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Alles Rechte oder was?

Tendenzen zu einer gelenkten Demokratie, die nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes steht

Von Gastautorin Annette Heinisch

Die gemeine Mitte als solche ist ein scheues Reh, sie ist offenbar schwer zu verorten. Wo sie derzeit liegt, ist unklar, der Hüter des Heiligen Grals „Mitte“ scheint unbekannt verzogen.

Ist beispielsweise Stefan Aust, Herausgeber der „Welt“, mittig oder rechts, wenn er sagt, dass während der Regierungszeit von Kanzlerin Angela Merkel die Union von einer konservativ–liberalen Bürgerpartei zu einer mehr oder weniger rot–grünen Partei wie die anderen auch geworden ist, so dass sie für viele Wähler keine Alternative zur Ampel ist?

In einem seiner Interviews sagte er, dass sich die Politik in Teilen von der Realität verabschiedet habe. Selbst wenn Deutschland die CO2 – Emissionen auf Null reduziere, würde das am Klima überhaupt nichts ändern. Die große Frage sei, welche Rolle CO2 dabei überhaupt spiele. Jedenfalls aber sei der deutsche Anteil weltweit so gering, dass es völlig lächerlich sei, was die Politik da die ganze Zeit treibe. Noch schlimmer, er sagt, das Klima ändere sich und habe sich immer geändert!

Wie jetzt – darf man das sagen? Nur weil es stimmt? Oder ist das schon rechts und damit unsagbar?

Wenn es stimmt, was Aust sagt, müsste man überlegen, ob nicht Anpassungsmaßnahmen klüger wären als der untaugliche Versuch, den Wandel aufzuhalten. Ergänzen könnte man das dadurch, dass Deutschland in Zusammenarbeit mit anderen Staaten deutlich wirkungsvollere und kostengünstigere Maßnahmen zur CO2 – Reduktion durchführt als bei uns. Gerüchte besagen nämlich, dass z. B. in anderen Teilen der Welt die Sonne deutlich mehr scheint als in unseren Breitengraden.

Rein hypothetisch könnte Deutschland sich dann auch verstärkt um die anderen 16 Nachhaltigkeitsziele der UN kümmern, z. B. um Nr. 3 „Gesundheit und Wohlergehen“. Oder Nr. 4 „Hochwertige Bildung“, da wäre eine Menge zu tun. Auch Nr. 7 wäre in Deutschland wichtig, nämlich „Bezahlbare und saubere Energie“ – hätten wir alle gerne, haben wir aber nicht. Das wären Kernkraft und Fracking, aber beides ist ja nicht gewollt. Seltsam eigentlich, wäre es auch deutlich „klimaschonender“ als all das, was jetzt geschieht. Aber jeder, der die Maßnahmen der grün –roten Blase kritisiert, ist bekanntlich rechts, rassistisch und Leugner von was auch immer, also die moderne Variante des Ketzers. Dass Klimaschutz nur eines der insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele ist, auf Platz 13 erwähnt und damit mitnichten das eine große Menschheitsthema, wird durch den medialen Furor vollends verdeckt.

Beispielhaft sieht man diesen an dem Aufschrei, der auf Claudia Pechsteins Rede auf dem CDU – Konvent folgte. Sie habe sich „quasi die Uniform zur Beute gemacht“, wütete der Spiegel. Dazu schrieb Jan Fleischhauer im Focus:
„Haben die Leute, die Claudia Pechstein für eine Rassistin halten, eine Vorstellung, wie es im normalen Deutschland aussieht, also in dem Teil, der nicht auf gewachster Altbaudiele in durchgrünter Innenstadtlage mit Lastenfahrrad vor der Tür lebt? Die CDU überlegt, wie sie den Anschluss an dieses Durchschnittsdeutschland behalten kann. Deshalb haben sie die Polizistin eingeladen. Im Adenauer-Haus hat man noch eine Ahnung davon, dass jemand wie Pechstein tausendmal mehr das normale Deutschland verkörpert als jede Genderbeauftragte. Die SPD hat den Versuch aufgegeben, den Kontakt zu halten, deshalb liegen die Sozialdemokraten auch nur noch bei 18 Prozent.“

Ist also auch Jan Fleischhauer ein Rechter? Überall Rechte, wo man hinguckt? Vielleicht läuft auch nur etwas beim Spiegel falsch, scheint er doch Rechte in Serie zu produzieren. „Keine Angst vor der Wahrheit“ ist das Motto des Spiegels, also seien wir schonungslos ehrlich: Henryk M. Broder, Stefan Aust und Jan Fleischhauer haben was gemeinsam? Na? Eben, ihre Tätigkeit für den Spiegel. Jeder Verschwörungstheoretiker, der nur ein bisschen auf sich hält, hätte eigentlich schon längst herausfinden müssen, dass unter dem grün – roten Deckmantel des Spiegels in Wirklichkeit eine rechte Kaderschmiede haust, klarer Fall!

Aber was ist eigentlich „rechts“? Wer bestimmt das? Gibt es ein Amt, das einem den Stempel verpasst? „Geprüfter Rechter nach ISO 0815“? Und was ist genau „konservativ“ oder „liberal“ und wer hat das Recht, andere Menschen in Schubladen zu packen?

Wenn man z. B. im Tennis – Club ist, bekommt man einen Ausweis. Wenn man in einer Kirche ist, dann kann man die Mitgliedschaft ebenfalls nachweisen. Aber wie kommen irgendwelche Leute eigentlich auf den Gedanken, sie hätten das Recht, andere Menschen zu „labeln“, wie es neudeutsch so schön heißt, also ihnen ein Etikett aufzukleben und dann zu entscheiden: Muss weg. Welches Menschenbild steht dahinter? Das des Grundgesetzes zumindest nicht. Es widerspricht der Menschenwürde und dem Grundsatz der Gleichwertigkeit aller Menschen, sich zum Herrn und Richter der Mitmenschen aufzuschwingen und ganze Gruppen aus der Gemeinschaft auszuschließen.

Kritisch über die derzeitigen Tendenzen zu einer gelenkten Demokratie, die nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes steht, äußert sich auch der ehemalige Verfassungsrichter Udo die Fabio: „Eine ganze Gesellschaft auf bestimmte Ziele, die kalendarisch festgesetzt werden, hin umzudisponieren, Preise staatlich zu bestimmen und Investitionsentscheidungen der Wirtschaft vorzuschreiben oder zu verbieten“, entspräche „in der Summe nicht mehr dem Ordnungsmodell der sozialen Marktwirtschaft…Vor allem bei der Wahl der Mittel und bei der Lösung von Zielkonflikten gelte es aufzupassen, „dass man am Ende des Tages nicht nur Klimaneutralität erreicht, sondern womöglich auch die Grundlagen der Freiheit verschoben hat“.

Sind das alles „Rechte“ oder vielleicht schlicht und einfach vernünftige Männer, die fest auf dem Boden der freiheitlich (!) demokratischen Grundordnung stehen? Männer, für welche die Lösung von Problemen und nicht die Vernichtung des Andersdenkenden Aufgabe der Politik ist?

Durch die fatale Reaktion der früheren Kanzlerin Angela Merkel auf die rein fachliche Kritik an der Euro – Rettungspolitik wandelte sich die politischen Streitkultur. Damals hatten mehr als 200 Wirtschaftsprofessoren über die Maßnahmen zur Euro – Rettung abgestimmt, 90 % hielten sie für falsch. Merkel hat diese völlig unabhängige wissenschaftliche Expertise nicht nur in der Sache komplett ignoriert, sondern bewusst dämonisiert. Es ist geradezu ein Treppenwitz der Geschichte, dass es nun heißt, wir sollten der Wissenschaft folgen, aber natürlich nur der, die politisch gewünschte Dogmen verkündet.

Mit Kritik konnte Merkel nie umgehen, sie reagierte stets beleidigt und uneinsichtig. Um an der Macht zu bleiben, machte sie sich zur Marionette der Medien. Dabei benutzte sie die Methode „Berta“, was aus einer fachlich – sachlichen Debatte einen quasi religiösen Lagerkampf machte. Dass man diese Büchse der Pandora besser nicht öffnen sollte, jedenfalls dann nicht, wenn man für Deutschlands Zukunft verantwortlich ist, ist einleuchtend. Nur interessierte Merkel sich nicht für Deustchland, sie interessierte sich nur für sich.

Jetzt werden die Folgen sichtbar: Das politische Miteinander ist praktisch unmöglich geworden, die Wirtschaft geht den Bach herunter, Unternehmen und so viele Leistungsträger wie nie zuvor wandern ab. Unser Geschäftsmodell steuert auf einen hausgemachten Niedergang zu.

Wer im Angesicht einer Rentenlawine, die ohnehin nicht finanzierbar ist, Leistungsträger vergrault, aber Sozialleistungsempfänger anlockt, der zerstört vorsätzlich den Sozialstaat.

Die einen verlassen Deutschland, die anderen wählen in ihrer Verzweiflung AfD oder können sich das vorstellen. „Ja natürlich!“ ist man versucht zu sagen. Hätte die AfD nicht manchen Kandidaten, der sehr extreme Ansichten vertritt und träte sie nicht für Putin ein, könnte sie bundesweit noch deutlich mehr Stimmen holen. Zunehmend aber interessiert selbst dies die Bürger nicht mehr, sie wollen einfach aus diesem Karussell des Wahnsinns raus.

Das gab es schon einmal in Deutschland: Wirtschaftliche Probleme, auch auf der Straße ausgetragene politische Lagerkämpfe, eine linke Politik, welche von der Masse abgelehnt wurde und keine politische Mitte, welche die Kraft gehabt hätte, das Ruder herumzureißen.

„Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“

Die Farce erleben wir gerade. Dass jede Bewegung eine ebenso starke und entgegengesetzte Bewegung in Gang setzt, sollte seit Isaac Newton bekannt sein. Je mehr rot – grüne Politik, egal ob von den Grünen, der SPD, den Liberalen oder der Union, desto stärker die AfD. Aufgrund des Vertrauensschwunds hat die Union voraussichtlich keine Chance mehr, diese Entwicklung zu stoppen, sie kann sie allenfalls verlangsamen. Es bedürfte einer neuen Kraft der Mitte, die nicht nur in der Frage der Migration, sondern auch der Klima – und Energiepolitik sowie in allen Fragen des gelenkten Staates eine andere als die derzeitige Mehrheitsposition einnimmt, dabei ohne extreme Kandidaten auskommt und fest im Westen verankert ist. Die außen – und sicherheitspolitischen Positionen der AfD waren immer ihre eigentliche programmatische Achilles – Ferse. Diese stand aber nie im Fokus der Kritik, denn ihr Verhältnis zu Russland war das einzig „mainstreamige“ an ihr.

In Bayern ist eine solche Partei in Form der Freien Wähler vorhanden, die dortige Union kann daher regieren. Auf Bundesebene fehlt hingegen diese Option. Da Union und Liberale aufgrund des Vertrauensschwundes einerseits keine eigenen Mehrheiten mehr generieren können, sich andererseits aber mit ihrer Positionierung zur AfD in eine Sackgasse manövriert haben, bleibt nur die Möglichkeit einer weiteren politischen Kraft. Anders wird sich die Farce nicht beenden lassen.

Eine solche Partei benötigt nicht nur eine gute Organisation, sondern vor allem populäre Köpfe. Unbekannte werden nicht gewählt. Daran fehlt es bisher; bekannte politische Köpfe halten sich bedeckt oder hoffen auf Wunder.

Mit den Augen der Anderen
Wie dringend eine politische Erneuerung ist, wird noch deutlicher, wenn man von außen auf Deutschland blickt. Der gesamte Westen und wir mit ihm haben nach dem Fall der Mauer mit unserem Erfolgsmodell gebrochen und sind auf eine rot–grüne Agenda umgeschwenkt. Damit haben wir unsere soft power verspielt.

Nehmen wir ein aktuelles Beispiel. Die Frankfurter Rundschau berichtete über den Südafrika–Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock wie folgt:
„Ein Programmpunkt allerdings fehlte zunächst, auch trotz der neuen geopolitischen Lage nach der Wagner-Revolte in Russland: Ein Zusammentreffen mit dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa war zunächst vom Präsidenten nicht gewünscht. Das überrascht, repräsentiert Baerbock doch eines der wirtschaftlich stärksten Länder Europas. Diese Auslassung hat jedoch Gründe: Baerbock gilt in Pretoria als unerfahren. Außerdem ist die Regierung Südafrikas der Ansicht, Baerbock sei von nicht mehr zeitgemäßen Vorstellungen geprägt, nämlich davon, dass die Werte der westlichen Minderheit der Maßstab für die Mehrheit der Welt sein sollen.“

Dass man unsere Außenministerin euphemistisch als „unerfahren“ bezeichnet, ist immerhin noch diplomatisch. „Ungelernte“ können im diplomatischen Dienst eine Menge Unheil anrichten, was der ehemalige Regierungssprecher Steffen Seibert in Israel beweist. Er beging in diesem für Deutschland hochsensiblem Umfeld mehrere diplomatische Fauxpas und sorgt für anhaltende Irritationen.

Noch wichtiger ist aber der Aspekt, dass die „Werte der westlichen Minderheit“ nicht mehr der Maßstab der Welt sein sollen. Die innere Schwäche des Westens durch eine Ideologie, die als verrückt angesehen wird, hat dazu geführt, dass die übrige Welt uns mit grenzenloser Verachtung betrachtet. Dieses wiederum ist mitursächlich für eine gewachsene Kriegsgefahr. Der Westen gilt als leichte Beute, als „schlachtreif“.

Es ist vielleicht die größte deutsche Schwäche (und davon haben wir reichlich), Außen – und Sicherheitspolitik für Nebensache zu halten. Damit wollen wir nichts zu tun haben, am liebsten wären wir eine zweite Schweiz in völliger Verkennung der Tatsache, dass Deutschland aufgrund seiner Größe, Bedeutung und geostrategischen Lage dieses niemals sein kann. Eher ist fraglich, wie lange die Schweiz noch ihren Sonderstatus behalten kann, also ihren Wohlstand auf Kosten anderer mehren darf.

Selbst wenn wir keine Exportnation wären und alles autark regeln könnten, von Rohstoffen bis zur kompletten Produktion aller Güter, müssten wir uns aufgrund unserer Größe und zentralen Lage vertieft mit diesen Themen befassen. Dies gilt umso mehr, als uns jede Tradition und gewachsene Erfahrung auf diesen Politikfeldern fehlt. Der ungeschickte Versuch während des Kaiserreichs, ein Platz „unter den Großen“ zu sichern, ging bekanntlich völlig daneben. Der zweite, größenwahnsinnige Ansatz scheiterte glücklicherweise auch. Seitdem schwankt Deutschland zwischen Provinzialität und Globalisierung, Nabelschau und Größenwahn. Mag sein, dass es zwei Seiten einer Medaille sind: Größenwahn bedeutet, eine überzogene Einschätzung der eigenen Bedeutung zu haben. D. h. man nimmt sich in jeder Hinsicht zu wichtig und beschäftigt sich zu viel mit sich selbst, betreibt also Nabelschau. Hysterische Reaktionen über eine Landratswahl bei gleichzeitiger Gleichgültigkeit gegenüber den Folgen der geotektonischen Plattenverschiebung im politischen Raum, die unser Geschäftsmodell vernichtet, zeigen bestenfalls Unreife. Wer dann auch noch in dem Irrtum gefangen ist, der Welt als Vorbild dienen oder ihr gar etwas vorschreiben zu können, erliegt einem gefährlichen Wahn.

Wenn es nicht mehr zeitgemäß ist, dass die Maßstäbe der „westlichen Minderheit“ gelten, sind Menschrechte – in vielen Teilen der Welt ohnehin de facto irrelevant – als Maßstab bedeutungslos. Die UN, selbst in besten Zeiten nur bedingt hilfreich, kann als obsolet betrachtet und im Endeffekt abgewickelt werden. Das Recht gilt nicht mehr, Verträge sind gleichgültig. Es gilt nur noch das Recht des Stärkeren. Das ist die reale Situation.

In einer solchen Welt sehen wir „alt“ aus. Damit ist nicht allein die Überalterung der Bevölkerung gemeint, auch die sozialstaatsverwöhnten Zuckerpüppchen werden richtige Kämpfe kaum bestehen.

Wer in der realen Welt lebt und sich z. B. mit dem wirtschaftlichen Umfeld anderer Länder beschäftigen muss, erlebt die kopfschüttelnde Verachtung uns gegenüber hautnah. Nehmen wir als praktisches Beispiel Dubai. Dieser Stadtstaat ist Teil der Vereinigten Arabischen Emirate und existiert unter klimatischen Bedingungen, die alles, was die Klimahysteriker für Deutschland prophezeien, weit übertreffen. Im Sommer ist es 45 Grad heiß (im Schatten), auch nachts kühlt es kaum ab. Sandstürme machen das Atmen oft schwer, die Sicht ist begrenzt. Die Menschen dort arbeiten jedoch weiter, sie nutzen eine segensreiche Erfindung: Die Klimaanlage. Die „cooling energy“ wird von Emicool bereitgestellt. Übrigens wird die Energiegewinnung von derzeit hauptsächlich Erdgas auf zukünftig mehr Solar – und Kernenergie umgestellt.

In Dubai leben ca. 3, 3 Mio. Einwohner, der Ausländeranteil liegt bei über 90%. Diese Ausländer erhalten Arbeitsvisa. Verlieren sie ihre Arbeit, müssen sie nach zwei Wochen das Land verlassen, falls sie keine neue Arbeitsstelle bekommen. Dieses wird als vernünftige Regelung angesehen, auch von den ausländischen Arbeitnehmern. Dabei ist es gleichgültig, ob sie aus dem asiatischen oder arabischen Ausland kommen, alle finden es gut, dass sie dort arbeiten dürfen, halten es aber für völlig selbstverständlich, dass sie ohne Arbeit das Land verlassen müssen. Das Konzept, dass man ohne Erlaubnis in ein fremdes Land kommen kann und dieses einen dann ohne jede Gegenleistung ernährt, wird als völlig verrückt angesehen. Mit Deutschland hat man allerdings kein Mitleid, denn „Dummheit muss bestraft werden“. Wir werden dort also nicht als mildtätig, sondern als komplett bescheuert angesehen.

Demokratie wird als überflüssig angesehen. Man lebt gut, hat alle persönlichen Freiheiten, zahlt keine Einkommensteuer (was den persönlichen Freiraum erhöht) und muss sich nur um sein eigenes Leben kümmern. Für alles andere sorgt der große, weise Herrscher Muhammad bin Raschid Al Maktum, der dort in höchstem Maße verehrt wird. Wenn man alles hat, toll lebt und sich um nichts kümmern muss – wozu braucht man dann Demokratie? Um sich als Gesellschaft so zu zerstreiten wie in den USA oder Europa? Und dabei wirtschaftlich den Anschluss zu verlieren? Das macht keinen Sinn.

Eine Frauenrechtsbewegung gibt es trotz beschränkter Rechte nicht. Frauen in Dubai (so wie mittlerweile in vielen arabischen Staaten) können studieren, hohe Ämter bekleiden, Unternehmen gründen, führen und vieles mehr. Aber sie sind nach wie vor nicht gleichberechtigt, denn es gilt die Scharia. Sie dürfen z. B. nicht frei über ihr Geld verfügen und benötigen die Zustimmung des sponsors/Vormunds, um Auto zu fahren. Auch das Familienrecht spiegelt die Ungleichheit wider: Während Männer sich formlos rechtsgültig durch simples Aussprechen des Wunsches scheiden lassen können, müssen Frauen einen Gerichtsbeschluss beantragen. Eine Frau hat das Sorgerecht für die Kinder, bis die Jungen 11 und die Mädchen 13 Jahre alt sind. Das bedeutet, dass ein Ex-Ehemann, egal ob er Staatsbürger ist oder im Ausland lebt, nach der Scheidung das Recht hat, das volle Sorgerecht zu erhalten, nachdem die Kinder dieses Alter erreichen.

Nach Aussagen selbst von Frauen, die in führenden Positionen sind, wollen sie dennoch auf keinen Fall das westliche Modell übernehmen. Die zerrütteten Familien schrecken sie ab. Aus ihrer Sicht zahlen Kinder den Preis für die Freiheit der Frauen und dieser Preis ist ihnen zu hoch. Es müsste einen dritten Weg geben, sagen sie. Bis dahin leben sie lieber auf die gewohnte, geordnete Weise unter der Ägide eines liberalen Islams. Neid auf westliche Frauen? Mitnichten. Eher Mitleid, dass sie so schlecht behütet und geschützt leben, zugleich hohen, sich widersprechenden Anforderungen gerecht werden müssen.

Der Westen als Vorbild? Das ist lange her. Heute ist er ein abschreckendes Beispiel. Selbst – und Fremdwahrnehmung klaffen meilenweit auseinander. Dies aber ist in jeder Hinsicht gefährlich.

Eine international aufgestellte Wirtschaft kann nur überleben, wenn eine robuste und kompetente Außen – und Sicherheitspolitik deutsche Interessen, auch die der Bürger, schützt; nur dann kann die Wirtschaft prosperieren, der Sozialstaat finanziert und vor Aushöhlung bewahrt werden. Wir hingegen werden von unserer Politik um unseren Wohlstand gebracht und zur leichten Beute konkurrierender Systeme gemacht, die von Menschenrechten und Rechtsstaat nichts halten.

Ohne grundlegende Erneuerung können wir unser gesamtes Staatswesen inklusive Sozialstaat vergessen.
(vera-lengsfeld.de)

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