Die Causa Prigožin wird in Säuberungswellen à la Stalin enden
Von Dieter Farwick, BrigGen a.D.
Der kurze militärische Angriff der Wagnertruppe unter Führung von Evgenij Prigožin von Rostow am Don in Richtung Moskau wurde 200 Kilometer vor Moskau abgebrochen. Die Truppe drehte um zurück nach Rostow am Don. Eine der offiziellen Erklärungen des Kremls und Prigožins war der Wunsch, ein Blutvergießen zu vermeiden. Diese Erklärung ist anzuzweifeln.
Bis zum Umdrehen der Wagnereinheiten gab es keine Gefechte und keine nennenswerten russischen Kräfte, die den Angriff hätten aufhalten können. Im Gegenteil: Die Wagnertruppe bekam Beifall von Zuschauern an der Marschstraße. Zur Überraschung gab es keine russischen Truppen zwischen Rostow am Don und Moskau. Es gab offensichtlich auch keine Kräfte, die schnell dorthin hätten verlegt werden können. Mit Luftlandetruppen hätte dies für die russische Führung eigentlich kein Problem darstellen sollen.
Deal zwischen Russen und Wagner
Auf Initiative des russischen Präsidenten übernahm der belarussische Diktator Lukaschenko (ein jahrelanger enger Verbündeter Russlands) die Aufgabe, einen „Deal“ zwischen den russischen Truppen und Wagner auszuhandeln. Die wichtigste „Vereinbarung“ war, dass die Söldnerarmee aus Russland verbannt und wird „Asyl“ in Belarus erhält – ohne Bestrafung. Wagner erhielt von Putin das Angebot, dass einzelne Kämpfer den Eintritt in die regulären russischen Streitkräfte unterschreiben könnten oder straffrei nach Russland entlassen würden. Es war keine Überraschung, dass nur wenige das Angebot angenommen haben.
Angeblich wurde auch Prigožin nach Belarus „verbannt“. Deshalb ist erstaunlich, dass er nach wenigen Tagen „frei“ in Russland herumreisen und in St. Petersburg seinen dortigen Palast mit wichtigen Dokumenten, Schmuck und Geld „säubern“ konnte. Es soll sogar ein Treffen Wladimir Putins mit seinem langjährigen Partner Prigožin in Russland gegeben haben. Das Ergebnis dieses Treffens ist geheim. Bis heute sind Einzelheiten des „Deals“ nicht bekannt.
Das alles ist jedoch nicht einfach das Ende eines Aufstandes, sondern der Start einer Säuberungswelle, die einige hohe Militärs und hohe Kreml- „Beamte“ betroffen hat. Es gab Verhöre mit hohen Militärs, die im Verdacht standen, zu nahe mit Prigožin in der Vorbereitung und Durchführung dessen militärischen Überfalls zusammengearbeitet und dessen Absicht nicht „verraten“ zu haben. Einige dieser Personen wurden sofort verhaftet und aus den Streitkräften entlassen. Es ist noch nicht klar, was mit Verteidigungsminister Sergej Schoigu und dem Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte, Waleri Gerassimow geschah oder geschehen wird. Die Suche nach Verdächtigen geht offenkundig weiter.
Moral der Russen sinkt
Für mich ist anzunehmen, dass dieses Chaos auch Auswirkungen auf die Moral der russischen Truppe hat, deren Kampfeswille sich weiter schwächen wird. In einem erbitterten Krieg ist dieses Chaos das schlimmste Unheil, was dieser Truppe passieren kann. Neue Führungskräfte müssen sich erst einarbeiten und Vertrauen erwerben.
Der Kampf geht weiter
Beide Seiten werden in den letzten Tagen Umgliederungen und neue Strategien umzusetzen haben. Für die Ukraine gab es einen großen Einzelerfolg. Mit den US- Mehrfachraketenwerfern HIMARS sind angeblich rd. 100 russische Artilleriesysteme zerstört worden. Sollten diese Zahlen stimmen, hätte die Ukraine die bisherige große russische Überlegenheit deutlich reduzieren können.
Die russische militärische Führung braucht sicherlich einige Zeit, ihre Führung mit neuem Personal zu stabilisieren. Dies ist in einem laufenden Gefecht eine Schwächeperiode, die die ukrainischen Kräfte zu ihren Gunsten ausnutzen können. Die russischen Kräfte haben sich im Osten um rd. 100.000 Soldaten, ungefähr 900 Panzer und mehr als 550 Artilleriesysteme und rd. 370 Mehrfachraketen verstärkt. Ob diese Absicht zu einer russischen Gegenoffensive führen kann, ist nach dem Führungschaos nicht sicher.
Sabotageakte russischer Separatisten, die aus der Ukraine in die russische Region um Belgorod kommen und in die Ukraine zurückkehren, sind unangenehme Stiche, die nicht von der Ukraine gesteuert werden. Die ukrainischen Angriffe gegen die russische Halbinsel Krim nehmen zu. Spektakulär ist der Angriff gegen Straßen und Eisenbahnlinien über die für Russland wichtige Brücke bei Ketsch. Der Verkehr über die teilzerstörte Brücke erschwert den russischen Streitkräften den Ab- und Nachschub. Für die ukrainische Führung bleibt die Rückeroberung der Halbinsel Krim ein prioritäres Ziel. Für sie wäre dies ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur Befreiung, eine Schmach für Russland.
(conservo.blog)