Rezension zu Wolfgang Kubicki: Aufwind im freien Fall. Eine Kampfansage.
Von Gastautor Lothar W. Pawliczak
Nein, Herr Kubicki ist nicht der letzte Liberale. Da wären ganz andere zu nennen. Es ist ja auch fraglich, ob es in der FDP überhaupt noch Liberale gibt. Aber wenn, dann gehört Herr Kubicki zu denen – the voice crying in the wilderness of the FDP. Um standing Liberals – in den USA nennen die sich Libertarians, weil im Englischen Liberals Sozis sind – zu finden, muß man aber ganz woanders hingehen, hinschauen, nachlesen, etwa beim Ludwig von Mises Institut, bei der Hayek Gesellschaft oder in Argentinien.
In der Einleitung schreibt Herr Kubicki: „Wer glaubt, die FDP sei jetzt im freien Fall, unterschätzt, wie groß das Freiheitsbedürfnis in Deutschland sein kann.“ (S. 8) Dazu wäre zu fragen: Ist nicht eher die FDP im freien Fall, WEIL sie das Freiheitsbedürfnis in Deutschland unterschätzt hat? Nicht nur, daß die FDP den staatsdirigistischen Attitüden der Grünen und SPD-Linken in der Scholz-Regierung nicht entgegengetreten ist – nein: Sie hat irren antiliberalen Gesetzen zugestimmt und damit überhaupt ermöglicht.
Da kommt dann immer die klägliche Bemäntelung, die FDP habe in der Scholz-Regierung Schlimmeres verhindert. Das ist so, als wenn sich ein Brandstifter damit herausredet, er habe doch die Feuerwehr selbst gerufen als die Flammen loderten und so Schlimmeres verhindert. Wie konnte man sich noch an einen Kabinettstisch mit einem Wirtschaftsminister setzen, der mehrfach öffentlich – etwa mit „Unternehmen sind nicht insolvent, sie hören nur auf, zu verkaufen“ – demonstriert, daß er nicht die geringste Ahnung von Wirtschaft hat?
Herr Kubicki will in seinem Buch „abklopfen, ob die Politik in den vergangenen Jahren das Beste aus unserem Land gemacht hat.“ (S. 9) Meint er das ernst? Dazu muß man doch kein Buch schreiben oder lesen, um zu wissen: Die SPD-Grün-FDP-Politik hat in den vergangenen Jahren NICHT das Beste aus unserem Land gemacht! Dafür sind SPD, Grüne und die FDP vom Wähler abgestraft worden, die FDP leider so sehr, daß sie aus dem Bundestag geflogen ist.
Hat Herr Kubicki abklopfend wenigstens ein paar Körnchen neuer Erkenntnis aufgewirbelt?
• Nach „jubelnden Teddybär-Empfangskomitees an Bahnhöfen und Selfies von Angela Merkel trat bald die Ernüchterung ein. Jetzt […] stehen wir vor einem riesigen politischen Scherbenhaufen.“ (S. 11) Was er dann ausführt, haben andere schon gründlicher geschrieben.
Und so geht es dann weiter:
• Stärkung der politischen Ränder: „Manche Themen wurden einfach nicht mehr angesprochen und damit ganze Politikfelder kampflos der AfD übergeben“ (S. 23)
• „wirkungslose[s] Aufblähen eines steuerfinanzierten Apparates von selbst- und fremdernannten ‚Nichtregierungsorganisationen‘“ (S. 26) Nun hat es Herr Kubicki also auch nochmal geschrieben.
• Meinungsfreiheit im Absturz. Herr Kubicki zitiert sich selbst aus seinem Buch Meinungsunfreiheit (2020): „Ich kann mich an keine Phase in der Bundesrepublik erinnern, in der es um die Freiheit der Meinung so schlecht bestellt war, wie heute.“ (S. 31) Achja!
• Corona und Demokratieabnutzung: Eine Liste besserer Texte zur Demokratie- und Grundrechtssuspendierung mit Merkels Coronamaßnahmen hier anzuführen, würde jede Rezension sprengen.
• Unter dem Stichwort „Elitenversagen“ weiter zur Coronakrise (S. 50 bis 67). Ohoh, Herr Kubicki: Da begeben Sie sich aber auf ganz dünnes Eis, denn wer von einem Unterschied oder gar Gegensatz zwischen Elite und Volk redet oder gar schreibt, ist bekanntlich rechtsradikal, um nicht zu sagen verfassungsfeindlich.
• Autoritäre Herausforderung und die feministische Außenpolitik: Riskiert Herr Kubicki hier einen Parteiausschluß? Zur Rede von J. D. Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz kommentiert er: „Die peinliche und dümmliche Reflexartigkeit, mit der weite Teile des deutschen Spitzenpersonals hierauf reagierten, und sich damit in moralischer Selbstzufriedenheit suhlten, hat mich ernsthaft betroffen gemacht.“ (S. 68) Ja, die Seiten 67 bis 72 mag man vielleicht mit Gewinn lesen, aber eigentlich ist alles mit diesem Satz gesagt.
• Ein fetter Staat, kein starker Staat: Anekdötchen zu staatlicher Geldverschwendung. Davon, daß die FDP im Bundestag und während ihrer Regierungsbeteiligungen in Bund und Ländern energisch gegen jegliche Geldverschwendung aufgetreten sei, liest man hier nichts – weil das ja nicht stattgefunden hat. Nichtmal die Zeit von 2009 bis 2013, als Dirk Nebel Entwicklungshilfeminister war, hatte die FDP genutzt, dieses Ministerium abzuschaffen, obwohl das doch eine ihrer programmatischen Forderungen war.
• Nach der „dröhnenden Ambitionslosigkeit“ (S. 77) der Merkel-Regierungen und der Scholz-Habeck-Desaster-Regierung ist festzustellen: „Deutschland ist in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt zu einem leistungsfeindlichen und ambitionslosen Land geworden. Hinzu kommt, dass wir unseren schon vorher vorhandenen Neid weiter ausgebaut haben.“ (S. 80) Das stimmt, ist aber keine originäre Feststellung von Herrn Kubicki.
Soweit sein „Abklopfen“ der Politik. Im Kapitel 3 ist eine hinreichende „Positionsbestimmung des Liberalismus“ für die FDP nicht zu erwarten, wenn nicht zuvor die FDP und ihre Wahlschlappe „abgeklopft“ worden ist:
• „Die Freiheit hat im aktuellen Deutschland keinen guten Stand. Ihre Kämpfer sind leise oder in der Minderzahl“ (S. 85) Das stimmt, aber erwartet der Leser hier nicht eine Analyse des Versagens der FDP? Herr Kubicki entzieht sich dem mit bekannten Feststellungen zur Erosion der Freiheit in Deutschland, zitiert dazu zwei Umfragen. Aber gäbe es da nicht wenigstens zu sagen, daß nicht ein einziger FDP-Vertreter in den Rundfunkgremien öffentlich, deutlich und laut gegen den die Bürger bevormundenden Haltungsjournalismus aufgetreten ist? Hat die FDP wenigstens die vernichtende Kritik von Mitarbeitern an ARD/ZDF, die Sanktionen befürchtend überwiegend anonym bleiben mußten, aufgenommen und unterstützt? Fehlanzeige! Kein Wort zum „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk“. Kubicki „würde“ sich „wünschen, daß sich die Medien wie die Süddeutsche, die Zeit, der Spiegel oder die taz einmal ganz grundsätzlich auf den Standpunkt der Freiheit für alle stellen.“ (S. 86)
Aha, Herr Kubicki würde sich etwas wünschen wollen, wenn er dürfte, aber er hat wohl nicht gesollt. Immerhin: „Ich möchte jedenfalls nicht, dass diejenigen, die sich als moralische Elite verstehen, für die normalen Menschen festlegen, was sie als vernünftig anzusehen haben und was man nach ihrer Auffassung tun muss, um ein akzeptierter Teil der Gesellschaft zu sein.“ (S. 86) Zu den mit Zwangsgebühren gemästeten Karrieristen von ARD/ZDF, die genau dies tun, schreibt er nichts.
• Dann findet sich noch im Schnappsack der „Positionsbestimmung“ eine milde Kritik am „Bürgergeld“ und Mindestlohn; an der „politischen Anmaßung, sich in möglichst viele Lebensbereiche einzuschalten“; an einer „problematischen Konjunktur des »Wir«“; an der Staatsfinanzierung sogenannter NGOs; an verordneter Solidarität als Staatsaufgabe; an der Hochstilisierung jeder politischen Frage zu einer der demokratischen Existenz; an der Ersetzung von Argumenten durch moralische Vorwürfe (Wenigstens hier muß ich grundlegend verweisen auf Michael Andrick Im Moralgefängnis, der das Problem nicht nur anspricht, sondern analysiert und vernichtend darüber urteilt. Dazu allerdings S. 120 eine schöne Wortfindung: „ehrenkäsig“.); an Forderungen, bestimmte Gruppen müßten proportional im Parlament vertreten sein, so daß die Wähler nicht mehr frei über die Zusammensetzung entscheiden können.
Viele haben darüber geredet und geschrieben. Fein, daß Herr Kubicki es nun auch nochmal getan hat.
Zu „Rauswurf der Freien Demokraten und ihren Ursachen“ (S. 98) fällt Herrn Kubicki zuerst als Ursache ein, daß einige FDP-Abgeordnete zusammen mit der AfD abgestimmt haben. Herr Kubicki, das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein!
Kein Wort über das Versagen der FDP in der Regierung Merkel II und unter Scholz! Dafür wird Volker Wissing abgewatscht. Das ist für einen FDPler wohlfeil, nachdem Wissing die FDP verraten hat.
Immerhin: „Die FDP feierte 2021 zwar einen Erfolg, blieb aber aufgrund der Weigerung anzuerkennen, wofür sie gewählt worden war, weit unter ihren Möglichkeiten.“ (S. 101) Es „entstand der Eindruck, die FDP wäre Teil einer linken Politikbewegung mit SPD und Grünen.“ (S. 105) Nein, es war dies nicht nur ein Eindruck, sondern die FDP hat sich zum Teil dieser Bewegung machen lassen!
Selbstbeschwörung unter den Überschriften „APO und das Ende der Freiheit?“ (S. 105 bis 109) und „Mut zur Freiheit“ (S. 111 bis 120), „Liberalismus ist nichts für Schwächlinge“ (S. 120 bis 124).
Hilft es der FDP noch, die „Rückkehr zur demokratischen Ordnung“ (S. 124 bis 128) zu fordern? Etwa 2015 hätte es ihr geholfen, wenn sie das gefordert hätte und ein Wahlbündnis mit der damaligen AfD eines Dr. Konrad Adam, eines Prof. Bernd Lucke, eines Prof. Jörg Meuthen, eingegangen wäre, was auch so manche unerquickliche Entwicklung der AfD verhindert hätte. Herr Kubicki: Die FDP hat es vergeigt! Das sagt Ihnen einer, der zuletzt die FDP gewählt hat! Da hilft auch Ihr Manifest, „Die Freiheit, die ich meine“ (S. 129 bis 133), nicht mehr.
Okay, das Wort „ehrenkäsig“ könnte die Geldausgabe für dieses Buch wert sein, aber nun habe ich es ja auch so weitergegeben.
Am 2. Juli präsentierten Wolfgang Kubicki und Armin Laschet im Pfefferbergtheater Berlin das Buch. Das Interesse war mäßig, nur etwa die Hälfte der Plätze war besetzt. Die meisten hatten wohl Freikarten von der Konrad-Adenauer-Stiftung oder von der FDP.
Die zwei Alten beide auf der Bühne. Alles schon gesagt, nun nochmal die.
Die Frage, wo denn die Stimmen herkommen sollen, daß die FDP den Wiedereinzug in den Bundestag schafft, blieb unbeantwortet. Schade, wa?
Lustig war es nicht. Wenn ich nicht vom Verlag als Rezensent eine Freikarte bekommen hätte, hätte ich die 20 Euro Eintritt zurückgefordert.
Wolfgang Kubicki: Aufwind im freien Fall. Eine Kampfansage. Westend Verlag Neu Isenburg 2025. 159 Seiten, 22 Euro
(vera-lengsfeld.de)