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„Lernen Sie Geschichte“

Zum Offenen Brief von Jeffrey D. Sachs an Kanzler Merz

Von RAINER K. KÄMPF

„Lernen Sie Geschichte, Herr Bundeskanzler! Und seien Sie dabei ehrlich! Ohne Ehrlichkeit kann es kein Vertrauen geben. Ohne Vertrauen kann es keine Sicherheit geben. Und ohne Diplomatie riskiert Europa, die Katastrophen zu wiederholen, aus denen es angeblich gelernt hat“, schreibt der amerikanische Ökonom Jeffrey D. Sachs dem Kanzler ins Stammbuch.

Diese deutliche Erinnerung scheint bitter nötig. Hoffen wir, daß Jeffrey Sachs den Adressaten erreicht. Deutschen Kritikern des Kurses unseres „Außenkanzlers“ war das bisher nicht möglich.

Sachs stellt eingehend, objektiv und sachlich korrekt fest, daß es ohne der sowjetischen und in deren Folge russischen Regierung niemals eine deutsche Wiedervereinigung gegeben hätte. Die damals unmißverständliche Zusicherung, daß sich die NATO niemals nach Osten ausweiten werde, war die Grundvoraussetzung des politischen Prozesses, der zur deutschen Einheit führte.

Was dann kam, kann natürlich mit Hilfe völkerrechtlicher Volten (Paktfreiheit) diskutiert werden. Es ist und bleibt ein Verstoß gegen die Vereinbarungen von 1990 und stellt einen absoluten Vertrauensbruch dar.

Die „Europäer“ und explizit die deutsche Regierung täten gut daran, Sachs zu folgen und die historischen Erfahrungen der Nachkriegsgeschichte seit 1945 zu verinnerlichen. Die Zeit des Kalten Krieges war für unseren Kontinent die stabilste Friedensperiode in seiner Geschichte.

Diese wurde nicht ausschließlich durch das ausgeglichene militärische Kräfteverhältnis garantiert, sondern zuerst durch die Anerkennung und Akzeptanz der jeweiligen Einfluß- und Interessenssphären. Das vermied Spannungsfälle und schuf Vertrauen, basierend auf der Bereitschaft zu Kommunikation und Diplomatie. Also das genaue Gegenteil der aktuellen Außenpolitik.

Zum Lernen ist es bekanntlich nie zu spät. Die Möglichkeit, in Europa eine dauerhafte belastbare Grundlage zu schaffen, die Frieden garantieren könnte, wurde in den 1990ern vertan. Im Gegenzug zur Auflösung des Warschauer Vertrages wäre die Auflösung der NATO die einzig mögliche und angemessene Antwort gewesen. Daran ist wohl heute kaum zu denken. Denkbar jedoch ist, daß sich die Allianz auf ihre Kernkompetenz besinnt: den Nordatlantik. Also nicht den Baltischen Raum und schon gar nicht das Schwarze Meer. Dann wären wir wieder an dem Punkt, gegenseitige Einflußspähren zu respektieren. Aus dem Respekt erwüchse vielleicht das Vertrauen, das eine ernstzunehmende Friedenspolitik voraussetzen muß.

An dieser Stelle kann Deutschland durchaus eine historische Verantwortlichkeit zugemessen werden. Nicht die übliche historische Schuld, sondern die ins Auge springende Aufgabe, die Fehler der jüngsten Vergangenheit zu revidieren und eine europäische Friedensordnung zu begründen.

Das wäre dann in der Tat wahrgenommene Verantwortung für eine europäische Sicherheitspolitik. Die zwingende Basis einer solchen Sicherheitspolitik ist ein ausgewogenes Verhältnis zu Rußland als Grundpfeiler politischer und wirtschaftlicher Sicherheit Europas.

Dem deutschen Kanzler, der den Mut, die Kraft und die Größe haben wird, einen solchen Prozeß anzustoßen und anzuführen, wäre mit vollem Recht ein Platz in der Geschichte gesichert. Wie weit sind wir davon entfernt?
(pi-news.net)

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