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Traditionskonservative vereinigt euch

Germanistan Teil 3

Von David Cohnen

In dem fiktiven Land 'Germanistan' vollzog sich eine kuriose Entwicklung. Eine kleine Splitterpartei, die zwar kaum politisch-gesellschaftlichen Sachverstand aufwies, jedoch ihre abstrusen Ideen mit religiösem Eifer vertrat, hatte es geschafft, die Sprach- und Meinungshoheit zu erlangen. Diese Partei brachte die bereits etablierten politischen Kräfte in Germanistan unter ihre Kontrolle. Die Regierungen setzten seit Jahren gegen den Willen des Volkes ihre Politik durch. Die Menschen widersprachen und empörten sich, doch weder die Regierung noch die etablierten Parteien nahmen Rücksicht auf die Wünsche der Bevölkerung. Die Regierungsparteien und die anderen seit langem etablierten Parteien verloren zunehmend die Zustimmung des Volkes und versäumten es, sich neu zu positionieren

Die gegen die Regierung und die Meinungsmonopolisten gerichteten Argumente waren jedoch so stichhaltig, dass diese sich nicht anders zu helfen wussten, als ihre Gegner als 'Traditionskonservative' zu bezichtigen. Selbst Menschen, die sich nicht einmal als konservativ empfanden, sondern tatsächlich 'progressiv-reformistisch' waren, versuchte man so unter Meinungskontrolle zu bringen. Doch trotz der Vorwürfe, die man den Menschen mit dem Begriff 'Traditionskonservative' entgegenbrachte, um sie politisch ins Abseits zu stellen, bekannten sich immer mehr Menschen dazu, traditionskonservativ zu sein.

Die Etikettierung Andersdenkender als "Traditionskonservative" wurde zur neuen Mode. Alles begann mit einem leisen Summen der automatischen "Gesinnungswächter", die jeden, der konservative oder reformistische Ansichten äußerte, sofort anprangerten. Mit der Zeit entwickelte sich das Etikett "Traditionskonservativ" zu einem beliebten Schimpfwort für diejenigen, die argumentativ nicht gegen abweichende Meinungen vorgehen konnten. Jeder, der nicht im Einklang mit dem vorherrschenden Narrativ stand, wurde mit einem digitalen Stempel versehen und öffentlich als rückständig oder reformbedürftig gebrandmarkt.

Die Anzahl der Traditionskonservativen vermehrte sich dennoch ständig. Die 'Neusprech-Kontroll-Maschinen' maßten sich die Rolle selbsternannter Hüter progressiver Werte an. Jede Diskussion, die nicht dem Zeitgeist entsprach, galt als traditionskonservative Häresie. Diejenigen, die einst stolz für ihre konservativen oder reformistischen Überzeugungen eintraten, fanden sich plötzlich am Rand der Gesellschaft wieder, von elitären Meinungsmachern verurteilt und von den digitalen Richtern geächtet.

Trotzdem bekannten sich große Massen des Volkes nun dazu, traditionskonservativ zu sein. Die Menschen gewöhnten sich an die ständigen Vorwürfe, als wäre es eine Art perverses Ritual. Diejenigen, die den Mut hatten, ihre Meinung zu äußern, wurden mit einem Hauch von Verachtung und einem kräftigen Schuss "Traditionskonservativ" konfrontiert. Das Skurrile daran war, dass die Menschen begannen, sich selbst mit diesem Etikett zu identifizieren, und mehr und mehr Menschen wurden Traditionskonservativ.

In Germanistan wurde das Etikett "Traditionskonservativ" zu einem Wahrzeichen, einem identitätsstiftenden Schmuckstück. Menschen, die einst kämpferisch für ihre konservativen oder reformistischen Überzeugungen eintraten, waren nun tatsächlich traditionskonservativ geworden. Der äußere Druck, die ständigen Anschuldigungen und der soziale Ausschluss führten dazu, dass die Menschen sich schließlich als "Traditionskonservative" akzeptierten.

Am Ende dieser grotesken Entwicklung stand ein Verfechter der Meinungsvielfalt, einsam und verlassen. Er war der letzte Verbliebene, der sich mit dem Etikett 'progressiv-reformistisch' identifizierte. Einsam und voller Trauer sagte er: 'Ach, wäre ich doch traditionskonservativ geworden!' Die Ironie des Schicksals besteht darin, dass der äußere Druck und die Anschuldigungen dazu geführt hatten, dass die Menschen sich selbst zu dem bekannten, was sie sich schon immer gewünscht hatten.

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