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Moldawien am Scheideweg

Zwischen Europa und Russland

Von ELENA FRITZ

Die jüngsten Wahlen und das Referendum in Moldawien haben den langjährigen europapolitischen Kurs der moldawischen Regierung massiv in Frage gestellt. Mit einem unerwartet starken Widerstand gegenüber der angestrebten Integration in die Europäische Union und eine deutliche Ablehnung der Bevölkerung zeigte sich, dass der Versuch, das Land fest in den europäischen Einflussbereich zu integrieren, gescheitert ist. Die Befürworter des EU-Beitritts lagen während eines Großteils der Stimmauszählung deutlich zurück. Doch am Ende schien eine „Magie der Auszählung“ die Meinungen auszugleichen und das Land zu spalten.

Vor den Wahlen wurde von einer stabilen Mehrheit für den EU-Kurs ausgegangen – Umfragen prognostizierten 55 Prozent Zustimmung. Die Realität zeigte jedoch ein anderes Bild. Diejenigen, die gegen den Beitritt sind, gewannen deutlich an Zuspruch und stellten den bisherigen außenpolitischen Kurs von Chisinau in Frage.

Nun liegt die Entscheidung über die Verankerung des EU-Beitritts als strategisches Ziel Moldawiens in der Verfassung beim Parlament. Dabei könnte es für die proeuropäischen Kräfte zu Überraschungen kommen. Präsidentin Maia Sandu mag punktuell Erfolge erzielt haben, doch die mehrfach verschobene Rede spricht für sich: Die sozial-ökonomischen Herausforderungen des Landes belasten die moldawische Bevölkerung schwer, und viele prorussisch gesinnte Bürger begegnen Sandu mit Ablehnung.

Im zweiten Wahlgang kaum Alternativen zu Alexandr Stoianoglo
Trotz dieser Entwicklung hat es die moldawische Opposition nicht geschafft, Sandu im ersten Wahlgang zu besiegen. Ein Grund hierfür ist die Zerstrittenheit der oppositionellen Kräfte, die es versäumt haben, sich zusammenzuschließen. Jeder versuchte, sein eigenes Wählerpotenzial zu sichern. Doch im zweiten Wahlgang wird es kaum Alternativen zu Alexandr Stoianoglo geben, der über eine breite Unterstützung verfügt und Sandu durchaus besiegen könnte. Selbst wenn Sandu diesen Wahlgang gewinnt, wird sie 2025 vor den entscheidenden Parlamentswahlen stehen, die die Machtverhältnisse neu ordnen werden. Das Parlament, das den Premierminister und die Regierung ernennt, hat weit mehr Einfluss als der Präsident.

Die Aussichten für Sandus Partei, die PAS, sind düster. Ein wichtiger Gegenspieler zeichnet sich bereits ab: Der populäre Bürgermeister von Chisinau, Ion Ceban, der zwar nicht bei den Präsidentschaftswahlen antritt, jedoch bei den Parlamentswahlen vermutlich eine zentrale Rolle spielen wird.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Moldawien sich bei einem Wahlsieg des Ceban-Lagers radikal in Richtung Russland bewegt. Wahrscheinlicher ist eine neutrale Position, ähnlich der Georgiens, bei der ein ausgewogener außenpolitischer Kurs verfolgt wird, der auf Frieden und wirtschaftliche Zusammenarbeit setzt. Um dies zu erreichen, muss die moldawische Opposition jedoch bedeutende interne Reformen durchführen. Die Sozialisten um Dodon und Stoianoglo, die stärkste politische Kraft im Land, versuchen bereits, sich vom Image einer prorussischen Partei zu distanzieren. Stoianoglo wurde vor allem deshalb als Präsidentschaftskandidat aufgestellt, weil Dodon aufgrund seines negativen Images als prorussischer Politiker kaum Chancen auf einen Wahlsieg hätte.

Russland unterstützt den Geschäftsmann Ilan Shor
Russland unterstützt insbesondere den Geschäftsmann Ilan Shor, dessen Verhältnis zu den Sozialisten jedoch angespannt ist. Shor und seine Vertreter wurden sogar von der politischen Teilnahme ausgeschlossen, was Zweifel an der Strategie seiner Förderung durch Russland aufkommen lässt.

Besonders auffällig ist die regionale Spaltung Moldawiens. Der gebürtige Gagausier Stoianoglo erzielte in der autonomen Region Gagausien 48,67 Prozent der Stimmen, während Sandu dort nur auf magere 2,26 Prozent kam. In Transnistrien, wo ebenfalls ein Referendum zum EU-Beitritt abgehalten wurde, stimmten rund 70 Prozent der Wähler gegen die europäische Integration. Diese tiefgreifende Ablehnung der Eurointegration verdeutlicht das Potenzial für eine mögliche Spaltung des Landes.

Sollte der europäische Integrationskurs scheitern, ist zu erwarten, dass die EU, die USA und die NATO härtere und effektivere Maßnahmen ergreifen werden, um Moldawien neu auszurichten. Auf der anderen Seite hängt das Schicksal der prorussischen Gebiete Gagausiens und Transnistriens von den geopolitischen Entwicklungen in der Region ab. Russland könnte diese Regionen nur unterstützen, wenn es die Kontrolle über das Schwarze Meer bis nach Odessa erlangt. Die Zukunft Moldawiens wird damit maßgeblich von den Erfolgen der russischen Militäroperationen in der Ukraine abhängen.

Moldawien steht vor einer entscheidenden Weggabelung, und der Ausgang dieses geopolitischen Schachspiels wird weitreichende Folgen für die gesamte Region haben.
(pi-news.net)

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