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Wohlstandsversprechen?

Auch westliche Interessen spielen in der Ukraine mit

Von David Cohnen

Während die Position der EU und Deutschlands im Ukraine-Krieg in den deutschen Medien ausführlich dargestellt wurde, soll dieser Aufsatz den Versuch einer ausgewogenen Betrachtung unternehmen, indem auch die russische Sichtweise berücksichtigt wird.

1. Historischer Hintergrund
Seit der Unabhängigkeit 1991 streben bestimmte politische Kräfte in der Ukraine eine stärkere Anbindung an den Westen an. Dies wurde der ukrainischen Bevölkerung - einem der ärmsten Länder Europas - als Wohlstandsversprechen und Zugang zur westlichen Lebensweise vermittelt. Man kann dies auch als einen frühen "Wunsch nach Sicherheitsgarantien" verstehen. Die heute erhobenen Forderungen nach Sicherheitsgarantien durch EU und USA setzen diesen Kurs fort: eine engere Bindung an den Westen, sowohl politisch als auch militärisch.

Dabei spielen nicht nur ukrainische Akteure eine Rolle; auch westliche Interessen wirkten mit. So etwa die Tätigkeit von Hunter Biden im Verwaltungsrat des ukrainischen Gasunternehmens Burisma Holdings 2014, die in Russland häufig als Beleg für eine enge politische und wirtschaftliche Einflussnahme interpretiert wird. Russland betrachtet diesen westlich orientierten Kurs als direkten Nachteil für die eigene Sicherheit, bis hin zu einer als notwendig empfundenen Gegenwehr.

Die historischen Hintergründe liegen in der Auflösung der Sowjetunion 1991: Russland verlor den direkten Einfluss über seine einstigen Verbündeten. Zusammen mit Belarus und der Ukraine bildete sich im Osten ein Block, der zunächst einen gewissen Gegenpol zur EU darstellte. Annäherungsversuche Russlands an die EU fanden jedoch nur begrenzte Beachtung. Stattdessen versuchten USA und EU zunehmend, die Ukraine aus diesem "Gegenpol" herauszulösen - ein Prozess, der im Euromaidan kulminierte. Dieser führte letztlich zum Sturz des gewählten Präsidenten Janukowytsch. Das Engagement westlicher Akteure - von politischen Initiativen bis hin zu wirtschaftlicher Einflussnahme - verdeutlicht, dass die Bestrebungen zur westlichen Integration der Ukraine über rein ukrainische Entscheidungen hinausgingen und von Russland als Teil einer längerfristigen Strategie des Westens verstanden werden.

2. Eskalation im Osten der Ukraine
Die nachfolgenden ukrainischen Regierungen ergriffen mehrere Maßnahmen, die von der russischsprachigen Bevölkerung in den östlichen Oblasten als Benachteiligung empfunden wurden. In der Folge erklärten die Regionen Luhansk und Donezk ihre Unabhängigkeit. Der ukrainische Staat versuchte anschließend, diese abtrünnigen Oblaste militärisch zurückzudrängen, was die Eskalation deutlich verstärkte.

Zugleich wurde die Ukraine vom Westen aufgerüstet, und sowohl eine EU- als auch eine NATO-Mitgliedschaft wurden in Erwägung gezogen. Russland fühlte sich dadurch zunehmend bedroht. Zwar suchte Moskau nach Verhandlungen - insbesondere mit den USA -, doch diese lehnten eine direkte Gesprächsebene ab.

3. Militärische Eskalation 2022
Am 24. Februar 2022 reagierte Russland mit einer umfassenden militärischen Invasion - aus russischer Sicht eine Maßnahme zur Selbstverteidigung. Im Westen hingegen wird konsequent von einer "russischen Aggression" gesprochen, die von Russland ausgegangen sei und die nur Russland beenden könne. An dieser Gegenüberstellung hat sich bis heute nichts geändert - auch nicht im Rahmen von Friedensgesprächen.

4. Unterschiedliche Narrative
Westliche Sicht: Russland habe die Ukraine überfallen und müsse den Krieg beenden. Nur Russland könne diesen Krieg stoppen.
Russische Sicht: Der Westen habe die Ukraine gegen Russland in Stellung gebracht, russische Sicherheitsinteressen ignoriert und eine Aggression gegen Russland selbst vorbereitet. Die militärische Reaktion sei daher eine Form der Verteidigung.

Beide Narrative schließen sich derzeit gegenseitig aus.

5. Friedensverhandlungen - Hindernisse und Chancen
Heute spricht der Westen von "Sicherheitsgarantien" für die Ukraine. Tatsächlich geht es jedoch um eine engere Bindung an EU und USA - aus russischer Sicht zum klaren Nachteil der eigenen Sicherheit. Dieselben Motive wie zuvor werden lediglich unter einem neuen Begriff weiterverfolgt. Russland betrachtet dies als Bedrohung und lehnt die vorgeschlagenen Sicherheitsgarantien ab.

Unter den derzeitigen Bedingungen - solange der Westen einseitige Sicherheitsgarantien gewährt, ohne russische Sicherheitsinteressen einzubeziehen - ist es kaum realistisch, dass Russland einem dauerhaften Waffenstillstand zustimmt. Selbst wenn ein solcher zustande käme, wäre ein Verzicht auf die eigenen Sicherheitsinteressen schwer nachvollziehbar. Russland hat zudem wiederholt deutlich gemacht, dass es den bislang diskutierten Konzepten nicht zustimmen wird.

Daher steht die westliche Politik vor einer entscheidenden Frage: Soll die Ukraine dauerhaft aus dem historisch gewachsenen russisch-weißrussisch-ukrainischen Raum herausgelöst werden, oder ist eine Regelung möglich, die allen Seiten Sicherheit bietet? Erst wenn die Sicherheitsinteressen Russlands ebenso ernst genommen werden wie die der Ukraine, kann eine realistische Grundlage für Verhandlungen entstehen. Nur durch eine beidseitige Anerkennung dieser Sicherheitsbedürfnisse lässt sich eine dauerhafte Friedenslösung erreichen.

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