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Staat und Bürger

"Wer auf das Volk baut, baut auf Sand"

Von Nicolò Machiavelli

Deßhalb muß Einer, der durch Gunst des Volkes Fürst wird, dessen Freundschaft sich zu erhalten suchen; was ihm leicht seyn wird, indem es nichts weiter verlangt, als nicht unterdrückt zu werden. Wer aber dem Volke zuwider, durch Gunst der Großen Fürst wird, muß vor allem das Volk sich zu gewinnen suchen; welches ihm leicht gelingen wird, wenn er nur dessen Schutz übernimmt. Und weil die Menschen, wenn sie Gutes von Einem, zu dem sie sich Böses versahen, erhalten, sich nur um so mehr an ihren Wohlthäter anschließen, wird das Volk ihm bald geneigter seyn, als wenn er selbst durch dessen Gunst zum Fürstenthume den Weg gefunden hätte. Und auf vielerlei Arten kann sich der Fürst das Volk gewinnen, über welche, da sie sich nach den Fällen ändern, es keine feste Regel giebt, und darum unerörtert bleiben.

Nur so viel will ich schließen: ein Fürst muß nothwendig das Volk zum Freunde haben, sonst hat er im Unglück keine Hülfe. Nabis, der Spartaner-Fürst, hielt die Belagerung aller Griechen und eines höchst siegreichen Römerheers aus, vertheidigte gegen diese sein Land und seine Herrschaft, und war ihm genug, als die Gefahr auf ihn hereinbrach, sich einiger Wenigen zu versichern. Hätte er das Volk zum Feinde gehabt, so wär’ ihm dieß nicht genug gewesen. Und diese Meinung wolle niemand mit dem gemeinen Sprichwort bestreiten: „wer auf das Volk baut, baut auf Sand;“ denn dieß ist wahr, wenn ein Privatmann darauf sich stützt und der Hoffnung lebt, daß ihn das Volk, wenn er von Feinden oder von Obrigkeiten bedrängt wär’, erlösen werde: in diesem Fall könnte er öfters sich getäuscht sehen, so wie es in Rom den Gracchen erging und in Florenz Herrn Giorgio Scali.

Ist es aber ein Fürst, der sich darauf verläßt, der befehlen kann, ein Mann, der Herz hat, in der Noth nicht verzagt, auch sonstige Vorkehrungen nicht verabsäumt und das Ganze durch seinen Muth und seine Beschlüsse mit ermuthigt, so wird er sich nie von ihm getäuscht sehen und wird finden, daß er auf guten Grund gebaut hat. Es pflegen diese Fürstenthümer Gefahr zu laufen, wenn sie daran sind, sich von der bürgerlichen Verfassung zur unumschränkten zu erheben. Denn diese Fürsten befehlen entweder selbst, oder mittelst Obrigkeiten: im letzteren Falle ist ihre Regierung schwächer und gefährdeter, weil sie in allen Stücken vom Willen derer Bürger abhängig sind, die die obrigkeitlichen Würden bekleiden und ihnen, zumal zur bösen Zeit, die Regierung mit großer Leichtigkeit entreißen können, indem sie entweder ihnen entgegenwirken, oder nicht Folge leisten.

Und für den Fürsten ist in Gefahren keine Zeit mehr, die unumschränkte Gewalt zu ergreifen, weil Bürger und Untergebene, gewohnt ihre Befehle von Obrigkeiten zu empfangen, die seinigen in solcher Bedrängniß nicht achten werden, und er in mißlichen Zeiten immer an Solchen Mangel leiden wird, auf welche er sich verlassen kann. Denn ein solcher Fürst kann nicht auf das, was er in ruhiger Zeit sieht, bauen, da alle Bürger des Staates bedürfen: denn da läuft jeder, jeder verspricht, und jeder will für ihn sterben, wenn der Tod entfernt ist. In böser Zeit aber, wenn der Staat die Bürger nöthig hat, da findet er ihrer wenige. Und diese Erfahrung ist um so viel gefährlicher, als man sie nur Einmal machen kann: und deßhalb muß ein weiser Fürst das Mittel ersinnen, durch welches seine Bürger immer, und unter jeder Beschaffenheit und Lage der Zeit, des Staates und Seiner bedürfen; so werden sie immer ihm treu seyn.
(Aus "Der Fürst" von Nicolò Machiavelli, Ausgabe 1842)

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