Die „Zeitenwende“ frisst ihre Verkünder
Von WOLFGANG HÜBNER
Christian Lindner war gerade mal drei Jahre alt, als 1982 einer seiner Vorgänger an der FDP-Spitze der SPD mit Bundeskanzler Helmut Schmidt nach 13 Koalitionsjahren das Scheidungspapier präsentierte. Kurze Zeit später war CDU-Chef Helmut Kohl Kanzler, und die FDP sicherte sich an seiner Seite weitere 16 Jahre an der Macht. Was damals in einer noch recht intakten Bundesrepublik als politisches Drama bezeichnet werden konnte, soll sich 2024, geht es nach dem inzwischen 45-jährigen Lindner, im größeren, aber demokratisch erschöpften, ökonomisch angeschlagenen und demografisch vergreisenden Deutschland als Farce wiederholen.
Der Spitzenmann einer von der Fünf-Prozent-Hürde bedrohten Partei sucht die Flucht aus der Ampel und ihrer Politik, die er als Finanzminister drei Jahre lang entscheidend mitbestimmt hat. Deshalb präsentiert Lindner nun auch ein Scheidungspapier in der Hoffnung, dass SPD und Grüne die Ampel erlöschen lassen. Ob sein Manöver gelingt, wird sich diese Woche erweisen. Hat Lindner Erfolg, dann wird es demnächst vorgezogene Neuwahlen geben. Diese werden jedoch aller Voraussicht nach ein Ergebnis nicht haben: Eine Regierungsmehrheit von CDU/CSU und (wenn sie überleben sollte) der FDP.
Da die „Brandmauer“ der Union gegenüber der AfD steht, wird es nach der Wahl wohl wieder zur arg geschrumpften ‚Großen Koalition‘ von Union und SPD kommen. Das einzig Positive daran wird das Ende der Grünen in der Regierung sein. Ansonsten aber wird sich der jetzige allgemeine Unmut an der Ampel schnell gegen die neue Koalition richten. Denn sie wird sich in den Fesseln der „Zeitenwende“ bewegen, die nun ihre ersten Verkünder frisst.
Das Zentralorgan des deutschen Macht- und Kapitalkomplexes, also die FAZ, lässt in dem heutigen Leitartikel „Aufbruch in die Freiheit“ keinen Zweifel daran, was die Prioritäten einer künftigen, von CDU/CSU geführten Regierung zu sein haben: „Unterstützung der Ukraine, mit allem was sie braucht, um auch Deutschland gegen die existenzielle Bedrohung aus Russland zu verteidigen; der Stärkung der Wehrfähigkeit unseres Landes samt ziviler Resilienz und Sicherheit in Versorgungsfragen“ usw. Kriegspolitik und Militarisierung stehen also an erster Stelle. Mit dem Transatlantiker und BlackRock-Mittelständler Merz lässt sich das machen. Aber auch mit den Deutschen?
(pi-news.net)