Aber: Bürokratieabbau geht nur, indem man die Bürokraten ‚abbaut‘
Von Gastautor Peter Schewe
Endlich tut sich etwas in Sachen Bürokratieabbau und Digitalisierung. Diese beiden wie siamesische Zwillinge aus aller Munde tönenden Forderungen haben offenbar Gehör bei den uns Regierenden gefunden:
Wir können jetzt unsere Fahrzeugzulassung auch auf dem Handy mitführen. Wir müssen uns nicht mehr plagen mit dieser Zettelwirtschaft (nur noch im Ausland) und dem ewigen Gesuche danach. Handy raus und schon erledigt. Man benötigt dazu ja nur einen onlinefähigen Pass samt PIN und Passwort, seine ID-Nr., ein Smartphone und eine App und schon ist die uns quälende und alles erdrückende Bürokratie verschwunden, wie weggeblasen. Ein wahrer Doppel-Wumms!
Bürokratieabbau durch Digitalisierung? Wer’s glaubt wird selig. Wie auch sollen Bürokratie, Formulare, Anträge und deren Bearbeitung verschwinden, nur weil sie nicht mehr auf Papier, sondern in eine unendliche Folge von Nullen und Einsen transformiert wurden?
Dazu zwei Beispiele aus eigener Praxis:
Das Ausfüllen eines Bauantragsformulars nebst den inzwischen neun erforderlichen Anlagen dauert am PC genauso lange wie händisch mit dem Stift. Auf jede der neun Anlagen müssen die Angaben zum Antragsteller, zum Bauvorhaben und zum Planer neu eingegeben werden. Statt eines Aktenordners mit Anträgen, Erläuterungen und den Plänen geht jetzt eine e-mail samt Verschlüsselungssoftware mit PDF-Dateien ans Bauamt. Gut, Porto, Papier und Toner wurden gespart. Dafür kostet die Verschlüsselungssoftware etwas.
Aber die Bearbeitung, Prüfung, die Nachfragen und wenn dann alles stimmt, die endgültige Bescheidung gehen deshalb doch nicht ein Deut schneller. Kein Beamter verzichtet doch auf seinen Ermessensspielraum, nur weil er jetzt statt Akten auf seinem Schreibtisch PDF-Dateien auf seinem Bildschirm hat. Im Gegenteil, die sich auftürmenden Aktenberge waren eher noch Motivation, sie wegzuarbeiten als irgendwelche auf dem Server gespeicherten und somit unsichtbaren Dateien.
Der Tisch ist immer aufgeräumt, alles erledigt, nur die Kaffeetasse hat dort noch Platz. Als für die Gerichte tätiger Gutachter bekam ich früher die vollständige Gerichtsakte per Post zugeschickt. Manchmal waren es auch große Pakete. Jetzt, nach der von der Justizverwaltung mit langem Anlauf umgesetzten Digitalisierung kann ich mir die Akte auf dem Justizportal herunterladen. Benutzerkennung und Passwort bekomme ich mit dem Auftrag nach wie vor in drei getrennten Briefen per Post.
Auf meinem Bildschirm erscheint eine Unzahl von PDF-Dateien mit abenteuerlichen Bezeichnungen, von denen ich aber nur einige benötige. Diese aus dem Wust von Prüfvermerken, Anträgen auf Fristverlängerungen, Verfügungen und Empfangsbestätigungen herauszufinden, gleicht einem Puzzlespiel. Ich sehe dabei vor meinem geistigen Auge den überlasteten Urkundenbeamten, der all diese Schriftstücke einscannen und zu jedem Scan noch ein Protokoll anfertigen muss.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass dadurch die Prozesse beschleunigt und Gerichtsurteile schneller gefällt werden. Mein Gutachten schicke ich mit händischer Unterschrift nach wie vor per Post ans Gericht, nicht mehr wie früher in mehrfacher Ausfertigung, sondern nur noch einfach. Der Urkundenbeamte scannt es ja eh ein. Papier und Toner gespart.
Neuerdings muss ich mein Geburtsdatum und meine Steuer-ID-Nr. angeben, damit die Landesjustizkasse mir meine Vergütung überweisen und gleichzeitig dem Finanzamt übermitteln kann, welche Beträge mir zufließen. Ich könnte ja auf die Idee kommen, davon einiges zu verschweigen. Auf meinen Vorschlag, diese Angaben doch bitte zu speichern, bekam ich von der Kostenbeamtin die Auskunft, dass das wegen des Datenschutzes nicht gehe. Wohlgemerkt: Beim Finanzamt gibt es keinen Datenschutz, bei Gericht wohl.
Ähnlich wie mir mit der digitalisierten Gerichtsakte ergeht es auch Ärzten mit der elektronischen Patientenakte oder Apothekern mit dem E-Rezept: Es wird komplizierter zu händeln, Pannen mit der Software scheinen eher die Regel als die Ausnahme und Patienten, vor allem Ältere und ohne Smartphone, sind überfordert.
Wer glaubt, Digitalisierung ist der Schlüssel zum Erfolg und baut bürokratische Hemmnisse ab, ist auf dem Holzweg. Digitalisierung erhöht unsere Abhängigkeit von technischen Systemen und den Softwareentwicklern. Letztere bestimmen was und wie es geht und degradieren uns zu unwissenden Anwendern, Usern wie es neuerdings heißt. Von der Möglichkeit, die Daten zu knacken oder den Zugang zu sperren, um dann ‚Lösegeld‘ zu erpressen, ganz zu schweigen.
Bürokratie ist ja nichts Abstraktes, hinter jedem Gesetz, jeder Verordnung oder Anweisung steht ja eine, bestimmt oft gutgemeinte Absicht, etwas zum Besseren zu verändern, wie etwa uns Verbraucher vor uns selbst zu schützen. Die Zahl dieser Gesetze wächst unweigerlich mir der Zahl derer, die sie sich ausdenken und umsetzen und die wir dann als Bürokraten bezeichnen.
Bürokratieabbau geht nur, indem man die Bürokraten ‚abbaut‘, also nach Hause schickt und ihnen das Geld entzieht. Eine über Jahrzehnte ständig gewachsene Administration wird nie in der Lage sein, aus sich selbst heraus sich zu verkleinern bzw. abzuschaffen. Dazu bedarf es Druck von außen bzw. unten. Bisher waren nur Kriege oder Umstürze dazu in der Lage. Zerstörung und Neuaufbau, das uralte Prinzip der Natur vom Werden und Vergehen kann eine Erneuerung bewirken. Das westdeutsche Wirtschaftswunder wäre ohne den 2. Weltkrieg nicht möglich gewesen.
Geldentzug, Kettensäge oder Krieg? Solange Geldgeber bereit sind, dem Staat Geld zu leihen, wird es mit dem Geldentzug nichts. Erst wenn nichts mehr zu holen ist, werden die Geldquellen versiegen, das kann lange dauern.
Krieg will keiner, auch wenn er derzeit wieder vor der Tür steht. Bleibt also nur die Kettensäge. Argentinien zeigt uns, dass es geht. Und das auch nur, weil sich mehrheitlich die Einsicht durchgesetzt hat, dass das Geldverteilen ins Verderben führt und weil dort ein Präsident weitaus mehr Machtbefugnis und wirtschaftlichen Verstand besitzt, als es derzeit bei uns der Fall ist.
Was bleibt uns? Zuzusehen, wie unser Gemeinwesen weiter ruiniert wird und wir uns von liebgewordenen Annehmlichkeiten nach und nach verabschieden müssen. Den Älteren wird es für die Restlaufzeit noch reichen, für die Jüngeren sieht die Zukunft düster aus. An ihrem Mut und Verstand wird es liegen, etwas zu ändern. Viel Hoffnung habe ich da nicht.
(vera-lengsfeld.de)
