SAFE – Europas Sicherheit auf Pump?
Von ELENA FRITZ
Mit großer Geste wurde der sogenannte SAFE-Fonds (Security and Defence Action for Europe) verabschiedet, der am Donnerstag in Kraft tritt: 150 Milliarden Euro zur gemeinsamen Rüstungsbeschaffung der EU-Mitgliedstaaten. Brüssel spricht von „Effizienzgewinn“, „strategischer Unabhängigkeit“ und „Stärkung der europäischen Industrie“. Auf den ersten Blick klingt das plausibel: Gemeinsame Projekte sollen Doppelstrukturen vermeiden, gemeinsame Beschaffung bessere Preise erzielen und mehr politische Geschlossenheit erzeugen.
Doch all das ist, wie so oft, eine Verpackung ohne Inhalt. Die Beschaffung wird nicht effizienter, sondern schwerfälliger. Die Preise sinken nicht, sie werden in Brüsseler Hinterzimmern ausgehandelt. Und politische Einigkeit ist hier nicht das Ziel, sondern das Feigenblatt einer Entwicklung, die das Herzstück jeder Demokratie bedroht: die nationale Souveränität in Fragen von Krieg und Frieden. SAFE ist nicht nur ein Haushaltsposten. Es ist ein Paradigmenwechsel. Die EU schafft damit eine militärische Kreditunion ohne ausreichende demokratische Legitimation.
Gemeinsame Schulden, nationale Haftung
SAFE wird über gemeinsame EU-Kredite finanziert. Faktisch bedeutet das: Deutschland haftet mit seiner Bonität für Projekte, über deren konkrete Ausgestaltung es keinerlei Einfluss hat. Der Bundestag wird weder konsultiert noch hat er Kontrollrechte. Die europäischen Verträge geben eine solche Konstruktion nicht her. Es entsteht ein rechtliches Niemandsland zwischen Vertragsrecht, Gewohnheitsrecht und politischem Opportunismus. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Maastricht- (1993) und Lissabon-Urteil (2009) klar gemacht: Militärische Kernkompetenzen dürfen nur mit Zustimmung des Bundestags und unter Wahrung des Demokratieprinzips delegiert werden. SAFE unterläuft beides.
SAFE erlaubt die Beteiligung von Unternehmen aus der Ukraine und Großbritannien. Die Ukraine ist kein EU-Mitglied, unterliegt nicht denselben Regeln, hat aber Zugriff auf milliardenschwere Projekte. Großbritannien hat die EU verlassen, zahlt nicht ein, haftet nicht – darf aber mitverdienen. Es ist, als ob man aus dem Verein austritt, aber trotzdem die Kasse weiterplündert.
Scheinbare Autonomie bei gleichzeitiger struktureller Ohnmacht
SAFE suggeriert strategische Unabhängigkeit. In Wirklichkeit wird keine europäische Verteidigungsidentität geschaffen, sondern ein Subventionsinstrument für die großen Mitgliedstaaten mit eigener Rüstungsindustrie. Kleine Staaten zahlen ein, haben aber kaum Aussicht auf Beteiligung. Der neue europäische Militarismus ist nicht solidarisch, sondern hierarchisch.
Historischer Kontrollverlust: Noch nie in der Geschichte der europäischen Integration wurde über militärische Milliarden ohne parlamentarische Kontrolle, ohne Mandat der Bevölkerung und ohne öffentliche Debatte entschieden. Selbst im Kalten Krieg waren nationale Parlamente eingebunden. SAFE markiert das Ende dieser republikanischen Ordnung.
SAFE – erster Baustein einer weit größeren EU-Aufrüstungsagenda
„ReArm Europe“ – ein Programm im Umfang von 800 Milliarden Euro. SAFE allein sieht bis zu 150 Milliarden Euro an Krediten vor, die an nationale Pläne geknüpft und zu „wettbewerbsfähigen Konditionen“ gewährt werden sollen. Die militärisch-technologische Industrie der EU wird damit gezielt ausgebaut. Die Ukraine ist von Beginn an eingebunden – als Produktionsstandort, als Absatzmarkt, als geopolitischer Vorposten.
Der offizielle Zweck: erhöhte Produktionskapazitäten, strategische Verfügbarkeit von Waffensystemen, Schließung von Fähigkeitslücken. Der inoffizielle Zweck: Kriegsvorbereitung über Bande. Die strategische Ausrichtung liegt auf der Hand – ein Stellvertreterkrieg gegen Russland über ukrainisches Territorium, kombiniert mit einer schleichenden Vorbereitung auf direkte Konfrontation. SAFE wird damit nicht nur zur Militarisierung Europas, sondern zur Selbstentmachtung und Selbstzerstörung durch überdehnte Rüstungspolitik.
Sicherheit entsteht nicht durch Größe allein
Befürworter von SAFE argumentieren, dass Europa als einzelne Nationalstaaten sicherheitspolitisch zu schwach sei, um sich gegen Mächte wie China, Russland oder die USA zu behaupten. Dieses Argument klingt intuitiv einleuchtend – ist aber sachlich falsch. Sicherheit entsteht nicht durch Größe allein, sondern durch strategische Klarheit, Verteidigungsfähigkeit und diplomatische Souveränität.
Israel, die Schweiz, Singapur, Norwegen – all diese Staaten zeigen: Auch kleine Akteure können sich behaupten, wenn sie über eine klare Verteidigungsdoktrin, gesicherte Logistik und flexible Allianzen verfügen. Auch innerhalb Europas gibt es funktionierende Alternativen: die nordische Verteidigungskooperation (NORDEFCO), bilaterale Militärabkommen wie zwischen Griechenland und Zypern oder trilaterale Formate. Europa braucht kein zentrales Kommando, sondern vernetzte Souveränität.
Entnationalisierung durch die Hintertür
Was sich hier vollzieht, ist keine sicherheitspolitische Reform, sondern ein Systemumbau: Die EU als politisches Projekt entfernt sich immer weiter von ihren Bürgern, ihren Mitgliedstaaten und ihren vertraglichen Grundlagen. SAFE ist dabei nur ein Baustein unter vielen: Schuldenunion, Steuerharmonisierung, Migrationsverordnung, jetzt: militärische Kompetenzverschiebung. Das Leitmotiv ist immer dasselbe: Entnationalisierung durch die Hintertür, technokratischer Durchgriff ohne demokratische Gegenmacht. Eine verantwortbare europäische Sicherheitspolitik kann es nur unter folgenden Bedingungen geben:
- Nationale Hoheit bewahren – Verteidigungsausgaben müssen in nationaler Hand bleiben.
- Staaten dürfen kooperieren, aber nicht gezwungen werden.
- Keine Schuldenvergemeinschaftung: Wer bestellt, muss auch zahlen.
- Wer Verantwortung trägt, muss haften.
- Souveräne Industrieförderung: Jeder Mitgliedstaat soll eigene Rüstungskapazitäten entwickeln oder in regionale Cluster investieren – aber nicht in zentralistische Großstrukturen, die demokratisch nicht kontrollierbar sind.
SAFE ist kein Ausdruck europäischer Stärke, sondern ein Symptom institutioneller Selbstentfremdung. Sicherheit kann nicht verordnet, sie muss verankert werden: in der Nation, in der Verantwortung, in der Kontrolle durch das Volk. Wer wirklich Sicherheit für Europa will, muss mit seinen Bürgern sprechen – nicht über sie hinweg entscheiden. Die Zukunft Europas liegt nicht in Brüsseler Rüstungsetats, sondern in der Rückbesinnung auf das, was Europa einst stark gemacht hat: Vielfalt in Verantwortung, Kooperation in Freiheit, Verteidigung in Selbstbestimmung.
(pi-news.net)