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Ohne Leitplanken?

Die Dialektik der offenen Gesellschaft

Von Gastautor Christoph Ernst

Kürzlich plauderte ich mit einem holländischen Bekannten über kulturelle Unterschiede. Er skizzierte mir seine calvinistischen ‚Leitplanken‘, ich ihm meine säkular-lutherischen. Wir fragten uns, warum unsere Gesellschaften so polarisiert sind und ihnen die Fähigkeit zu Kompromissbereitschaft und Nachsicht flöten zu gehen scheint, die bekanntlich die Basis für ein halbwegs ziviles Miteinander sind. Damit derlei zwischen Leuten überhaupt entsteht, bedarf es der Annahme, dass der andere ähnlich tickt wie man selbst. Es unterstellt ein gemeinsamen ‚Wir‘. Das ist der Vertrauensbonus, der nottut, um uns zu öffnen, der unsere Angstschwelle senkt und die Grundlage für ein halbwegs entspanntes Miteinander schafft.

Nur passiert das eben bloß, wenn wir davon ausgehen, im Zweifelsfall auf positive Resonanz zu stoßen. In kulturell homogenen Zusammenhängen fällt uns das leichter als in ethnisch diversen. Wir sind tribale Tiere, die instinktiv dazu neigen, sich einer ähnlichen scheinenden Gruppe zuzuordnen. Aber solange die jeweiligen ‚Leitplanken‘ einigermaßen kompatibel sind, spielen äußerliche Unterschiede wie Hautfarbe oder Geschlecht kaum eine Rolle. Weit schwieriger wird es im multikulturellen Kontext. Wo ‚das Zusammenleben täglich neu ausgehandelt werden muss‘, fühlt sich keiner mehr zu Hause. Das, was Aydan Özoğuz einst als Zukunftsmodell annoncierte, ist selten friedlich, sondern durch Misstrauen und latente Feindseligkeit geprägt. Das weiß jeder, der mal in solch einer Gesellschaft gelebt hat.

Vertrauen ist das Zauberwort für Zivilität, die magische, essentielle Zutat für das, was ein angstfreies Zusammenleben erst ermöglicht. Eben das ignorieren die deutsche und europäischen Funktionseliten seit Jahren systematisch, dabei sollten sie es tunlichst beherzigen, sofern sie darauf bauen, langfristig ohne Zwang, Folter und schweres Militärgerät auszukommen. In Demokratien fußt Legitimität nicht auf Denunziation, Zensur und Ausgrenzung, sondern auf Vertrauen.

Zivilität ist fragil. Man darf dazu übrigens auch ‚Kultur‘ sagen, weil die Fertigkeit erlernt ist. Nicht jeder hat inneren Zugang dazu oder weiß es wertzuschätzen. Insofern es macht einen Unterschied, wie und wo jemand aufgewachsen ist und welche Werte er dabei verinnerlicht hat. Anders als in Syrien oder Afghanistan hat man in Europa über die letzten Jahrhunderte das Wunder vollbracht, Clans, Stämme und Fürstentümer zu größeren Einheiten zu verbinden, die aufgrund gemeinsamer Sitten, Sprache und Schicksalswege Zusammengehörigkeitsgefühle entwickelten. So entstand bei uns ein einzigartiges sozio-kulturelles Biotop, das unter anderem die sogenannte Zivilgesellschaft hervorbrachte.

Nur ist dieses Biotop längst existentiell bedroht, weil die Leute, die es verwalten und vor invasiven Gefahren schützen müssten, diese Gefahren gezielt herstellen, indem sie Multikulturalismus hochhalten und die Massenmigration aus islamischen Kulturen fördern. Das überfordert viele Autochthone. Während die Eliten dabei sind ihre traditionellen Gemeinsamkeiten systematisch zu beseitigen, vollzieht sich an der ‚Basis‘ ein zunehmend aggressiver werdender Wettkampf zwischen der jungen, eroberungsfreudigen maskulinen Zuwanderkultur und der alternden, feminisierten europäischen Kultur.

So driften die Ziele der europäischen Führungsschicht und die elementaren Bedürfnisse der Durchschnittseuropäer immer weiter auseinander. Die Eliten träumen von globalisiertem Multikulturalismus. Sie verachten regionale und nationale Impulse als rückständig, während die Eingeborenen merken, dass das groß angelegte Sozialexperiment kulturfremder Zuwanderung auf ihre Kosten geht und sie sich auf der Verliererseite wiederfinden. Eliten und Bevölkerung ziehen schon seit Jahrzehnten nicht mehr am selben Strang. Die Einheimischen wollen Migration begrenzen. Die Eliten heucheln Einsicht, aber pushen Zuwanderung.

Da sie immer offensichtlicher nicht mehr die Interessen der Bevölkerung vertreten, geht ihre Glaubwürdigkeit flöten. Statt sich zu korrigieren, suchen sie die Wahrnehmung der Wirklichkeit zu manipulieren und greifen zu moralischer und juristischer Erpressung. Je mehr ihre Legitimität zerfällt, desto repressiver reagieren sie auf alles, was migrationskritisch und konservativ ist. Noch besitzen sie die Deutungshoheit, beherrschen Massenmedien und kulturelle Einrichtungen, aber der Unmut wächst, weil den Ureinwohnern dämmert, dass es um ihre eigene Zukunft geht. Derweil stellen die islamischen Zuwanderer längst die Machtfrage.

2019 erschien The Return of the Strong Gods: Nationalism, Populism, and the Future of the West. Der katholische Philosoph Russell Ronald Reno sagt darin das Ende der offenen Gesellschaft voraus. Die sei unfähig, grundlegenden Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden und angemessen auf die Herausforderung durch ‚geschlossene Gesellschaften‘ zu reagieren. Das schaffe eine Leerstelle, die ihr die Existenzberechtigung raube, während sie die Freiheit, die sie angeblich vertrete, tödlich bedrohe. Früher oder später werde dieses Vakuum gefüllt werden: Entweder friedlich oder gewaltsam.

Reno sieht das Entstehen der offenen Gesellschaft als eine Folge der Traumata des 20. Jahrhunderts. Nach dem Gemetzel zweier Weltkriege habe sich der Westen den Idealen Karl Poppers verschrieben, um friedliche, prosperierende Gemeinwesen mit offenen Grenzen zu schaffen, befreit von Ideologie, Nationalismus, Intoleranz und religiösem Hass. Das sollte die ‚starken Götter‘, die zuvor so viel Leid, Krieg und Gewalt verursacht hatten, zurückdrängen. Entsprechend propagierte man offene Grenzen, offene Märkte, Vielfalt und Toleranz. Eine Weile habe das glänzend funktioniert. Inzwischen jedoch sei das Projekt ins Uferlose entgleist, habe dogmatische Züge angenommen und werde selbst totalitär. Zugleich werde das geistige und spirituelle Leere, das die forcierte Transformation produziere, immer schmerzhafter spürbar.

Die offene Gesellschaft habe tradierte Bindungen, Identitäten und Heimatgefühle aufgelöst. Ohne die Erfahrung von Familie, Nähe und Gemeinschaft jedoch entwickelten die wenigsten Menschen Sinn für Verantwortung und Solidarität. Die soziale Verarmung treibe nicht nur Einzelne in die Isolation, damit ginge auch der Klebstoff kaputt, der sie als Gesellschaften zusammenhalte. Der Prozess sei dynamisch. Er gefährde ihren Kernbestand, weil die gesteigerte Entwurzelung einerseits und kulturfremde Parallelgesellschaften andererseits die längst brüchigen Gemeinwesen heillos überforderten.

Aber obwohl dieses Übermaß an Offenheit auf immer stärkere Abwehr stieße, hielten die etablierten Kräfte krampfhaft daran fest. Jegliche Kritik an ihrem ‚Konsens‘ nähmen sie als eine Bedrohung wahr und denunzierten sie als ‚reaktionär‘. Bei nationalen Untertönen malten sie sofort das Schreckensbild des Faschismus an die Wand. Tatsächlich, so Reno, starren sie bloß besessen ins Vorgestern, weil die Drohkulisse ihre einzige Daseinsberechtigung ist. Denn in Wahrheit spiegele das Erstarken des Populismus nicht den Durst nach Diktatur, sondern den Drang auf Selbstbehauptung, befeuert von der Angst vor Überfremdung und totalitären Strukturen.

Die wenigsten wollen bloß ‚Monaden‘ in einer multikulturell gleichgeschalteten Masse sein, sondern Teil eines selbstbestimmten ‚Wir‘. Sie sehnten sich nach einer spezifischen Heimat und übergeordnetem, kollektivem Sinn. Für die Herrschenden sei derlei rückwärtsgewandter Firlefanz. Sie hielten ihr Modell von Offenheit, Toleranz und Fortschritt für das einzig Wahre. Dass es für die Zwangsbeglückten immer garstigere Folgen zeitige, sparten sie aus.

Langfristig sei dieser Zustand unhaltbar, sagt Reno. Für ihn hat sich die offene Gesellschaft zu Tode gesiegt. Die Leere, die sie hinterlassen habe, kreische nach Inhalt. Sie rufe die starken Götter, und die würden früher oder später zurückkehren – entweder als gute Geister und heilsame Inspiration – oder als vernichtende Wucht, die alles Bestehende hinwegfege. Noch hätten wir die Chance, die Kräfte zu stärken, die an Herz und Verstand appellierten und an unsere besseren Traditionen anknüpften. Aber je länger die Epigonen Poppers die starken Götter gewaltsam aufzuhalten suchen, desto mehr lüden sie die Mächte der Finsternis zum Tanz und erzwängen damit genau das Unheil, das sie aufzuhalten trachteten.

Gerade hat sich Merkels Grenzöffnung zum zehnten Mal gejährt. Das Datum markiert Zweierlei: Den Triumph grenzenloser Offenheit über Sinn und Verstand. Zugleich die Ouvertüre zum Finale der freiheitlichen Gesellschaft. Denn auch aus Poppers Sicht dürfte das Ereignis ein so grandioser wie fataler Fehler sein, der Europas Absturz als historische Größe besiegelt, weil er der Islamisierung des Kontinents den Teppich ausrollt. Seit dem September 2015 erleben wir im Zeitraffer, wie Poppers Projekt an sich selbst und seinen inneren Widersprüchen scheitert.

Das ist im Wortsinn tragisch. Der vor den Nazis nach Neuseeland geflohene Wiener Denker verfasste Die offene Gesellschaft und ihre Feinde während des Zweiten Weltkriegs in Christchurch. Nachdem Friedrich von Hayek ihn im Herbst 1944 an die ‚London School of Economics‘ geholt hatte, half Ernst Gombrich ihm sein Werk 1945 herauszubringen. Popper rechnete darin mit Historizismus und den totalitären Ansätzen von Plato, Hegel und Marx ab. Er entwickelte ein Gesellschafsmodell, das egalitär, säkular und weitgehend ideologiefrei war und auf individueller Leistung und so wenig Staat wie irgend möglich fußte.
Für Popper waren Kommunismus, Kollektivismus, Faschismus und Utopismus sämtlich Spielformen der ‚geschlossenen Gesellschaft‘, die es zu überwinden galt. Sich selbst bezeichnete er als ‚kritischer Rationalist‘. Statt des Himmelreichs auf Erden schwebte ihm das Mindern von Leid vor, und bis heute ist nichts daran falsch.

Die drei Jahrzehnte vor Erscheinen seines Buches hatten eine beispiellose Serie menschengemachter Katastrophen produziert: Welt- und Bürgerkriege, blutige Diktaturen, Holodomor, Einsatzgruppen, Mordfabriken, Vertreibungen und Hungersnöte. Insofern war es nachvollziehbar, dass die Eliten die Geister austreiben wollten, die sie für die vorangegangenen Gräuel verantwortlich machten. Also adaptierten sie Poppers Ideen und schufen Gemeinwesen, die sie von nationalen und religiösen Ressentiments, Glaubenssätzen und partikularistischen Identitäten zu säubern suchten.

Der Ansatz war ehrenwert. Dummerweise schütteten sie unterwegs das Kind mit dem Bade aus. In ihrem Eifer, die Dämonen der Vergangenheit zu bannen, förderten sie einen immer aggressiveren Kulturrelativismus, der alle zivilisatorischen Unterschiede leugnete und ausschließlich den Westen angriff. Intellektuelle stürzten sich auf Europas Sünden, um den Rest taktvoll auszusparen. Während die Barbarei des Islam Welpenschutz genoss, dekonstruierten sie das Christentum und die Aufklärung. Leidenschaftliche Selbstanklage gab ihrem Büßerhemd die höheren Weihen.

Ihre Flagellation verlangte bloß Mut gegenüber Toten und Schwächeren, keine echte Introspektion oder gar tätige Reue. Insofern blieb es eine narzisstische Scharade, die Demut heuchelte, um sich durch eigene Herabwürdigung aufzuwerten und als ‚kritische Geister‘ zu posieren.

Für ausgebombte, hungrige Menschen waren Wohlstand und Wachstum wunderbare Maximen. Volle Mägen sind friedlicher als leere. Konsum statt Krieg und Kaufrausch statt Klassenkampf. Aber obwohl Brot und Spiele oder YouPorn und Netflix blendend funktionieren, haben Menschen eben nicht nur Primärbedürfnisse. Wir definieren uns über gemeinsame Geschichten. Auch in einer globalisierten Welt bedürfen wir eines inneren Zuhauses. Gerade dort. Begegnet uns Neues, ist das Alte gefordert. Befremdet uns etwas, stolpern wir übers Eigene.

Ohne etwas ‚Selbstvertrauen‘ existiert kein ‚kritisch rationales‘ Bewusstsein, das es erlaubt, uns realitätstauglich zu verorten. Denn beim Ausloten von Wunsch und Wirklichkeit zählen keine Ideale und höhere Moral, sondern nur die eigenen Grenzen. Wer die nicht kennt, vermag auch nicht zu beurteilen, was ihm guttut. Oder wie viel davon. Das ist latent lebensgefährlich, wie Frau Dr. Merkel der Welt über die letzten zehn Jahre wieder eindringlich bewiesen hat.

Westeuropa ist seit gut 60 Jahren das Ziel von immer mehr religiösen Muslimen. Prallt eine offene Gesellschaft auf eine geschlossene, sind Konflikte programmiert. Die Schärfe dieser Konflikte hängt davon ab, ob und wie leicht die Gegensätze zwischen der ‚offenen‘ und ‚geschlossenen‘ Mentalität auflösbar sind. Sind sie nachhaltig inkompatibel, wie die zwischen säkularisiertem Christentum und Islam, spielen die Zahlenverhältnisse eine Schlüsselrolle, weil sich darin die Machtpotentiale der jeweiligen Bevölkerungsgruppen spiegeln.

Letztlich entscheidet dann die Geburtenrate. Muslime bekommen deutlich mehr Kinder. Großbritannien etwa wird ab 2063 mehrheitlich islamisch sein. Dann haben die Zuwanderer die christlich-europäischen Ureinwohner in eine Minderheit verwandelt. Wie die Prognosen für Spanien, Frankreich, Belgien, die Niederlande oder Deutschland aussehen, weiß ich nicht. Aber schon lange vorher dürften die Muslime über weit mehr junge Männer im kampffähigen Alter verfügen, was für etwaige Bürgerkriegsszenarien entscheidend ist.

Atmosphärisch ist die Islamisierung auch ohne Kopftücher, Salafisten und Aufmärsche für das Kalifat greifbar. Katrin Göring-Eckardts Traum hat sich erfüllt. Deutschland ist ethisch diverser und deutlich religiöser geworden, aber keineswegs entspannter und gelöster. Die Unbeschwertheit, die ich aus der Ära vor Merkel erinnere, hat sich weitgehend verflüchtigt. Bei neuralgischen Fragen ist das Terrain inzwischen auch im privaten Rahmen vermint. Zugleich sind immer mehr Themen tabu. Während die Meinungsfreiheit stückweise stirbt, gerinnt importierter Judenhass überall in Westeuropa zur neuen Normalität.

Auch Kirchen brennen dort nun dauernd. Islamfreundliche Sprach- und Speisevorschriften machen sich breit. Noch sind sie ‚woke‘ verpackt, doch dahinter schimmert bereits die Allianz der ‚postkolonialen Linken‘ und zugereister ‚Gotteskrieger‘ durch. Der Muezzin-Ruf ertönt immer öfter in deutschen Städten, während die Grünen in Berlin Ramadan-Beleuchtung fordern.

Karl Popper gab einst zu bedenken, dass tolerante Gemeinwesen nur so lange tolerant bleiben, wie sie nicht zu viel Intoleranz dulden. Vermutlich vermochte er sich nicht vorzustellen, was sich in Europa abspielt. Auch ich hätte mir nie träumen lassen, dass Politik, Medien, Justiz und staatsfinanzierte NGOs ein repressives Schweigekartell bilden würden, um das notorische Fehlverhalten und die Intoleranz islamischer Kolonisatoren zu vertuschen, zu verharmlosen und gar nicht erst zu ahnden.

Es kam mir nie in den Sinn, dass linke Parteifunktionäre, von denen sich viele als ‚Antifaschisten‘ bezeichnen, so verblendet sein könnten, eine gewalttätige, todesverliebte Ideologie besinnungslos zu verniedlichen und zu hofieren, obwohl diese Ideologie ihre Kultur zutiefst verachtet und beseitigen will. Inzwischen dämmert mir, dass sie den Islam hofieren, gerade weil er ihre Kultur zu beseitigen verspricht. Andere, etwa in den Büros der EU-Kommission oder öffentlich-rechtlichen Medienanstalten, tun es, weil sie befürchten, sonst ihre Einkommensquelle und Raison d’être zu verlieren.

Weit jenseits aller Schmerzgrenzen verpflichten westliche Gesellschaften sich zu Toleranz, trimmen ihre Sprache, Justiz und Bürokratie auf Duldsamkeit gegenüber Invasoren, ohne jede Rücksicht auf Einheimische, zum Schaden von Lebensqualität, innerer Sicherheit und Zukunft der eigenen Kultur. Britische Gerichte billigen Scharia-Schlichter. Schulen gestatten, dass kleine Mädchen Kopftücher tragen. Universitäten sehen zu, wenn Männer und Frauen in Hörsälen getrennt platziert werden.

Eine prominente Jura-Professorin, die für das Verfassungsgericht kandidiert, versteigt sich zu der Aussage, dass islamistische Verhüllungen im öffentlichen Dienst harmlos seien, die Neutralität des Staates nicht gefährdeten und gestattet werden sollten. Angesichts dessen braucht es dann auch niemanden mehr zu wundern, wenn Schwule für Gaza demonstrieren, obwohl die Hamas ihr Schwulsein als ‚satanische Perversion‘ bezeichnet und mit Lynchmorden bestraft.

Die selbstmörderische Indolenz surft auf der Welle von ‚Diversität, Inklusion und Equity‘. Sie badet regenbogenbeflaggt im multikulturellen Einheitsbrei. Der kanadische Evolutions-Psychologe Gad Saad nennt dieses Dekadenz-Phänomen ‚suizidale Empathie‘. Für mich offenbart es das tiefe Elend einer heillos verunsicherten und innerlich entkernten Gesellschaft, die eigene Werte entweder gar nicht mehr kennt oder sich nicht mehr traut, sie zu benennen, weil sie fürchtet, sonst sofort als ‚rassistisch‘ oder ‚islamophob‘ bezeichnet zu werden.

Doch so erleben nun längst abgeschaffte und überwunden geglaubte Blasphemie-Gesetze unter der Überschrift ‚Hassrede‘ ein Revival. Als neue Ketzerei gilt nicht mehr Kritik am Christentum oder irgendeiner anderen Religion, sondern am Islam. Wer den Papst verhöhnt und Jesus verspottet, erntet Achselzucken oder beifälligen Applaus. Wer den ‚Propheten‘ karikiert oder auch nur Karikaturen von Mohammed zeigt, muss damit rechnen, dass man ihn erschießt oder ihm öffentlich den Kopf abschneidet.

Parallel zerrt eine eifrige Staatsanwaltschaft ihn im Zweifelsfall wegen ‚Hassrede und Hetze‘ vor Gericht. Israel darf man einen zionistischen Verbrecherstaat nennen und Juden wieder ungestraft öffentlich den Tod wünschen, aber wer darauf hinweist, dass und wie viele Christen weltweit durch ‚Aktivisten‘ des ‚Propheten‘ abgeschlachtet werden, gilt bestenfalls als ‚islamophob‘ und sozial unberührbar.

Der Doppelstandard zum eigenen Nachteil ist atemberaubend und Karl Popper hat ihn so gewiss nie gewollt. Sein Primat der Toleranz war eine Reaktion auf die Traumata der Intoleranz. Dass Antonio Gramscis Jünger daraus ein Projekt zur Selbstzerstörung des Westens und Abriss Europas machen würden, konnte er nicht ahnen. Doch eben das ist der Punkt, an dem die ‚offene Gesellschaft‘ achtzig Jahre nach Erscheinen seines Buches angelangt ist –von Brüssel bis Berlin.

In seinem Essay ‚Der Halbmond und die Guillotine – wie Toleranz zum Selbstmordpakt wurde‘ bemerkt Paul Friesen, der Treiber der vorauseilenden Unterwerfung sei Furcht. Furcht vor Fatwas, Shitstorms, Ausschreitungen und gestrichenen Fördergeldern. ‚Islamophobie‘ sei die Blasphemie-Keule säkularer Gesellschaften, doch sie diene nicht dem Schutz der Gläubigen, sondern solle Skeptiker einschüchtern und Kritiker stumm schalten.

Für Friesen, der als bekennender Atheist auf der Seite der Richard-Dawkins-Stiftung schreibt, ist die größte Errungenschaft des Westens die Trennung von Wahrheit und Stammesdenken, die Idee, dass man Menschen nicht nach ihrer Herkunft, Hautfarbe oder ihrem Glauben beurteilt, sondern ihrem Verhalten. Dass Frauen die gleichen Rechte genießen wie Männer und nicht deren Besitztümer sind. Weil Worte keine Gewalt sind und Zweifel an Göttern und gewaltverliebten Religionen kein Verbrechen, sondern ein heiliges Recht.

Das sehe ich ähnlich. Das dürften übrigens auch die allermeisten Christen, Juden, Hindus, Buddhisten und Shintoisten so sehen. Nur strenggläubige Muslime sehen das anders. Die sind davon überzeugt, dass es nur ihren Gott gibt und es die Pflicht aller Artgenossen ist, sich ihm zu unterwerfen. Jeder, der das verweigert, ist des Teufels. Daher müssen Muslime alle Zweifler, Abtrünnigen und Ungläubigen aus der Welt schaffen. Das ist der Wille Allahs, das Gebot des Dschihad, und falls sie dabei zu Tode kommen, sterben sie als Märtyrer und gehen unmittelbar ein ins himmlische Paradies, wo Dutzende williger Huris und ihre Dienerinnen auf sie warten und sie nie unter Potenzproblemen leiden, obwohl sie so viel süßen Wein trinken können wie sie wollen.

So und nicht anders begräbt die offene Gesellschaft sich gerade selbst. Fragt sich, ob wir das wollen. Genauso entscheidend jedoch ist, ob das die freiheitsliebenden Muslime wollen, die einst nach Europa gegangen sind, weil sie die Nase voll hatten von der Dummheit, Armut und Willkür und lieber in einer Welt leben wollten, wo sie sich ihren Stamm aussuchen durften und den Clan wechseln, um in etwas mehr Wissen und Wohlstand zu leben.
(vera-lengsfeld.de)

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