Interview zum heutigen Welttag der Philosophie

Seneca, einer der größten Europäer, die je gelebt haben oder noch leben, im Chorgestühl des Ulmer Münsters.
Philosophie, wer braucht denn sowas, Herr Seneca?
Seneca: Wir müssen aufwachen, um unsere Fehler aufdecken zu können. Doch nur die Philosophie wird uns aufwecken, nur sie wird den bleiernen Schlaf vertreiben. Widme dich ihr mit gsnzer Seele. Du bist ihrer, sie ist deiner würdig. Verweigere dich allem anderen, entschieden und offen, du hast keinen Grund, nur für eine begrenzte Zeit zu philosophieren. Beseitige alle Hindernisse und nimm dir für deine Vervollkommnung Zeit. Niemand ist ihrer fähig, wenn er mit anderem beschäftigt it. Die Philosophie macht ihr Herrschaftsrecht geltend, sie gibt Zeit, sie lässt sie sich nicht geben, sie ist keine Nebensache: Hauptsache ist sie und Herrin, sie ist zur Stelle und befiehlt. Ein riesiger Abstand wird sich zwischen dirund den anderen auftun, allen Sterblichen wirst du weit überlegen sein, die Götter dir nur wenig.
Ist es also die Philosophie, welche heutige Politiker umtreibt und sie sich viel Zeit nehmen, aber weder für Politik noch für Abtritte?
Seneca: Sie scherzen, gelle, wie wir Schwaben sagen, der Welttoilettentag war gestern. Die Natur freilich hat sich die Königin ausgedacht. Das kann man an anderen Lebewesen erkennen, vor allem aber an den Bienen. Die sind mehr als Drohnen, von denen eure Zeitungen voll sind. Deren Königin besitzt daseräumigste Gemach, und zwar in der Mitte und am sichersten Platz. Nicht weit vom Männeken Pis. Außerdem arbeitet sie nicht; sie achtet darauf, dass die anderen ihre Pflicht erfüllen. Nach dem Verlust der Königin fällt das Ganze auseinander. Nie dulfen die Bienen mehr als eine Anführerin undsuchen sich die besteim Kampf. Außerdem besitzt die Königin eine auffällige Gestalt, mag sie auch klein wirken. Sie unterscheidet sich von der der anderen sowohl durch ihre Größe als auch durch ihren Glanz. Am meisten fällt sie jedoch dadurch auf: Die Bienen sind äußerst reizbar, im Verhalten zu ihrer Körpergröße sehr aggressiv und lassen ihren Stachel in der Wunde zurück, die Königin selbst ist ohne Stachel. Die Natur wolltenämlich, dass sie sanft sei und nicht nach Rache dürste, die sie teuer zu stehen käme; sie ihr die Waffe genommen und ihren Zorn wehrlos gemacht. Das ist für große Königinnen ein leuchtendes Vorbild. Königinnen, denken Sie nur an eine noch immer das Wort führende Kanzlerin, haben für ihr Alltagsgeschäft eigene Gesetze und Truppen, die sie durchsetzen.
Aber ist das nicht Politik, und keine Philosophie?
Seneca: Warum fragt Ihr denn euch jeden Tag: Wie lange noch immer wieder dasselbe und guckt immer weniger in eine Zeitung? Wollt ihr endlich wissen, wie diesem Lebensüberdruss abzuhelfen ist, den andere euch auferlegen, dann wäre es am besten, sich aktiv zu betätigen und sich der Politik und anderen sozialen Audgaben statt Sozialismus zuzuwenden. Denn wenn man sich zum Ziel gesetzt hat, seinen Mitbürgern und Mitmenschen zu nützen, ist es das beste Mittel, sich zu üben und zugleich zu vervollkommnen, wenn man sich engagiert seinen Pflichten widmet und sich so, gemäß seinen Fähigkeiten für das allgemeine und das persönliche Wohl einsetzt.
Trotz galoppierenden Facharbeitermangels?
Seneca: Verdrängt dich das Schicksal aus leitenden Positionen des Staates, der Wirtschaft, Parteien gehen, eine neue kommt, musst du dennoch standhalten und noch durch Zuruf Beistand leisten; und selbst wenn die jemand die Kehle zudrückt, musst du aushalten und noch durch dein Schweigen helfen. Die Mühen eines rechtschaffenen Bürgers sind nie ganz nutzlos. Man hört und sieht ihn; durch seine Mienen, seine Gestik, seine wortlose Hartnäckigkeit und allein schon durch die Art seines Auftretens ist er von Nutzen.
Herr Seneca, wir danken für das Gespräch.
