Ein Augenblick Wahrheit im Bundestag
Von WOLFGANG HÜBNER
Bei dem kurzen Rededuell zwischen mutmaßlichem CDU-Kriegstreiber Norbert Röttgen und SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz gab es am Mittwoch im Bundestag einen Augenblick der Wahrheit im Meer der Unwahrheiten, die von dem Parteienkartell verbreitet werden.
Röttgen griff mit einer Frage einmal mehr die Weigerung von Scholz an, der Ukraine die deutschen Taurus-Marschflugkörper zur Verfügung zu stellen. Das hätte er besser lassen sollen. Denn Scholz antwortete dem „lieben Norbert“ (man kennt sich ja bestens), er wisse doch sehr wohl, warum das nicht ginge. Deswegen sei es nicht in Ordnung, ihn immer wieder in Schwierigkeiten bringen zu wollen.
Röttgen verriet mit seiner spontanen Mimik, unangenehm ertappt worden zu sein, was er wortreich allerdings weit von sich schob. Er könne, sagte der CDU-Politiker, nicht verstehen, was Scholz mit dieser Bemerkung meine, Applaus aus seiner Fraktion.
Scholz lächelte nur wissend und beließ es bei seiner gelungenen Irritation von Röttgen. Es ist nicht schwer zu erraten, worauf der Kanzler anspielte: Nämlich darauf, dass er (und auch Röttgen) wissen, wie Moskau auf die Lieferung von Taurus reagieren würden. Diese glaubwürdig angedrohte Reaktion ist ja der wirkliche Grund, warum sich Scholz in Sachen Taurus so entschieden ablehnend verhält.
Dass Scholz darüber nicht öffentlich sprechen kann und will, lässt sich noch verstehen. Er will halt nicht zugeben, sich dem Druck der Macht des Kreml zu beugen. Röttgen hingegen, der als Spitzenpolitiker seiner Partei auch in Staatsgeheimnisse eingeweiht ist, handelt verantwortungslos und doppelzüngig: Er fordert die Taurus-Lieferung, kennt aber den hohen Preis, den Deutschland dafür zahlen müsste. Was unterscheidet solche Politiker eigentlich von Trickbetrügern, die vertrauensselige Omas um ihr Vermögen bringen?
(pi-news.net)