und der Teller würde sich langsam füllen, bis er überläuft. Am Fuß der Mauer, mit der der Spalt geschlossen wurde, kann man nun ein Rohr einbauen, durch welches das Wasser mit hohem Druck entweicht. Damit könnte man eine Turbine antreiben und schließlich Strom erzeugen.
.. Wie lange würde es dauern, bis der Blaue Nil nun den Teller des GERD gefüllt hätte? Ein Jahr, dann stünde das Wasser bis zum eingezeichneten Tellerrand, und von der Gegend, mit ihren Wiesen, Bäumen und Wegen wäre nichts mehr zu sehen. Nun wäre es extrem rücksichtslos, den Fluss für ein Jahr ausschließlich für das Füllen des Damms zu beanspruchen. Schließlich liefert er etwa zwei Drittel des Wassers für den Nil. Man würde die Lebensader Ägyptens für ein Jahr fast zum Versiegen bringen.
Kriegserklärung aus Kairo
In Kairo würde man so ein Vorgehen als Kriegserklärung interpretieren, und so nahm sich Äthiopien für das Füllen gut vier Jahre Zeit, von Juli 2020 bis Oktober 2024. Und nicht nur das; man richtete sich nach den Jahreszeiten, in denen Wasser großzügig verfügbar war. Jetzt ist der „Teller“ gefüllt und 1874 Quadratkilometer Terrain sind geflutet – das entspricht drei Viertel des Saarlandes. Dabei mussten gut 15.000 Anwohner evakuiert werden.
Für die Stromerzeugung ist entscheidend, wie hoch der Pegel im Reservoir gegenüber den Turbinen ist, die am Fuße der Staumauer auf Wasser warten. Aus dem Höhenunterschied ergibt sich der Druck – 10 Meter Wasser liefern ein Bar – und mit dem verfügbaren Fluss an Wasser – Kubikmeter pro Sekunde – ergibt sich die erzielbare Leistung des Kraftwerks. Bei vollem Speicher des GERD ist der Höhenunterschied etwa 160 Meter. Es wurden insgesamt 13 Turbinen installiert, mit 5,15 Gigawatt Gesamtleistung.
Das ist also die „installierte Leistung“, und bei diesem Begriff ist Skepsis angesagt.
Installierte Leistung
Würde man alle Turbinen mit vollem Rohr auf volle Leistung drehen – vorausgesetzt es gäbe genügend Abnehmer dafür – dann könnte es sein, dass der Blaue Nil nicht genug Wasser nachliefert, um den Pegel im Reservoir hochzuhalten. Mit dem Pegel aber sinkt der Druck, und bei gleichem Durchfluss und geringerem Druck leisten die Turbinen jetzt weniger! Das will man bestimmt nicht.
Neben dem eigenen Strombedarf muss der Durchfluss auch den Anforderungen aus Ägypten gerecht werden, man hat also nicht die volle Freiheit. Manche Experten sagen, die gut 5 Gigawatt installierter Leistung wird man in der Praxis niemals realisieren können oder wollen, man hätte sich mit 3 Gigawatt zufriedengeben geben und ein paar Turbinen sparen können. Die offizielle Prognose von 17.400 Gigawattstunden jährlich ergäbe eine erwartete durchschnittliche Leistung von knapp 2 Gigawatt! Da hätte man sich vielleicht noch ein paar mehr Turbinen sparen können.
Ein paar Turbinen sparen? Das ruft Assoziationen mit Windenergie in Deutschland wach. Aber die Ähnlichkeiten sind gering. Wasserkraft ist ein Stromspeicher, er passt seine Leistung dem Bedarf an, und seine Abhängigkeit von der Natur spielt sich im Rhythmus von Monaten oder Jahreszeiten ab. Bei Windenergie geht es ja um Stunden oder Minuten. Im Vergleich von Wasser zu Wind ist Wasser offensichtlich um Vieles attraktiver. Aber wer verfügt schon über die notwenige „Suppenteller-Topografie“? Und wer könnte sich leisten ein drei Viertel Saarland zu fluten?
Und noch etwas: So ein Kraftwerk „verbraucht“ kein Wasser, das kommt nur mit geringerer Höhe hinten raus, als es vorne reingekommen ist. Und die Kraftwerke Isar2 plus Emsland hätten die Leistung von GERD auch locker geschafft.
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(vera-lengsfeld.de)