In 75 Jahren Bundesrepublik haben sich offenbar viele Routinen etabliert
Von Gastautor Peter Schewe
Wahlen von Verfassungsrichtern werden von Politikern und Medien als reine Routineangelegenheiten parlamentarischer Arbeit bezeichnet. Um so größer die Empörung von allen Seiten, als die Wahl von Frau Brosius-Gersdorf an einigen ‚Quertreibern‘ scheiterte und die ‚Fraktionsdisziplin‘ als Routine nicht in gewohnter Weise funktionierte. Es war ein Zeichen noch funktionierender Demokratie. Bisher war diese Wahl wohl eher nur eine Bestätigung dessen, was die Parteien im Hinterzimmer ausgekungelt hatten.
Mit Routinewahlen kannten wir uns in der DDR gut aus, 40 Jahre haben wir sie und ihre Folgen zu spüren bekommen. Immer konnten die Kandidaten der Einheitsfront des ‚Demokratischen Blocks‘ 99,98 % der Stimmen auf sich vereinigen. Gegenstimmen waren nicht möglich oder wurden als ungültig gezählt. Undemokratischer können Wahlen nicht sein.
In 75 Jahren Bundesrepublik haben sich offenbar viele Routinen etabliert. Zum Beispiel, dass die Macht zwischen den ‚Etablierten‘ wechselseitig ausgeübt wurde oder alle im Bundestag vertretenen Parteien mit Ämtern und Posten im gegenseitigen Einvernehmen versorgt wurden, streng nach regionalem Proporz verteilt. Die Routinen gehen so weit, dass selbst im Bundestag nicht mehr vertretene Parteien, wie die FDP immer noch ein Vorschlagsrecht für Verfassungsrichter zusteht und den abgewählten Grünen gleichermaßen.
Nun, da sich eine neue Kraft rechts der linken Mitte zu etablieren und den Etablierten die Macht streitig zu machen droht, gelten die alten Routinen und Geschäftsordnungen plötzlich nicht mehr. Bei der Nichtwahl von AfD-Abgeordneten in die ihnen geschäftsordnungsmäßig zustehenden Ämter, wie Alterspräsident, Vizepräsident oder Ausschussvorsitz vereinen sich CDU/CSU mit Linken, Grünen und natürlich mit dem Koalitionspartner SPD mit dem Ergebnis, dass es zwar einen linken und einen grünen Bundestagsvizepräsidenten gibt, aber keinen von der AfD. Der der größten Oppositionspartei routinemäßig zustehende Vorsitz im Finanzausschuss wird amtierend von einem Abgeordneten der Linken besetzt.
So sieht derzeit die Demokratie im Deutschen Bundestag aus: Die AfD als größte Oppositionspartei wird mit allen Tricks von den ihnen zustehenden Ämtern ferngehalten, während die Linke, die in Ihrem Programm die Abschaffung des Kapitalismus und somit der freien Marktwirtschaft, den Austritt aus der EU und der Nato zu stehen hat, sich als kleinste Fraktion aller Privilegien und Posten erfreuen darf.
Zwischen linkem Bündnis aus SPD, Grünen und Linken und der selbst errichteten Brandmauer gegen ‚rechts‘ wird die CDU/CSU zerrieben werden und bei der nächsten Wahl wohl nur noch eine Randerscheinung sein. Statt, wie Kanzler Merz nicht müde wird zu wiederholen, die AfD halbieren zu wollen, wird sich die CDU dann halbiert haben.
Zurück zur Wahl der Verfassungsrichter: Hier steht die Frage, inwieweit es überhaupt sinnvoll ist, dass jene, die von den gewählten Richtern kontrolliert werden sollen, diese auch wählen. Da drängt sich der Verdacht auf, dass immer nur die ausgewählt und dann bestätigt werden, die der jeweiligen politischen Agenda der Regierenden am nächsten stehen. Kein Geringerer, als der Verfassungsgerichtspräsident a.D. Hans-Jürgen Papier hat vor dieser Entwicklung in seinem 2019 erschienenen Buch ‚Die Warnung‘ eindrücklich gewarnt. Und die Festschreibung der ‚Klimaneutralität‘ bis 2045 in die Verfassung durch das Gericht selbst, bestätigt, dass das Verfassungsgericht zum Erfüllungsgehilfen der Politik geworden ist und als Kontrolleur für die Verfassungstreue des Gesetzgebers sich selbst zum Gesetzgeber gekürt hat.
Ja ich weiß, Richter sollen neutral, unparteiisch und unbeeinflusst von politischen Konstellationen nur dem Gesetz folgend urteilen. Weshalb ja Justitia auch die Augen verbunden sind. Aber erstens sind Richter auch nur Menschen mit inneren Überzeugungen, persönlichen Erfahrungen und unterschiedlichsten Mentalitäten. Oft hatten sie selbst schon politische Ämter inne, durch die sie geprägt wurden.
Und zweitens basiert jedes Urteil auf die Anwendung des Rechts, was bedeutet, dass die Gesetze, hier das Grundgesetz, ausgelegt werden und damit auch persönliche Überzeugungen einfließen.
Ich arbeite seit fast 30 Jahren als Gutachter für Gerichte im zivilen Bereich und weiß, wie menschlich es da oft zugeht, wie Sympathie oder Antipathie die Verhandlungsführung beeinflussen und Urteile prägen. Obwohl ich als Gutachter den gleichen Anforderungen an Unparteilichkeit wie ein Richter unterliege, weiß ich, dass man sich nie trotz aller guten Vorsätze ganz von seinen persönlichen Eindrücken und Animositäten über die streitenden Parteien losmachen kann. Man kann sich diesem Idealzustand nur nähern.
Wie könnte man nun aber ein Gericht besetzen, welches frei von jeglicher menschlichen Regung und Schwäche und nur blind nach dem Gesetz urteilt? So ein Gericht wird es nie geben können, es sei denn, wir überlassen es der KI zu richten und akzeptieren deren Fehlurteile. Aber die Besetzung der Richterstühle durch die Parteien ist der schlechteste Garant für deren Unparteilichkeit.
Ein Berufungsverfahren durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag der amtierenden Verfassungsrichter oder des Justizministers wäre ein Weg, den Einfluss der Parteien zwar nicht völlig auszuschließen, zumindest aber zu beschneiden. Auch die Berufung von Laien, wie an Schöffengerichten gängige Praxis, wäre ein Weg, den politischen Einfluss auf die Rechtsprechung zu mindern und den im Elfenbeinturm der juristischen Wissenschaft Sitzenden ihren hochtheoretischen, verwinkelten Gedankengängen entgegenzuwirken und der praktischen Vernunft und Lebenserfahrung mehr Raum zu geben.
Egal, welchen Weg man für machbar und sinnvoll hält, zu einer Routineangelegenheit sollte die Wahl der Verfassungsrichter nicht wieder werden. Aber was haben wir am 18. September erlebt? Eine in routinierter Einmütigkeit des ‚Demokratischen Blocks‘ erfolgte Bestätigung der von den Parteien Auserwählten einschließlich von Frau Kaufhold, auf deren Agenda die Abschaffung privaten Vermögens, wie etwa Wohnungen, steht.
(vera-lengsfeld.de)