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Flucht vor Übeln?

Keine Kunst kann man durch Aufenthalswechsel erlernen

Von Seneca

Das Reisen wird dich mit fremden Völkern bekannt machen, wird dir ungewöhnliche Bergformen zeigen, wird dich aber im übrigen nicht besser und nicht gesünder machen.

Bei den wissenschaftlichen Studien soll man verweilen und bei den Vorkämpfern der Weisheit. Man soll die Ergebnisse der Forschung kennenlernen, unklare Fragen selbst erforschen. So befreit man sich aus der erbärmlichsten Knechtschaft und tritt in den Stand der Freiheit. Solange du nämlich nicht weißt, wassig, was gerecht und was ungerecht ist, wird es nicht eine Reise sein, die du unternimmst, sondern eine Irrfahrt.

Dieses Umherlaufen wird wird dir keine Hilfe bringen; denn du reist jamit deinen Leidenschaften, und deine Charakterfehler folgen dir. Würden sie dir doch nur folgen! Dann wäre wenigstens noch ein gewisser Abstad zwischen dir und ihnen. Tatsächlich aber trägst du sie in dir und kannst sie doch nicht lenken. Daher sind sie dir überall zur Last und beunruhigen dich mitständigem lästigen Drängen.

DerKranke muß sich nach einem wirksamen Heilmittel, nicht aber nach einer anderen Umgebung umsehen. Es bricht sich einer das Bein oder verrenkt sich ein Gelenk: Er wird dann nicht einen Wagen oder ein Schiff besteigen, sondern einen Arzt rufen, der die gebrochenen Knochen wieder zusammenfügt oder die verrenkten Gliedmaßen wieder in die rechte Lage bringt.

Unser geistiges Wesen aber, das an so vielen Stellen gebrochen und verrenkt ist, glaubst du durch Ortswechsel heilen zu können? Das Leiden ist zu schlimm, um noch durch eine Spazierfahrt geheilt werden zu können. Nicht durch Reisen wird man ein Arzt und ebensowenig ein Redner. Keine Kunst kann man durch Aufenthaltswechsel erlernen. Aber die Weisheit, diese größte aller Künste, sollte man auf Reisen erwerben können? Glaube mir, es gibt keinen Reiseweg, der dich über die Begierde, über den Zorn, über die Furcht hinausführen könnte. Gäbe es einen solchen Weg, so würde das Menschengeschlecht in geschlossenem Zuge dorthin pilgern".

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