SPD: Wandlungen und Wenden im Laufe der Zeit
Von David Cohnen
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) hat seit 1945 eine bemerkenswerte Wandlung durchgemacht, insbesondere in Bezug auf ihre Haltung zur Landesverteidigung und den Einsatz der Bundeswehr. Diese Entwicklung war geprägt von internen Konflikten, externem Druck und den sich daraus ergebenden sicherheitspolitischen Anforderungen. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts spielten dabei ebenso eine Rolle wie die veränderte Wählerunterstützung der Partei im Laufe der Jahrzehnte. Dieser Aufsatz beleuchtet die Entwicklung der SPD in Bezug auf die Bundeswehr und ihre Auslandseinsätze, die rechtlichen Rahmenbedingungen und die politischen Probleme, die damit verbunden sind, aus einer kritischen Perspektive.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 war die SPD zunächst strikt gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands. Die Schrecken des Krieges und die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus führten zu einer pazifistischen Grundhaltung in der Partei. Unter der Führung von Kurt Schumacher lehnte die SPD die Gründung einer deutschen Armee und den Beitritt zur NATO vehement ab. Diese Position spiegelte die weitverbreitete Angst vor einer erneuten Militarisierung und einem Wiedererstarken nationalistischer Kräfte wider.
Mit der Kanzlerschaft von Willy Brandt ab 1969 änderte sich die Haltung der SPD zur Verteidigungspolitik erheblich. Brandts Ostpolitik zielte auf Entspannung und Dialog mit den Staaten des Warschauer Pakts ab, wobei die Bundeswehr als Verteidigungsarmee akzeptiert wurde. Die SPD unterstützte nun die Mitgliedschaft in der NATO und setzte auf eine Doppelstrategie von Abschreckung und Entspannung.
Der NATO-Doppelbeschluss von 1979, der die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Europa sowie Verhandlungen mit der Sowjetunion vorsah, war ein weiterer Wendepunkt. Die SPD unterstützte diesen Beschluss nicht einstimmig, sondern sah sich internen Kontroversen gegenüber. Während einige in der SPD die Abschreckungsstrategie der NATO befürworteten, lehnten andere diese Maßnahmen strikt ab und forderten stattdessen verstärkte Diplomatie und Abrüstungsbemühungen. Die Auseinandersetzungen über den NATO-Doppelbeschluss trugen zur Polarisierung innerhalb der SPD bei und führten zu erheblichen innerparteilichen Konflikten.
In den 1980er Jahren wurde die SPD zunehmend durch die Friedensbewegung beeinflusst. Viele SPD-Mitglieder und Sympathisanten waren gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Diese Zeit war von inneren Konflikten geprägt, da Teile der Partei und ihrer Basis stark gegen militärische Aufrüstung waren, während die Parteiführung die NATO-Strategie weiterhin unterstützte. Der Spagat zwischen den Forderungen der Friedensbewegung und den Positionen der Parteiführung stellte die Partei vor erhebliche Probleme.
Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 und dem Ende des Kalten Krieges wurden neue sicherheitspolitische Probleme diskutiert. Die SPD positionierte sich neu und unterstützte die Integration der ehemaligen NVA (Nationale Volksarmee der DDR) in die Bundeswehr sowie die Neuausrichtung der Bundeswehr hin zu internationalen Einsätzen. Unter der Regierung von Gerhard Schröder (1998-2005) beteiligte sich Deutschland unter SPD-Führung erstmals an Auslandseinsätzen der Bundeswehr, wie im Kosovo-Krieg 1999 und in Afghanistan ab 2001. Diese Einsätze wurden teilweise als Beitrag zur internationalen Stabilität und zum Schutz der Menschenrechte dargestellt.
Artikel 87a des Grundgesetzes legt fest, dass die Hauptaufgabe der Bundeswehr die Landesverteidigung ist. Ein entscheidender rechtlicher Wendepunkt war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994. Das Gericht entschied, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen von Systemen kollektiver Sicherheit (wie NATO, UN oder EU) verfassungsmäßig zulässig sind, sofern sie vom Bundestag genehmigt werden. Dieses "Out-of-Area-Urteil" legte fest, dass der Bundestag über jeden einzelnen Einsatz abstimmen muss, wodurch eine rechtliche Grundlage für Auslandseinsätze geschaffen wurde, ohne das Grundgesetz ändern zu müssen.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts führte zu erheblicher Kritik, sowohl innerhalb der SPD als auch in der breiteren Öffentlichkeit. Gegner argumentierten, dass dies die Tür zu militaristischen Abenteuern öffnen könnte und eine Verletzung des Grundgesetzes darstelle. Die Debatte über die Rolle der Bundeswehr und ihre Einsatzmöglichkeiten im Ausland wurde intensiv geführt und spaltete die Öffentlichkeit sowie die politische Landschaft.
Im Jahr 2005 wurde das Parlamentsbeteiligungsgesetz verabschiedet, das die Beteiligung des Bundestages an Entscheidungen über Auslandseinsätze der Bundeswehr detailliert regelt. Dieses Gesetz schreibt vor, dass der Bundestag über jeden Einsatz der Bundeswehr im Ausland abstimmen muss, was die demokratische Kontrolle und Legitimität dieser Einsätze sicherstellen soll.
In den folgenden Jahren unterstützte die SPD weiterhin die Beteiligung Deutschlands an internationalen Einsätzen im Rahmen von NATO, EU und UNO. Während der Kanzlerschaft von Angela Merkel (CDU) war die SPD häufig Teil der Großen Koalition und stimmte in dieser Zeit für verschiedene Bundeswehreinsätze im Ausland, jedoch oft mit dem Argument, diese Einsätze seien zeitlich und inhaltlich zu begrenzen und mit zivilen Maßnahmen zu ergänzen.
Im Kontext neuer geopolitischer Umwälzungen, insbesondere durch den Ukraine-Konflikt, hat die SPD ihre Verteidigungspolitik erneut angepasst. Die Partei unterstützt die Stärkung der NATO und die Erhöhung der Verteidigungsausgaben, um auf die veränderte Situation zu reagieren. Unter der Führung von Olaf Scholz, der seit 2021 Bundeskanzler ist, spricht sich die SPD für eine engere europäische Verteidigungskooperation und eine stärkere Rolle Deutschlands in der internationalen Sicherheitspolitik aus.
Der derzeitige Verteidigungsminister Boris Pistorius, der 2023 ins Amt kam, repräsentiert eine noch stärkere Fokussierung auf Verteidigung und militärische Stärke als frühere SPD-Positionen. Pistorius setzt sich für eine signifikante Aufrüstung der Bundeswehr ein und unterstützt die Erhöhung der Verteidigungsausgaben über das NATO-Ziel von 2 % des Bruttoinlandsprodukts hinaus. Dies steht in starkem Kontrast zur strikt pazifistischen Haltung der SPD in der unmittelbaren Nachkriegszeit, als die Partei gegen jede Form der Wiederbewaffnung war.
Pistorius argumentiert also, dass die sicherheitspolitischen Realitäten Deutschlands und Europas eine robuste und gut ausgestattete Bundeswehr erfordern. Seine Position signalisiert eine Abkehr von der traditionellen pazifistischen Ausrichtung der SPD, insbesondere im Hinblick auf externe militärische Konflikte wie den Ukraine-Krieg. Diese Veränderung zeigt, wie stark sich die Partei von ihren früheren Überzeugungen entfernt hat und nun eine andere Herangehensweise verfolgt.
Die sicherheitspolitischen Positionen der SPD spiegeln sich auch in ihren Wahlergebnissen wider. Das beste Wahlergebnis erzielte die SPD bei der Bundestagswahl 1972 unter Willy Brandt mit 45,8 % der Stimmen. Seither hat die Partei jedoch in verschiedenen Wahlzyklen an Unterstützung verloren. Besonders deutlich wurde dies bei der Europawahl 2024, bei der die SPD nur 13,9 % der Stimmen erhielt. Dies zeigt die Probleme, denen sich die Partei in einer sich wandelnden politischen Landschaft und gegenüber einer gut informierten Wählerschaft stellen muss.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die SPD seit 1945 eine bemerkenswerte Wandlung durchgemacht hat, insbesondere in Bezug auf ihre Haltung zur Landesverteidigung und den Einsatz der Bundeswehr. Diese Entwicklung war geprägt von internen Konflikten, externem Druck und der damit verbundenen internationalen Anpassung. Während die Partei ursprünglich eine strikt pazifistische Haltung vertrat, hat sie sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem Befürworter einer Verteidigungspolitik entwickelt, die sowohl die Landesverteidigung als auch internationale Verpflichtungen umfasst.
Die aktuelle Position von Verteidigungsminister Boris Pistorius zeigt, wie weit sich die SPD in dieser Hinsicht von ihrer ursprünglichen Position fortentwickelt hat. Diese Neuausrichtung wird von einigen als notwendige Anpassung an die gegenwärtigen sicherheitspolitischen Herausforderungen angesehen. Trotz der Kritik und der innerparteilichen Konflikte hat die SPD versucht, ihre Positionen zu verändern und die demokratische Kontrolle über Auslandseinsätze sicherzustellen.
Die Entwicklung der Wählerunterstützung zeigt, dass die SPD vor dem Problem steht, nicht mehr mit den Positionen ihrer früheren und aktuellen Wähler übereinzustimmen, und dass ihre Entwicklung umstritten ist. Ein weiteres Problem scheint zu sein, dass sie nicht nur in der Landesverteidigung von der Meinung ihrer Wählerschaft abweicht, sondern auch bei anderen wichtigen politischen Themen nicht übereinstimmt. Anders lässt sich der Absturz der SPD, der vermutlich weitergehen wird, nicht erklären. Die Mitgliederzahl der SPD erreichte ihren Höhepunkt im Jahr 1976 mit 1.022.191 Mitgliedern. Am Ende des Jahres 2021 hatte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) noch 393.727 Mitglieder.