Turnberry: Der geopolitische Abschiedsbrief der Europäischen Union
Von ELENA FRITZ
Am Sonntag unterzeichneten der US-amerikanische Präsident Donald Trump und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Turnberry, Schottland, ein Abkommen (PI-NEWS berichtete), das als wirtschaftlicher Kompromiss verkauft wurde. Tatsächlich war es eine geopolitische Zäsur: Ein ökonomisch asymmetrischer Pakt, der nicht verhandelt, sondern diktiert wurde – unter Bedingungen, die nicht aus Europa selbst heraus entwickelt wurden, sondern ihm erneut von außen auferlegt wurden.
15 Prozent pauschaler Zoll auf fast alle EU-Exporte, milliardenschwere Importverpflichtungen für amerikanisches Flüssiggas und Rüstungsgüter, eine faktische Öffnung der europäischen Märkte – bei gleichzeitigem Fortbestehen einseitiger Handelshemmnisse wie etwa der 50 Prozent Zölle auf Stahl und Aluminium. Das Abkommen ist ein Schuldeingeständnis der Brüsseler Struktur, dass sie ihre wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit verloren hat. Und mehr noch: Es ist ein stiller Beleg dafür, dass die EU ihre geopolitische Rolle nicht mehr selbst definiert, sondern sich von Washington in eine ökonomische Randordnung einsortieren lässt.
Ein Projekt ohne geistigen Träger
Die Europäische Union war nie bloß ein Handelsraum. Sie war eine Idee – oder zumindest der Anspruch, eine zu sein. Doch mit jeder Runde von Sanktionen, jeder „Wertebasierten Diplomatie“, jeder regulatorischen Zentrifuge, die nationale Souveränität aus den Mitgliedstaaten herausdrückte, entfernte sich das Projekt von seiner ursprünglichen Funktion: Europa zu einen, statt es zu verwalten. Die Vereinbarung von Turnberry zeigt nun offen, was bislang nur schleichend erkennbar war: Die EU wird nicht geopolitisch geachtet – sie wird verwertet.
Für die Vereinigten Staaten – und speziell US-Präsident Donald Trump – stellt die EU kein Partner auf Augenhöhe dar. Ihre Bedeutung liegt nicht mehr in ihrer integrativen Kraft, sondern in ihrer wirtschaftlichen Nutzbarkeit. Brüssel wird nicht als Gegengewicht verstanden, sondern als Vorfeld – steuerbar, schwach, zersplittert. Der Zugriff erfolgt bilateral, gezielt, transaktional.
China betrachtet die EU zunehmend als volatiles Gebilde, unfähig zur klaren Linie. Investitionsabkommen scheitern, Exportmechanismen brechen, diplomatische Kanäle verstopfen im Diskurs über Moral und Menschenrechte. Deshalb wird längst auf bilaterale Kontakte gesetzt – dort, wo noch Reste politischer Realitätssinn vorhanden sind. Russland wiederum hat die EU als ideologischen Block westlicher Dominanz eingeordnet – als Agentur der US-Interessen, nicht als kontinentale Stimme.
Abkommen trifft Deutschland am härtesten
Die entscheidende Frage, die sich mit Turnberry stellt, lautet: Welche Rolle bleibt einem Land wie Deutschland, wenn die EU als geopolitischer Rahmen entwertet wird? Denn klar ist: Das Abkommen trifft Deutschland am härtesten. Als Exportnation, als Energieimporteur, als Staat mit einer durchindustrialisierte Struktur, die auf berechenbare Märkte angewiesen ist. Und es trifft ein Land, dessen politische Elite sich seit Jahrzehnten konsequent darauf verlassen hat, dass Brüssel den politischen Raum schützt – weil man selbst keine Machtpolitik mehr betreiben will oder kann.
Mit dem Scheitern dieser Ordnung wächst nun ein Vakuum – das entweder von außen gefüllt wird, oder von innen neu formuliert werden muss. Das Ende der transatlantischen Selbsttäuschung öffnet kein Chaos, sondern ein Zeitfenster für strategisches Denken.
Nicht im Sinne aggressiver Alleingänge, sondern als geistige Neubegründung des Politischen. Es braucht eine Ordnung, die auf Kultur, Raum, Verantwortung und Souveränität basiert – nicht auf Marktmechanismen und normativer Anmaßung.
Deutschland steht dabei nicht als isoliertes Land, sondern als zentrale Strukturkraft Mitteleuropas im Raum zwischen Atlantik und Eurasien. Ein solcher Raum ist nicht technokratisch zu verwalten – er muss geistig interpretiert, historisch verstanden und strategisch neu gedacht werden.
Akt kontrollierter Entmachtung
Die EU stirbt nicht plötzlich. Sie stirbt verwaltungstechnisch – an ihrer politischen Bedeutungslosigkeit. Was in Turnberry verhandelt wurde, war kein Moment der transatlantischen Einigkeit, sondern ein Akt kontrollierter Entmachtung.
Die Frage ist nicht mehr, ob dieses Projekt überlebt. Die Frage ist, was an seine Stelle tritt. Und wer bereit ist, diese neue Ordnung zu formulieren – nicht als Fortsetzung des Alten, sondern als bewussten Bruch mit einer Epoche, in der Europa sein Gesicht verloren hat.
(pi-news.net)