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Götzen-Dämmerung

Wie man mit dem Hammer philosophiert

Von Friedrich Nietzsche

Diese Schrift von noch nicht 150 Seiten, heiter und verhängnisvoll im Ton, ein Dämon, welcher lacht –, das Werk von so wenig Tagen, daß ich Anstand nehme, ihre Zahl zu nennen, ist unter Büchern überhaupt die Ausnahme: es gibt nichts Substanzreicheres, Unabhängigeres, Umwerfenderes – Böseres. Will man sich kurz einen Begriff davon geben, wie vor mir alles auf dem Kopfe stand, so mache man den Anfang mit dieser Schrift. Das, was Götze auf dem Titelblatt heißt, ist ganz einfach das, was bisher Wahrheit genannt wurde. Götzen-Dämmerung – auf deutsch: es geht zu Ende mit der alten Wahrheit...

Es gibt keine Realität, keine »Idealität«, die in dieser Schrift nicht berührt würde (– berührt: was für ein vorsichtiger Euphemismus!...). Nicht bloß die ewigen Götzen, auch die allerjüngsten, folglich altersschwächsten. Die »modernen Ideen« zum Beispiel. Ein großer Wind bläst zwischen den Bäumen, und überall fallen Früchte nieder – Wahrheiten. Es ist die Verschwendung eines allzureichen Herbstes darin: man stolpert über Wahrheiten, man tritt selbst einige tot – es sind ihrer zu viele... Was man aber in die Hände bekommt, das ist nichts Fragwürdiges mehr, das sind Entscheidungen.

Ich erst habe den Maßstab für »Wahrheiten« in der Hand, ich kann erst entscheiden. Wie als ob in mir ein zweites Bewußtsein gewachsen wäre, wie als ob sich in mir »der Wille« ein Licht angezündet hätte über die schiefe Bahn, auf der er bisher abwärts lief... Die schiefe Bahn – man nannte sie den Weg zur Wahrheit«... Es ist zu Ende mit allem »dunklen Drang«, der gute Mensch gerade war sich am wenigsten des rechten Wegs bewußt... Und allen Ernstes, niemand wußte vor mir den rechten Weg, den Weg aufwärts: erst von mir an gibt es wieder Hoffnungen, Aufgaben, vorzuschreibende Wege der Kultur – ich bin deren froher Botschafter... Eben damit bin ich auch ein Schicksal. – –

Unmittelbar nach Beendigung des eben genannten Werks und ohne auch nur einen Tag zu verlieren, griff ich die ungeheure Aufgabe der Umwertung an, in einem souveränen Gefühl von Stolz, dem nichts gleichkommt, jeden Augenblick meiner Unsterblichkeit gewiß und Zeichen für Zeichen mit der Sicherheit eines Schicksals in eherne Tafeln grabend. Das Vorwort entstand am 3. September 1888: als ich morgens, nach dieser Niederschrift, ins Freie trat, fand ich den schönsten Tag vor mir, den das Ober-Engadin mir je gezeigt hat – durchsichtig, glühend in den Farben, alle Gegensätze, alle Mitten zwischen Eis und Süden in sich schließend. – Erst am 20. September verließ ich Sils-Maria, durch Überschwemmungen zurückgehalten, zuletzt bei weitem der einzige Gast dieses wunderbaren Orts, dem meine Dankbarkeit das Geschenk eines unsterblichen Namens machen will.

Nach einer Reise mit Zwischenfällen, sogar mit einer Lebensgefahr im überschwemmten Como, das ich erst tief in der Nacht erreichte, kam ich am Nachmittag des 21. in Turin an, meinem bewiesenen Ort, meiner Residenz von nun an. Ich nahm die gleiche Wohnung wieder, die ich im Frühjahr innegehabt hatte, via Carlo Alberto 6, III, gegenüber dem mächtigen palazzo Carignano, in dem Vittorio Emanuele geboren ist, mit dem Blick auf die piazza Carlo Alberto und drüber hinaus aufs Hügelland. Ohne Zögern und ohne mich einen Augenblick abziehn zu lassen, ging ich wieder an die Arbeit: es war nur das letzte Viertel des Werks noch abzutun. Am 30. September großer Sieg; siebenter Tag; Müßiggang eines Gottes am Po entlang. Am gleichen Tage schrieb ich noch das Vorwort zur »Götzen-Dämmerung«, deren Druckbogen zu korrigieren meine Erholung im September gewesen war. – Ich habe nie einen solchen Herbst erlebt, auch nie etwas der Art auf Erden für möglich gehalten – ein Claude Lorrain ins Unendliche gedacht, jeder Tag von gleicher unbändiger Vollkommenheit. –

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