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Philosophische Flötentöne

Über den Beifall und das Schweigen

Von Gaius Rufus Musonius

Wenn sich ein sogenannter Philosoph in Mahnungen, Warnungen, Ratschlägen und Vorwürfen ergeht oder irgend ein anderes Thema aus dem Bereich der Wissenschaften erörtert, und wenn dann die Zuhörer lauthals und aus voller Brust die alten, üblichen und abgedroschenen Beifallskundgebungen von sich geben, ein Riesengeschrei erheben, sich übermütig gebärden, sich durch den rhetorischen Glanz seines Vortragsstils, sein Silbengeklingel und seine ständigen Wortwiederholungen beeindruckt und erregt geben: dann kannst du überzeugt sein, dass für Sprecher wie Hörer alles vergeblich war, und du könntest den Eindruck gewinnen, dass dort nicht ein Philosoph einen Vortrag hält,s ondern ein Flötenspieler aufspielt.

Sind nämlich die Worte des Philosophen nützlich und heilsam gegen Irrtümerund Laster, wird die Seele des Zuhörers weder Zeit noch Anlass finden, in maßlosen und weitschweifenden Beifall auszubrechen. Jeder Zuhörer muss sich, wenn er noch nicht gänzlich verkommen ist, durch den Vortrag eines echten Philosophen völlig erschüttert fühlen und ohne zu sprechen, von Reue und Scham erfüllt und von Freude und Bewundwerung durchdrungen werden.

Er wird sogar sein wechselndes Mienenspiel und die Wandlungen seiner Empfindungen nicht verbwergen könen, je nachdem, wie der Vortrag des Philosophen die gesunden und kranken Teile der Seele anspricht und das Gewissen berührt.

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