Gibt es ein Zurück aus der Anspruchsgesellschaft?
Von PROF. EBERHARD HAMER
Ich hatte Besuch von einer mittelalterlichen Dame, die in familiären Schwierigkeiten steckt. Sie hatte nach dem Abitur erst Medizin studiert, dann Kunstgeschichte, dann noch ein oder zwei Fächer, aber alle nicht abgeschlossen, träumte aber von einer großen Karriere als Filmemacherin, weil sie auf ihrem Handy schon einmal einen Kurzfilm zustande gebracht hatte.
Sie war bitter auf ihre Geschwister, dass diese ihr nicht das Geld für ihren Film gaben. Sie lebt von Bürgergeld, kann aber ihr Geld bis zum Monatsende nicht einteilen, sondern muss dann von guten Gaben leben oder hungern.
Auf den Vorschlag, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, etwa Pflege- oder Hilfsdienste in einem Altenheim zu leisten, wo immer Not am Mann ist, reagierte sie empört. Dies entspräche nun wirklich nicht ihrer Ausbildung und ihren Fähigkeiten. Schließlich sei die Gesellschaft dafür verantwortlich, dass sie kein Auskommen habe (der Bundesgerichtshof hat wirklich festgestellt, dass auskömmliches Hartz-IV-Einkommen „Ausdruck der Menschenwürde“ sei, auch bei denen, die nicht arbeiten wollen oder können).
Immer mehr Bürgergeldbezieher
In einem Dorf, in dem ich meine Jagdhütte habe, haben wir in der Feuerwehr darüber diskutiert, warum inzwischen mehr als acht Familien im Dorf Bürgergeldbezieher seien. Einige von ihnen sagten ganz offen, dass sie seit der Wiedervereinigung nur untergeordnete Tätigkeiten hätten ausüben können, dabei aber „weniger oder nicht viel mehr“ netto verdienen würden als sie an Bürgergeld insgesamt bekämen. Vom Bruttogehalt würden nicht nur die Sozialabgaben abzuziehen sein, sondern gegenüber dem Bürgergeld auch die Miete, die Heizung, das Auto für die Fahrt zur Arbeit und viele kleinere Vorteile vom Kindergarten über den Nahverkehr bis zum Vorteil, bei ständiger Freizeit im eigenen Garten und „gelegentlich auch für Fremde“ arbeiten zu können. Die Bürgergeldbezieher waren mit ihrer Situation längst eingerichtet und zufrieden und strebten keinen Wechsel mehr an.
Noch vor 40 Jahren in der DDR gab es nicht nur ein Arbeitsrecht, sondern auch eine Arbeitspflicht. Mein Förster hat mir erzählt, dass Langschläfer oder Trunkenbolde oder Faulpelze morgens von den übrigen Forstarbeitern mit zur Arbeit genommen würden – sogar im Schlafanzug. Er habe dann dafür gesorgt, dass sie bis Dienstschluss beschäftigt seien. Deshalb gab es in der DDR auch keine Arbeitslosigkeit.
Statt Arbeitspflicht haben wir in Gesamtdeutschland nun mit Bürgergeld das „Recht auf Faulheit“. Über sechs Millionen Deutsche und Zuwanderer (letztere in Mehrheit) leben ohne Arbeit von Sozialleistungen, vor allem 80 Prozent der 1,3 Millionen Ukrainer.
Innere Kündigung bei vielen Mitarbeitern
Die alte Ansicht, dass man „sein Brot im Schweiße des Angesichts verdienen müsse“ bzw. dass man arbeiten muss, um zu leben, ist längst durch immer mehr Sozialansprüche gegen Staat und Gesellschaft abgelöst worden. Nicht mehr der Einzelne ist für sich selbst verantwortlich, sondern der Staat und das Sozialsystem.
Ich selbst habe in einem kinderreichen Haus kein Taschengeld bekommen, aber immer Gelegenheiten, mir durch Arbeiten in der Familie oder im Garten oder mit Fahrradreparaturen oder anderem Geld zu verdienen. So habe ich es auch mit meinen Kindern gemacht. Sie wussten, sie können sich alles leisten, wenn sie das Geld dafür selbst durch Arbeiten verdienten. Das haben sie auch für andere Leute gemacht. Der Kampf um das Taschengeld wie in vielen anderen Familien war deshalb meinen Kindern fremd. Sie konnten sich alle ihre Wünsche erfüllen, wenn sie dafür arbeiteten, denn ich hatte ihnen rechtzeitig erklärt, dass auch ich für meinen und ihren Unterhalt arbeiten müsse, die Arbeit also etwas Selbstverständliches sei und oft sogar Spaß mache.
Die Wertung der Arbeit von früher einem Vorrecht zu einer Last oder sogar Strafe betrifft nicht nur die Bürgergeldbezieher und Sozialparasiten, sondern hat sich als „innere Kündigung“ sogar auch bei vielen Mitarbeitern unserer Betriebe eingeschlichen.
Geringste Arbeitslust im öffentlichen Dienst
Eine Untersuchung des Mittelstandsinstituts über die Motivation der Arbeitnehmer hat ergeben, dass die höchste Motivation zur Arbeit in den Personalunternehmen besteht, wo der Unternehmer eigentlich täglich in Zusammenarbeit mit seinen Mitarbeitern im Team Vorbild ist und die Teammitglieder untereinander Mitverantwortung für das gemeinsame Werk fühlten.
Bei Großunternehmen dagegen besteht dieses Teamgefühl nicht, geht es den Arbeitern nur um das verdiente Geld. Je mehr sie aber verdienen, desto weniger kann sie das Geld noch motivieren. Die Arbeiter der Kapitalgesellschaften haben uns mehrheitlich bestätigt, dass sie zur Arbeit wenig Lust haben, sondern nur arbeiten, weil sie müssen.
Am geringsten ist die Arbeitslust im öffentlichen Dienst. Die Bürokraten fühlen sich mit Recht weithin überflüssig, Lehrer sind nach Ansicht vom ehemaligen Kanzler Schröder „faule Säcke“, denen die höchsten Ferien aller Berufsgruppen nicht reichen, sondern die auch bei Kuren und Krankheiten Spitze sind.
Arbeitnehmer melden sich mindestens einen Tag pro Monat scheinkrank
Eine Untersuchung im Mittelstandsinstitut über Scheinkrankheiten – das sind Krankheitstage, die nur zum Schein genommen werden ohne echte Krankheit – brachte das gleiche Ergebnis: im Schnitt melden sich die Arbeitnehmer mindestens einen Tag pro Monat scheinkrank, also 12 Tage im Jahr. Die höchste Scheinkrankheitsquote haben die Beamten, obwohl sie die meisten Ferien aller Berufsgruppen haben.
An zweiter Stelle kommen die Arbeiter der Kapitalgesellschaften, die zu 42 Prozent Scheinkrankheitstage nehmen. „Offensichtlich messen die Arbeiter ihrem Fehlen im Betrieb die geringste Bedeutung bei. Sie sind vielleicht für ihre Arbeit am wenigsten motiviert.“
Am geringsten sind die Scheinkrankheitsquoten bei den Personalunternehmen und vor allem bei den Kleinunternehmen, während bei den größeren Unternehmen die Krankmeldungen wieder zunehmen. Die gegenseitige Teamverantwortung in Kleinbetrieben – aber auch die Notwendigkeit jedes einzelnen Mitarbeiters für den Gesamterfolg – haben die höchste Arbeitsmotivation und deshalb die geringsten Scheinkrankmeldungsquoten zufolge.
Unternehmerfamilien ohne Nachfolgern
Die Arbeitsunlust gegenüber der Arbeit und die „innere Kündigung“ in der Arbeit sind aber nach Untersuchungen des Mittelstandsinstituts Niedersachsen nicht nur generelles Problem von Mitarbeitern, sondern sogar von Unternehmern selbst:
In etwa 40 Prozent der Unternehmerfamilien graust es den Kindern vor der Arbeitsleistung der Eltern und wollen sie deshalb die Nachfolge nicht antreten. Sie studieren dann Kunstgeschichte, Psychologie, Politik, Ökologie oder andere unnütze „Wissenschaften“, um sich mit dem „Erbe ohne Arbeit“ Lebensqualität zu verschaffen.
Die Unternehmer selbst sind durch die Rezession unserer Wirtschaft und durch die Zerstörung der Rahmendaten durch unsere Regierungen in eine Schrumpfphase geraten, die schon eine Million Unternehmer zur Aufgabe gezwungen hat und voraussichtlich in den nächsten zwei Jahren eine weitere Million freiwillig oder zwangsweise (Insolvenz) zum Ausscheiden zwingt. Die Stimmung in der Unternehmerschaft ist noch nie so schlecht gewesen wie jetzt.
Wirtschaftsaufschwung fängt mit Begeisterung und Leistungswillen an
Wenn die öffentlichen Rahmendaten mit Energiepreis, Bürokratie, höchsten Steuern und Sozialabgaben der Welt für Unternehmer so schlecht geworden sind, dass es sich nicht mehr lohnt, sich mehr als andere (durchschnittlich 80 Stunden-Woche bei Unternehmern) anzustrengen, vollziehen viele Unternehmer den „Präferenzenwechsel“, das heißt sie streben statt der ausschließlich wirtschaftlichen zunehmend andere Lebensziele an, wie Urlaub, Ehrenämter, eine neue Freundin und anderes, was zur Reduktion der Unternehmertätigkeit im Betrieb und deshalb auch zur Reduktion der Betriebsleistung führt.
Ludwig Erhard wusste, dass Wirtschaftsaufschwung mit Begeisterung und Leistungswillen der Unternehmer anfängt, also eine persönliche Einstellung der Unternehmer ist. Mit seiner „Seelenmassage“ hat er versucht, den Unternehmern Optimismus zu vermitteln, ihre Rahmendaten zu verbessern und hat auf diese Weise ein einmaliges „Wirtschafswunder“ geschaffen. Kohl hat die Wiedervereinigung mit Kapital-Milliarden an die – meist ausländischen – Großkonzern in den neuen Bundesländern zu erreichen versucht und ist gescheitert. Ein ausreichender Mittelstand ist dort heute noch nicht aufgebaut.
Die neue Bundesregierung unter Merz hat ebenfalls Milliarden Subventionen nur für die Konzerne vorgesehen und glaubt, damit Wirtschaftsaufschwung erreichen zu können. Mittelstandsförderung ist im neuen Koalitionsvertrag nicht vorgesehen und für den Mittelstand glaubhafte Politiker noch weniger. Die Rezession wird deshalb weitergehen, weil der Leistungswille aller Bevölkerungsgruppen bis zum Unternehmer durch die wie eine Krake in die Gesellschaft gedrungene Staatsmentalität und Staatsverantwortung abgelöst wurde.
Die Masse der Menschen glaubt nicht mehr, ihr Glück aus eigener Kraft und durch eigene Leistung erreichen zu können, sondern erhofft ihre Existenz vom Staat; entweder ohne Arbeit (Bürgergeld) oder mit staatsfinanzierter Beschäftigung (öffentlicher Dienst) oder durch Reduktion von Arbeit (Vier Tage-Woche) und Leistung (innere Kündigung).
Verschuldung ist Weg in den Abgrund
Ein neues Wirtschaftswunder würde einen mentalen Wandel wieder zur Leistungsmentalität voraussetzen, den die Ampel-Regierung zerstört hat und die neue nicht vorsieht, weil auch sie den Staatssozialismus und die Staatsbevormundung in allen Bereichen von den alten sozialistischen Politikversagern fortzusetzen versucht bzw. Merz nur auf die Konzerne setzt.
Die fortbestehende Anspruchsgesellschaft wird zu weiterer Staatsbevormundung und zu weiterer Ausplünderung der noch vorhandenen Leistungsträger des Mittelstandes führen. Schon jetzt müssen ein Drittel produktiver Leistungsträger zwei Drittel unproduktiver oder nur teilproduktiver Bürger mitfinanzieren. Diese Quote wird sich noch verschlechtern und die Tendenz zur Arbeitsverweigerung einerseits und der Steigerung der Ansprüche andererseits verstärken. Schon andere Länder haben in der Geschichte durch solche Mentalitätswende ihren Absturz gefunden: Spanien, England, Frankreich, Italien.
Solange uns aber die Sozialisten einreden, unser Wohlstand und unser Wachstum hinge von mehr Staat und mehr Sozialleistungen ab und auf der anderen Seite die Kapitaldiener die internationalen Konzerne mit unseren Steuern immer höher subventionieren, gehen die persönliche Leistungsmotivation, die volkswirtschaftliche Leistung und damit der Wohlstand weiter zurück. Das lässt sich mit Schuldenexplosion (Merz) nicht aufhalten. Auch Verschuldung war nämlich nie ein Weg aus dem Abgrund, sondern immer in den Abgrund.
(pi-news.net)