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Strukturelles Demokratiedefizit

Stichwahlen entscheiden heute in NRW

Von David Cohnen

Die Nachwahlen in Nordrhein-Westfalen am 28. September 2025, die sogenannten Stichwahlen für Oberbürgermeister, zeigen ein strukturelles Demokratiedefizit: Ihre Abwicklung ist intransparent, ihre Ergebnisse verzerrt. Am Beispiel von Mülheim an der Ruhr wird deutlich, warum diese Wahlform eher organisierten Minderheiten nutzt als der breiten Bevölkerung.

Eine demokratische Wahl soll legitim, fair und inklusiv sein. Doch in Deutschland - und besonders in NRW - gibt es ein strukturelles Problem bei Stich- oder sogenannten "Nachwahlen" (z.?B. zum Oberbürgermeister), das die demokratische Qualität erheblich schwächt:

  1. Informationsdefizit

Bei Stichwahlen wird keine neue Wahlbenachrichtigung verschickt. Wer seine ursprüngliche Benachrichtigung verloren oder weggeworfen hat, erhält keine Erinnerung. Viele Menschen - gerade solche, die politisch weniger aktiv sind - erfahren nur beiläufig von Wahlterminen, etwa durch kurze Nachrichten im Radio oder durch eine Schlagzeile in der Lokalzeitung. Wer nicht regelmäßig Nachrichten konsumiert, bleibt außen vor.

  1. Selektive Teilhabe

Diejenigen, die besonders politisch engagiert sind, Mitglieder von Parteien oder gut vernetzt in kommunalen Strukturen, haben einen klaren Vorteil. Sie wissen eher von der Stichwahl oder werden gezielt mobilisiert. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Minderheit - politisch organisierte Wähler - über das Ergebnis entscheidet.

  1. Verstärkter Effekt kleiner Mehrheiten

Bei geringer Wahlbeteiligung genügt eine überschaubare Mobilisierung, um den Ausschlag zu geben. Aus 5% Mehrwert werden plötzlich 20 oder 30 Prozentpunkte. So kann ein Kandidat mit relativ wenigen Stimmen gegenüber einer großen, aber inaktiv bleibenden Mehrheit triumphieren.

  1. Repräsentationsverlust

Wenn eine große Bevölkerungsgruppe faktisch gar nicht mitbekommt, dass gewählt wird, fehlt ihre Stimme. Das führt zu verzerrten Ergebnissen: Der Mandatsträger spiegelt eher die Interessen und Netzwerke der mobilsten Kreise wider als den allgemeinen Willen der Bevölkerung.

  1. Demokratie als Insider-Spiel

Stich- oder Nachwahlen werden damit zu einem "Insider-Event": Wer politisch informiert ist, Kontakte hat oder erinnert wird, bestimmt. Viele andere - durch Zufall oder Desinteresse - bleiben außen vor. Das wirkt in der Praxis undemokratisch, auch wenn es formal gesetzeskonform ist.

Diese Mechanik ist kein theoretischer Einwand, sondern empirisch bestätigt: Wahlbeteiligungen brechen in den Stichwahlen typischerweise deutlich ein - oftmals um 10 bis 25 Prozentpunkte im Vergleich zur Hauptwahl. Der Effekt ist kein Zufall, sondern systemisch verankert.

Mülheim an der Ruhr: Vom SPD-Hoch zur zersplitterten Parteienlandschaft

Historischer Rückblick: SPD früher dominant

Dieser Abstieg ist dramatisch: Von über der Hälfte der Wählerschaft zum Viertel in wenigen Jahrzehnten.

Fragmentierung der Parteienlandschaft

Früher war das politische System übersichtlich - SPD, CDU, FDP. Heute kämpfen mehrere kleinere Parteien, Wählergruppen und Listen um Aufmerksamkeit und Stimmen. In Mülheim kandidierten zuletzt zehn Listen bzw. Parteien im Rat.

Viele der neuen Parteien und Wählergruppen profitieren direkt von der Abwanderung früherer SPD-Wähler. Die SPD hat in den letzten Jahren bestimmte Themen - etwa Migration, Integration oder sozial-kulturelle Projekte - überproportional in den Vordergrund gerückt. Dadurch entfernt sie sich zunehmend von den Interessen vieler ihrer angestammten Wähler. Wer sich mit diesen Positionen nicht identifiziert, sucht Alternativen und gibt seine Stimme heute anderen Gruppen oder Parteien. Das führt zu einer Fragmentierung des früher klaren Wählerpotenzials der SPD und erklärt den dramatischen Rückgang ihrer Zustimmungswerte in Mülheim.

Oberbürgermeister in Mülheim: Kandidatin mit Migrationshintergrund?

Die aktuelle OB-Kandidatin der SPD in Mülheim heißt Nadia Khalaf. Der Nachname ist arabischen Ursprungs und bedeutet "Nachfolger" bzw. "Stellvertreter" (Quellen: WAZ, spdmh.de, Radio Mülheim: SPD Mülheim).
In den Medien wird bislang nicht explizit berichtet, dass ihre Eltern Marokkaner sind oder dass sie formal "Ausländer" ist. Dazu lassen sich keine verlässlichen öffentlichen Quellen finden.

Aktuelles Wahljahr: Kommunalwahl 2025 & Stichwahl

  • Bei der Kommunalwahl 2025 in Mülheim erreichte die SPD 25,5?% der Stimmen im Stadtrat. Wikipedia: Kommunalwahl 2025.
  • Die Wahlbeteiligung lag bei 57,25?% - relativ hoch im Vergleich zu mancher Stichwahl Wikipedia: Kommunalwahl 2025.
  • Bei der Oberbürgermeisterwahl am 14. September 2025 erreichte der amtierende Oberbürgermeister Marc Buchholz (CDU) 38,30?%, Nadia Khalaf 27,97?% - keine absolute Mehrheit, weshalb eine Stichwahl am 28. September 2025 angesetzt wurde Mülheim an der Ruhr: OB-Stichwahl.

Wenn die Wahlbeteiligung zur Stichwahl deutlich sinkt - wie dies fast immer der Fall ist - wird eine kleinere, politisch interessierte Kernwählerschaft entscheiden. So könnte ein Kandidat mit relativ geringem Mobilisierungspotenzial durchkommen, der im breiten Wählerfeld nicht die Mehrheit gehabt hätte.

Szenario: Gedeckte Demokratieverzerrung

Angenommen:

  • Bei der Stichwahl geht nur noch 35-40?% der Wähler zur Urne (ein Rückgang um 20-25 Punkte gegenüber der Hauptwahl).
  • Die SPD mobilisiert ihre Kernanhänger gezielt.
  • Personen, die zufällig informiert waren, bleiben großteils fern.

Dann ergibt sich eine Situation, in der eine Kandidatin mit hoher Parteidisziplin oder Netzwerkstruktur durchgesetzt wird, obwohl ein großer Teil der Bevölkerung nicht beteiligt war. Das Ergebnis spiegelt nicht den Grundkonsens, sondern die Effizienz der Mobilisierung. In einem solchen Fall kann das Wahlergebnis als durch und durch undemokratisch empfunden werden - nicht, weil es formal unmöglich wäre, sondern weil es die demokratische Teilhabe in der Praxis unterminiert.

Schlussbetrachtung und Forderungen

Die Einschätzung, dass ein großer Teil der Bürger gar nicht weiß, dass eine Nachwahl stattfindet und deshalb nicht teilnimmt, ist nicht nur plausibel, sondern deckt sich mit strukturellen Mängeln des Systems.
Eine Demokratie, in der Entscheidungen zunehmend von politisch organisierten Clustern getroffen werden, während der Großteil in Schweigen verharrt, gerät in eine Legitimationskrise.

Was sollte passieren?

  • Für Stich- oder Nachwahlen zum Oberbürgermeister sollten Erinnerungskarten, SMS-/E-Mail-Benachrichtigungen oder zumindest gezielte Postwurfsendungen eingesetzt werden.
  • Öffentlichkeitskampagnen sollten alle Kanäle nutzen - nicht nur Medien mit politischem Fokus, sondern auch Popkultur-Kanäle, Musikradios, Bus- und U-Bahnstadtionen etc.
  • Es sollte eine Pflicht zur klaren Sichtbarkeit des Stichwahlantrags in amtlichen Mitteilungsblättern, auf städtischen Webseiten und Plakatkampagnen geben.
  • Erhebungen zur Informationsreichweite und Wirkung von Werbemaßnahmen sollten durchgeführt werden, um gezielt jene Wähler zu erreichen, die sonst übersehen werden.

Die beste Lösung:

  • Gesetzliche Änderungen, z.B. dass Stichwahlen nur mit Benachrichtigungen oder mit Briefwahloption ohne Antrag stattfinden dürfen.

Auf keinen Fall sollte die bisherige Regelung aufrechterhalten werden.

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