Überregulierung führt zum Verlust von Freiheit und Rentabilität
Von PROF. EBERHARD HAMER (Teil 2 von 2)
Wenn in einer privaten Firma Aufgabenstau entsteht, müssen die Mitarbeiter entweder mehr oder intensiver arbeiten, um den Stau abzuarbeiten. Die Firmen können sich die Mehrkosten für zusätzliches Personal nicht leisten. Sie stehen unter Kostendruck.
In öffentlichen Büros ist das anders. Bisher stand die Hoheitsverwaltung traditionell unter Rechtmäßigkeits- statt unter Leistungszwang, musste also ihre Arbeit nur unter Rechtmäßigkeitsgründen rechtfertigen – auch wenn das Ergebnis unrentabel war. Dieses hat sich leider auf alle öffentlichen Leistungsbereiche ausgedehnt, auch auf die nicht hoheitlichen Leistungen des öffentlichen Sektors wie Bildung, Gesundheit usw. Zusätzlich haben alle öffentlichen Sektoren Entlassungsschutz eingeführt, so dass die Mitarbeiter praktisch kaum sanktioniert werden könnten, wenn sie nicht mehr fleißig sind. Das Ergebnis ist die von der Privatisierungsforschung ermittelte Zwei-Drittel-Leistung öffentlicher Mitarbeiter gegenüber privaten.
Wenn also öffentliche Aufgaben nicht mehr vollständig und rechtzeitig erfüllt werden, „muss zusätzliches Personal eingestellt werden“. So wächst jede Bürokratie, wie die Aufgaben wachsen, nimmt aber nicht ab, wenn die Aufgaben sich wieder reduzieren (Parkinson-Effekt).
Die gleiche Erscheinung haben auch gewerkschaftsbeherrschte Sozialverwaltungen. In Wolfsburg arbeiten 15.000 in der Produktion, über 45.000 „VW-Beamte“ in der Verwaltung. Früher wurden Beamte gering – vor allem mit „Ehre“ – bezahlt, heute dagegen zahlt der öffentliche Dienst mehr als der Mittelstand seinen Mitarbeitern zahlen kann, weil letzterer für erstere die höchsten Abgaben der Welt tragen muss.
Deutschland ist vom Rechtsstaat zum Rechtsmittelstaat geworden
Dazu hat in den vergangenen Jahrzehnten die Gewerkschaft ÖTV es mit den von ihr abhängigen Politikern erreicht, für immer mehr öffentliche Berufe generell die Besoldungsstufen zu erhöhen, z. B. für Lehrer, Polizisten, aber auch Sozialarbeiter, so dass mehr als die Hälfte des öffentlichen Dienstes nun zu den „Besserverdienenden“ (aus den Abgaben der Schlechterverdienenden) besteht. Von den etwa 4,6 Millionen bei meist unproduktiven öffentlichen Arbeitgebern beschäftigten Personen verdienen 2,9 Millionen Mitarbeiter oberhalb des Median-Einkommens. Das entspricht einer Quote von 63 Prozent.
Aus dem früher sparsamen Staat und seinen bescheidenen Dienern ist heute eine Geldschleudermaschine mit üppig bezahlten öffentlichen Funktionären geworden. Am schlimmsten ist, dass ein immer größerer Teil der mit Lebenszeit angestellten und versorgten öffentlichen Dienern ihre Posten nicht mehr nach Qualifikation, sondern nach politischer Einstellung erlangen. Die Ampel-Regierung hat in den ersten zwei Jahren ihrer Herrschaft allein 10.000 minderqualifizierte Parteisoldaten in die Ministerien gedrückt, die man nach unserem öffentlichen Dienst-Recht nie wieder loswird, auch wenn sie kontraproduktiv sind.
Ein weiterer Bürokratisierungsschub hat sich daraus entwickelt, dass wir vom Rechtsstaat zum Rechtsmittelstaat geworden sind, dass in jedem Verwaltungsakt nicht nur Rechtsmittel möglich, sondern durch Rechtsschutzversicherungen oder auf Staatskosten (Immigranten) auch üblich sind. Das hat wiederum dazu geführt, dass nicht mehr wie in Preußen generelle Vorschriften erlassen und ihre Anwendung der dezentralen Kompetenz unbestechlicher Beamter überlassen blieb. Inzwischen regeln die öffentlichen Vorschriften alles und jedes so speziell wie möglich, damit die Beamten möglichst wenig Ermessensrisiko, aber auch Handlungsfreiheit haben.
Überbürokratisierung macht Staat zum größten Wirtschaftsplayer
So haben sich Überregulierung und Überbürokratisierung gemeinsam gegenseitig gesteigert, haben den privaten und vor allem den wirtschaftlichen Freiheitsraum des privaten Handelns ständig reduziert und entgegen allen marktwirtschaftlichen Prinzipien den Staat längst wieder zum größten Wirtschaftsplayer unserer Volkswirtschaft gesteigert. Dadurch gewinnen vor allem die Großunternehmer, die selbst überreguliert und überbürokratisiert sind und sich mit Staatsbürokratie am besten verstehen. Mittelständische Branchen dagegen werden dadurch bürokratisch erdrückt, müssen immer mehr nur nach Vorschriften als nach Marktchancen arbeiten.
Das Mittelstandsinstitut Niedersachen z.B. hat ermittelt, dass Ärzte heute 40 Prozent ihrer Zeit mit Dokumentation, Kontrollen und Bürokratie verschwenden, statt die Patienten behandeln zu können. Kein Wunder, dass wir Ärztemangel haben!
Und ebenso hat die Landwirtschaft heute ihre Produktion mehr nach öffentlichen Vorschriften als nach rentablem Landbau zu richten, weil das Überleben der Betriebe immer mehr davon abhängt, mehr offizielle Subventionen zu erzielen als höhere Erträge aus den Produktionen. Das gilt vor allem auch für die Viehzucht. Aus vielen mittelständischen Branchen wird die gleiche Überbürokratisierung beklagt, sind aber Zahlen dafür noch nicht erarbeitet.
Bürokratieüberwälzung auf die Wirtschaft
Die vorstehend erwähnte Bürokratiebelastung der Betriebe ist gerade jetzt unter der Ampel-Regierung gewachsen. Schon vor 40 Jahren hat der Verfasser empirisch ermittelt,
+ dass Gesetzgeber und Bürokratie die Ausübung der Verwaltung zunehmend auf die private Wirtschaft abgedrückt haben, dass sie m.a.W. kraft ihrer Hoheitsgewalt immer mehr bürokratische Pflichten ohne Kostenersatz auf die Wirtschaft abwälzen, diese also als kostenlosen Hilfsdiener in Anspruch nehmen.
+ Insgesamt belasteten schon vor 40 Jahren jährliche Bürokratiearbeiten im Durchschnitt alle Betriebe mit etwa 1057 Stunden. Das waren 132 Arbeitstage oder 26,4 Wochen eines Mitarbeiters (mit Urlaub und Feiertagen 30 Wochen). Seitdem sind tausende eigene und zusätzlich weitere zigtausende EU-Pflichten hinzugekommen.
+ Den Unternehmen entstanden dadurch schon vor 40 Jahren Kosten von mehr als 50.000 DM, damals für die meisten untersuchten Unternehmen höher als ihr durchschnittlicher Nettogewinn.
+ Da alle Unternehmen die gleichen Formulare ausfüllen und die gleichen Meldungen und Kontrollen leisten müssen, wirkte sich die Bürokratieüberwälzung umso schädlicher aus, je kleiner die Unternehmen waren. Kleinunternehmen sind relativ 14 mal so stark durch Bürokratiearbeiten belastet wie Großunternehmen. Pro Mitarbeiter lagen damals die Bürokratiekosten in Kleinbetrieben bei fast 700 DM, in Mittelunternehmen mit 100 Beschäftigten bei ca. 500 DM, bei Großunternehmen aber unter 100 DM. Die Bürokratieüberlastung ist also in ihrer Wirkung besonders mittelstandsschädlich. Und das hat sich seit der Untersuchung des Mittelstandsinstituts 1979 nicht etwa gebessert, sondern dramatisch verschärft, wie die vorgenannten 40 Prozent Bürokratiekosten bei Ärzten und Landwirten erkennen lassen.
+ Allein für statistische Arbeiten waren im Durchschnitt für jeden Betrieb in Deutschland 109 Stunden notwendig, heute schätzungsweise 140 Stunden.
+ Für die Steuerbürokratie waren es damals 172 Stunden, jetzt über 200, trotz Einschaltung eines Steuerberaters, allein im Unternehmen selbst.
+ Die größte Belastung – die Hälfte der zeitlichen Gesamtbelastung – versursacht die Sozialrechtsbürokratie mit damals mehr als 500 Stunden. Sie wirkt sich wegen der Personalintensität auf den Mittelstand überproportional und am belastendsten für die Kleinunternehmen – z. B. das Handwerk – aus.
Das Mittelstandsinstitut hatte aber auch Abhilfevorschläge. Zum Beispiel:
+ die Sozialbeiträge als echte Steuer ins Sozialsystem zu übernehmen,
+ dass für Kleinbetriebe großzügigere Pauschalierungen eingeführt werden,
+ dass die Statistik grundsätzlich privatisiert würde,
+ dass zunächst einmal alle Doppelmeldungen, Doppelstatistiken, Doppelkontrollen u.a. durch unterschiedliche Behörden vereinheitlicht würden.
Alle Versuche der Bürokratie-Reduzierung sind bisher gescheitert
Alle Versuche, die Bürokratie durch Reduzierung der Bürokraten abzuschlanken, sind bisher bescheiden oder vergeblich geblieben. Am wirksamsten wäre es darum, wenn ganze überflüssige Behörden geschlossen würden, wie z. B. das Wolfsbüro in der Landesregierung Hannover, die vielen überflüssigen und teuren Beauftragten mit ihren Stäben, die explosiv gewachsene Umweltbürokratie u.a. Ein Regierungswechsel könnte hierfür der richtige Zeitpunkt sein.
Diese Vorschläge werden immer wieder seit den vergangenen 40 Jahren von der Mittelstandsforschung gemacht, ohne dass sich Politik und Verwaltung dadurch rühren ließen. Es kostet Gesetzgeber und öffentliche Bürokratie ja nichts, wenn sie ihre eigentlichen Verwaltungsaufgaben immer stärker auf die Betriebe ablastet. Im Gegenteil: Sie bekommt zusätzliche Leistungen, die sie selbst nicht durchführen muss. Kein Wunder, wenn die eigentlich zugunsten der Betriebe arbeitenden Industrie- und Handelskammern am stärksten gegen die Privatisierung der Statistiken protestiert haben: Weil sie sie dann selbst bezahlen müssten.
Eigentlich sieht jeder ein, dass unsere Überregulierung und Überbürokratisierung zum Verlust von Freiheit und Rentabilität in der Wirtschaft führen, also schädlich sind. Es hat auch immer wieder politische Versuche gegeben, der Überflutung mit Gesetzen und Bürokratie abzuhelfen. Das Problem dieser Versuche war immer, dass jeder Versuch, Einzelregelungen abzuschaffen, den massiven Protest interessierter Lobby-Gruppen erzeugt, bei dem die Politik dann einknickt.
Was die Politik nicht schafft, wird der große Wirtschaftscrash verrichten
Dass mit Ende des zweiten Weltkrieges alle Nazi-Gesetze abgeschafft galten und die Bürokratie auf Sparflamme lief, zeigt, dass nur grundsätzliche Einschnitte den Regulierungs- und Bürokratiemoloch wieder reduzieren können. Es bleibt deshalb beim Mittelstandsinstituts-Vorschlag: Die Lebensdauer aller Gesetze muss reduziert werden, die Gesetze müssen nicht mehr nur erlassen werden, sondern auch enden, damit das Parlament neu entscheidet, ob sie überhaupt noch notwendig sind.
Die meisten Gesetze werden ohnehin innerhalb von zehn Jahren geändert, novelliert. Was nicht mehr gebraucht wird, kann auch wegfallen, muss sogar wegfallen, um unser Gesetzesdickicht aus über 2000 Gesetzen wieder zu lichten und anwendbar zu machen und unsere private Freiheit und die Handlungsfreiheit unserer Unternehmen wieder zurückzugewinnen.
Und die Bürger würden es als Befreiung genießen, wenn alle überflüssigen biologischen, grünen und unser Leben belastenden Behörden abgeschafft würden. Wenn die Politik dies nicht schafft, wird es der kommende große Wirtschaftscrash schaffen, der dem Staat mehr als die Hälfte seiner Einnahmen entziehen wird.
» Teil 1: Warum lassen wir uns durch Vorschriften und Bürokratie knechten?
(pi-news.net)