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Überregulierung und Kollektivierung

Die Justiz als Werkzeug gegen politische Konkurrenz und abweichende Stimmen?

Von David Cohnen

Am 31. März 2025 wurde Marine Le Pen wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder zu vier Jahren Haft verurteilt, wovon zwei Jahre auf Bewährung ausgesetzt sind und zwei mit einer elektronischen Fußfessel abgeleistet werden sollen, sowie für fünf Jahre vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen - ein Urteil, das ihre Präsidentschaftskandidatur 2027 blockiert und sie selbst als "politischen Todesstoß" bezeichnete. Dieses Ereignis bildet den Ausgangspunkt einer Analyse in vier Abschnitten: Verhinderung politischen Erfolgs, nachträgliche Rache, Tyrannenmord und die Verfolgung der "kleinen Leute". Besonders letzteres steht im Fokus, da es Fragen nach Überregulierung und Kollektivierung in Deutschland aufwirft, im Vergleich zu Systemen wie den USA oder Kanada, wo Meinungsfreiheit höher geschätzt wird.

1. Verhinderung politischen Erfolgs
Die Justiz wird genutzt, um politische Akteure wie Marine Le Pen auszuschalten, bevor sie Macht erlangen - hier wegen nachgewiesener Veruntreuung von EU-Geldern. Ähnlich sah sich Donald Trump vor seiner Wiederwahl 2024 mit Anklagen wegen Dokumentenmissbrauchs konfrontiert, triumphierte jedoch. Björn Höcke wurde in Deutschland wegen Volksverhetzung ("Alles für Deutschland", ein verbotener Nazi-Spruch) verurteilt, und in Rumänien wurde 2024 die Wahl annulliert, nachdem Calin Georgescu siegte, gestützt auf Geheimdienstberichte über russische Einflussnahme. Ekrem Imamoglu in der Türkei wurde 2022 wegen Beleidigung gebannt, steht jedoch in einem diktatorischen Kontext. Bemerkenswert ist, dass Le Pen, Trump, Höcke und Georgescu - anders als Imamoglu - dem im Westen vorherrschenden "woken" Mainstream konträr gegenüberstehen, was Spekulationen über politische Motive nährt. Dennoch beruhen diese Fälle auf rechtlichen Grundlagen; die Frage bleibt, ob die Justiz hier über das Recht hinaus politisch instrumentalisiert wird.

2. Rache
Nach dem Ende politischer Karrieren folgt oft eine nachträgliche Abrechnung. In Demokratien bleibt sie rechtlich eingebunden: Ehud Olmert wurde nach seinem Rücktritt 2009 wegen Bestechung verurteilt, Nicolas Sarkozy 2021 wegen Amtsmissbrauchs mit einer Fußfessel bestraft, und Jacques Chirac 2011 wegen Veruntreuung belangt. Diese Rechenschaft tritt erst nach Machtverlust ein, was auf pragmatische Beweissammlung oder Zurückhaltung während der Amtszeit hindeuten könnte - ein Kontrast zur präventiven Verhinderung.

3. Tyrannenmord
Die extremste Form der Abrechnung ist der Tyrannenmord, positiv oder negativ konnotiert. Positiv gefeiert werden Wilhelm Tell, der im 14. Jahrhundert Gessler tötete und die Schweizer Freiheit symbolisierte, Julius Caesar, 44 v. Chr. von Senatoren erstochen, um die Republik zu retten, und der Versuch, Adolf Hitler 1944 zu töten, um die NS-Herrschaft zu beenden. Negativ erscheinen Saddam Husseins Hinrichtung 2006 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Gaddafis Tod 2011 durch Rebellen - Akte, die eher Vergeltung als Rechtssicherung dienten. Positive Fälle stehen für Befreiung, negative für Rache.

4. Kleine Leute
Während Eliten präventiv oder nachträglich getroffen werden, liegt der Kern der Debatte um Überregulierung bei den "kleinen Leuten", insbesondere in Deutschland. Das Bundeskriminalamt meldete 2024 über 33.000 rechtsmotivierte Straftaten, darunter 21.311 Propagandadelikte und 5.097 Fälle von Volksverhetzung, oft durch Äußerungen in sozialen Medien - etwa bei Jugendlichen wegen Snapchat-Posts oder Corona-Kritikern wie Querdenkern, die Razzien erlebten. Diesen Bürger fehlen die Ressourcen prominenter Politiker - keine Anwälte, keine Plattformen -, was sie verwundbar macht. Befürworter sehen darin Schutz vor Extremismus, Kritiker jedoch strafrechtliche Maßnahmen, die Abweichung als Gefahr statt als Recht werten - ein möglicher Hinweis auf Kollektivierung.

Kulturkampf und die Rolle der Eliten
Dieser Kontext spiegelt einen größeren Kulturkampf im Westen wider, wie am 1. April 2025 bei Markus Lanz und in der unmittelbar anschließenden Ausgabe des heute journal im ZDF thematisiert wurde. In der Talkshow verteidigte Cathryn Clüver Ashbrook die "progressiv" ausgerichtete amerikanische Elite, insbesondere an Universitäten, und stellte sie als im Recht dar, während sie zugleich die Trump-Regierung kritisierte. Das heute journal griff diese Thematik direkt auf und stellte den Konflikt explizit als Kulturkampf dar - eine Auseinandersetzung zwischen kollektivistischen und individualistischen Werten. Dies lässt eine Ungleichbehandlung erkennen: Während Eliten geschützt werden, treffen politische Maßnahmen die "kleinen Leute" oft unverhältnismäßig härter.

Überregulierung im Vergleich: USA und Kanada
In den USA schützt das First Amendment selbst Hassrede, sodass "kleine Leute" frei kritisieren können. Kanada reguliert stärker, doch die Schwelle bleibt höher. Deutschland setzt durch das Grundgesetz (Artikel 5) und § 130 StGB enge Grenzen - historisch bedingt durch die "wehrhafte Demokratie" - ein Ansatz, der Bürger stärker reguliert als Eliten.

Analyse: Kalkül, Rache oder Kollektivierung?
Die Justiz agiert präventiv gegen Politiker, rachsüchtig nach deren Fall und möglicherweise kollektivierend gegen Bürger. In Deutschland trifft die Härte besonders die "kleinen Leute", doch ob dies Überregulierung oder legitimer Schutz ist, bleibt umstritten - ein Unterschied zu den USA und Kanada, wo Individualismus Vorrang hat.

Fazit
Marine Le Pens Urteil zeigt, wie die Justiz Erfolg verhindern oder nachträglich abrechnen kann - positiv als Befreiung (Tell, Caesar, Hitler-Attentat), negativ als Rache (Hussein, Gaddafi). In Deutschland liegt der Fokus auf die "kleinen Leuten", deren Abweichung strafrechtlich geahndet wird, während "progressiv" ausgerichtete Eliten oft geschützt bleiben, wie Clüver Ashbrook andeutet. Ob dies die Balance zwischen Individualismus und Kollektivismus gefährdet, hängt davon ab, wie man rechtliche Grundlagen und politische Motive gewichtet.

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