Keine maximale Offenheit für pluralistische Meinungsbildung?
Von David Cohnen
Dieser Aufsatz befasst sich mit einer pointierten Kritik von Christopher Landau an der politischen Entwicklung in Deutschland im Zusammenhang mit der AfD - ein Zitat, das sowohl historisch als auch politisch Aufmerksamkeit verdient.
Analyse des Zitats von Christopher Landau zur Einstufung der AfD als extremistisch
"Er floh nicht wegen ZU VIEL freier Rede; er floh, weil jene, die daran glaubten, ihre politischen Gegner auszuspionieren und zu zensieren, die Macht hatten."
Diese eindrucksvolle Aussage stammt aus einem viel beachteten Beitrag von Christopher Landau, dem ehemaligen US-Botschafter in Mexiko, der am 3. Mai 2025 veröffentlicht wurde. Es wurde zu einem symbolischen Ausdruck der transatlantischen Spannungen infolge der Entscheidung des deutschen Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), die Alternative für Deutschland (AfD) als "gesichert extremistische Bestrebung" einzustufen. Landau kritisierte diese Maßnahme als einen bedrohlichen Eingriff in die Meinungs- und Oppositionsfreiheit und stellte einen historischen wie persönlichen Bezug her, der der Diskussion eine tiefere moralische und politische Dimension verleiht.
Der historische Resonanzboden des Zitats
Landau erinnert an die Emigration seines Vaters, der nach dem "Anschluss" Österreichs durch das nationalsozialistische Deutschland aus Wien fliehen musste. Damit macht er deutlich, dass politische Repression, Überwachung und Zensur von Oppositionellen damals wie heute zentrale Merkmale autoritärer Systeme sind. Dass sein Vater nicht "wegen ZU VIEL freier Rede" floh, sondern wegen der repressiven Macht der damaligen Machthaber, ist nicht nur ein familiärer Rückgriff - es ist eine direkte Warnung vor der politischen Entwicklung in der Gegenwart.
In seinem vollständigen Kommentar schreibt Landau:
"Speaking for myself, words can't even begin to express the outrage and resentment I feel at having an official account of the GERMAN government purport to lecture the US Secretary of State on the need to spy on and censor the political opposition. And no, Germany, you can't hide behind smug references to what you've learned from 'your' history. As you may recall, it's 'our' history too, because we played a pretty important role in ending that particular chapter of your history. And it's also 'my' history, since my own father had to flee from his birthplace Vienna after the Anschluss (and became an American citizen and proudly fought in the US Army for the liberation of Europe). He didn't flee because of TOO MUCH free speech; he fled because those who believed in spying on and censoring their political opponents had the power. You may choose to brand your own citizens as 'right-wing extremists' and silence or imprison them because, for example, they are against open borders. But please spare us the moralizing."
Die rhetorische Pointe
Die rhetorische Pointe liegt in der Umkehrung eines häufig geäußerten Vorwurfs: Der Westen sei zu liberal, zu offen, zu permissiv. Doch Landau kehrt dieses Argument um. Für ihn ist es nicht die überbordende Freiheit, die gefährlich wird, sondern der Verlust eben dieser Freiheit unter dem Vorwand des Schutzes vor angeblichem Extremismus. Dass solche Maßnahmen in Deutschland nun gegen eine große Oppositionspartei wie die AfD angewendet werden, ist für ihn offenbar der Punkt, an dem er sich zu Wort melden muss - öffentlich und in scharfer Form.
Das Verhältnis zur deutschen Geschichte
Besonders provokativ ist Landaus Bezug auf die deutsche Geschichte - nicht nur als deutsche, sondern auch als amerikanische und persönliche Geschichte. Deutschland könne sich, so Landau, nicht hinter einem "selbstgefälligen" Verweis auf die eigene Vergangenheit verstecken, um heutige Maßnahmen gegen unliebsame Meinungen zu legitimieren. Dies ist eine klare Zurückweisung der in Deutschland häufig bemühten Argumentationslinie, historische Verantwortung verlange besondere Wachsamkeit gegenüber dem Erstarken rechter Positionen.
Landaus Sichtweise ist eine radikale Umdeutung dieser Argumentation: Er stellt in Frage, ob die Lehren aus der Geschichte tatsächlich die Einschränkung von Opposition rechtfertigen - oder ob sie vielmehr genau das Gegenteil fordern: maximale Offenheit für pluralistische Meinungsbildung, gerade wenn sie unbequem ist.
Die Gegenwart: AfD, offene Grenzen und politische Etiketten
Im Zentrum der Kritik steht nicht nur die Einstufung der AfD als "extremistisch", sondern auch der Umgang mit ihrer politischen Programmatik. Landau nennt explizit die Ablehnung offener Grenzen als Beispiel für eine Position, die in Deutschland zunehmend stigmatisiert und kriminalisiert werde. Die Kernaussage ist deutlich: Eine demokratische Gesellschaft muss es aushalten, dass große Teile der Bevölkerung mit der Regierungspolitik nicht einverstanden sind - auch dann, wenn diese Ablehnung migrationspolitischer Natur ist.
Dass der deutsche Staat diese Ablehnung nun mit Überwachungsmaßnahmen beantwortet, lässt Landau als Rückfall in autoritäre Muster erscheinen. Für ihn scheint hier ein demokratischer Konsens aufgekündigt zu werden - und zwar nicht durch die Opposition, sondern durch den Staat selbst.
Diplomatische Brisanz und moralische Zurückweisung
Das Zitat ist mehr als eine persönliche Meinungsäußerung - es ist ein diplomatisches Signal. Die USA, vertreten durch Landau und bekräftigt durch führende republikanische Außenpolitiker wie Marco Rubio, sehen in der deutschen Praxis offenbar einen Bruch mit westlichen Grundwerten. Die Mahnung "spare uns das Moralisieren" richtet sich direkt gegen den deutschen Anspruch, auf Grundlage historischer Verantwortung eine moralische Führungsrolle zu beanspruchen. Für Landau hat Deutschland dieses moralische Kapital durch seine aktuellen Maßnahmen zumindest teilweise verspielt.
Diese moralische Zurückweisung ist deshalb so wirkungsvoll, weil sie von einem Vertreter jenes Landes kommt, das Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zur Demokratie verholfen hat. Sie untergräbt die oft zitierte moralische Überlegenheit deutscher Erinnerungspolitik und setzt ihr die Forderung nach aktueller politischer Kohärenz entgegen: Wer die Demokratie hochhält, darf die Opposition nicht systematisch ausschließen.
Fazit
Christopher Landaus Zitat ist ein pointierter Kommentar zur deutschen Innenpolitik und ihrer internationalen Wirkung. Es verbindet persönliche Erinnerung, historische Deutung und politische Gegenwart in einer Weise, die Aufmerksamkeit erzeugt und zum Widerspruch einlädt. Es kritisiert nicht nur eine politische Entscheidung, sondern das gesamte ideologische Fundament, auf dem sie zu ruhen scheint.
Die Reaktion darauf - Zustimmung, Ablehnung oder diplomatische Distanzierung - wird zum Prüfstein dafür, wie sehr westliche Demokratien noch bereit sind, sich an die Prinzipien zu erinnern, für die sie einst gemeinsam gekämpft haben: Meinungsfreiheit, politischer Wettbewerb und der Schutz der Opposition vor staatlicher Willkür.
"Aber bitte erspare uns das Moralisieren."
Mit diesem Satz endet Landaus Kritik - und zugleich beginnt für Deutschland die Aufgabe, sich erneut zu fragen, ob seine Geschichte tatsächlich als Legitimation dienen kann - oder ob sie nicht vielmehr eine Verpflichtung ist, genau jene Freiheiten zu schützen, die heute unter Druck geraten.