Melanie Amann und Friedrich Merz haben einen bemerkenswerten Wandel vollzogen
Von David Cohnen
Im März 2025 stehen zwei prominente Persönlichkeiten im Fokus, deren Verhaltensänderungen tiefere Fragen über die deutsche Politik und Medienlandschaft aufwerfen: Melanie Amann, stellvertretende Chefredakteurin des Spiegel, und Friedrich Merz, CDU/CSU-Kanzlerkandidat. Amann überraschte am 12. März 2025 in der Sendung Maischberger mit der Aussage, der Ukrainekrieg sei möglicherweise nicht zu gewinnen und ein schlechter Frieden einem endlosen Konflikt vorzuziehen.
Gleichzeitig vollzog Merz eine Kehrtwende zur Schuldenbremse, indem er mit CDU/CSU und SPD plant, Sonderschulden von mindestens 400 Milliarden Euro für die Bundeswehr sowie weitere 500 Milliarden Euro für Infrastruktur und Bildung aufzunehmen - insgesamt rund 1 Billion Euro.
Beide Entwicklungen offenbaren ein Paradoxon: Während Amann eine Abkehr von der bisherigen Kriegsrhetorik signalisiert, rechtfertigt Merz seine Wende mit Sicherheitsbedrohungen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten, die eine Zusammenarbeit mit einst kritisierten Parteien erfordern. Dieser Aufsatz untersucht diese Wandlungen als Symptome eines Systems, in dem Opportunismus, Medienpolitik und mangelnde Meinungsvielfalt die demokratische Debatte gefährden.
Melanie Amanns Wandel: Ein Bruch mit der Vergangenheit
Seit Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022 vertrat Melanie Amann in ihren Artikeln und Auftritten eine klare Linie: Unterstützung der Ukraine, harte Sanktionen gegen Russland und Ablehnung von Verhandlungen mit Wladimir Putin als Zeichen von Schwäche. Diese Haltung spiegelte den Konsens der deutschen Leitmedien wider, der geopolitische Prioritäten über die humanitäre Dimension des Konflikts stellte. Doch in der Maischberger-Sendung am 12. März 2025 brach sie mit dieser Position. Sie äußerte Zweifel an einem militärischen Sieg der Ukraine und kritisierte Europas mangelnde Initiative zur Konfliktbeendigung - eine Aussage, die angesichts der Hunderttausenden Toten und Verletzten als späte Anerkennung des Kriegsleids interpretiert werden kann.
Dieser Wandel fällt zeitlich mit der Rückkehr Donald Trumps ins Amt zusammen, der im Januar 2025 vereidigt wurde und Verhandlungen mit Putin aufgenommen hat. Trumps Ansatz stellt die bisherige europäische Strategie infrage, die auf militärische Unterstützung ohne ernsthafte Friedensgespräche setzte. Amanns Äußerungen könnten somit eine Reaktion auf diesen Paradigmenwechsel sein - ein Zeichen, dass selbst etablierte Journalisten ihre Positionen überdenken, wenn globale Machtverhältnisse sich verschieben. Doch die Frage bleibt: Ist dies ein Ausdruck echter Reflexion oder eine Anpassung an neue Realitäten?
Friedrich Merz und die Schuldenbremse: Ein Paradoxon der Sicherheitspolitik und des Opportunismus
Parallel dazu steht Friedrich Merz' Wandel in der Finanzpolitik. Im Wahlkampf 2024/2025 präsentierte sich der CDU/CSU-Kandidat als Verfechter fiskalischer Disziplin. Er lehnte jede Lockerung der Schuldenbremse ab, versprach Sparpotenziale zu nutzen und griff SPD und Grüne als Oppositionsführer scharf an, weil sie seiner Ansicht nach in Bereichen wie Wirtschaft und Infrastruktur falsch agierten. Nach der Bundestagswahl im Februar 2025 - mit einer möglichen Koalition mit der SPD im Blick - änderte sich seine Position drastisch. Merz befürwortet nun eine Reform der Schuldenbremse und plant mit CDU/CSU und SPD Sonderschulden von mindestens 400 Milliarden Euro für die Bundeswehr sowie weitere 500 Milliarden Euro zur Sanierung von Infrastruktur, Bildungssystem und anderen Bereichen - insgesamt rund 1 Billion Euro, ein nach oben offener Betrag. Diese Summen sollen die Sicherheit Deutschlands und Europas angesichts des Ukrainekriegs und "Trumps Rückzug aus globaler Verantwortung" sichern sowie innenpolitische Defizite beheben.
Merz rechtfertigt diese Kehrtwende unter anderem mit einer veränderten geopolitischen Lage und zieht Trump und Putin als Initiatoren heran, die seine Politik angeblich erzwingen. Doch diese Akteure sind seit Jahren auf der politischen Weltbühne präsent - Putin seit 1999, Trump seit seiner ersten Amtszeit 2017-2021. Diese Argumentation wirkt opportunistisch, da sie bestehende Akteure nutzt, um eine Abkehr von früheren Prinzipien zu legitimieren. Das Paradoxon ist offensichtlich: Während Amann den Krieg als potenziell unlösbar darstellt und einen schlechten Frieden ins Spiel bringt, rechtfertigt Merz seine Wende mit der Notwendigkeit, diesen Krieg militärisch zu bewältigen und gleichzeitig die von ihm kritisierten Missstände der Vergangenheit zu korrigieren. Wo Amann Deeskalation andeutet, setzt Merz auf Aufrüstung und Investitionen - finanziert durch eine Politik, die er zuvor verdammte. Noch bemerkenswerter ist seine Abkehr von der Oppositionsrhetorik: Die Zusammenarbeit mit SPD und potenziell Grünen, die er als fiskalisch verantwortungslos attackierte, ist nun für ihn unvermeidlich, um seine Ziele zu erreichen. Dies zeigt nicht nur einen Widerspruch in der Reaktion auf die Krise, sondern auch einen opportunistischen Richtungswechsel, der Macht über Prinzipien stellt.
Medien und Politik: Ein System der gegenseitigen Abhängigkeit
Beide Wendungen - Amanns und Merz' - werden von den Medien begleitet, die ihre Rolle in diesem System offenbaren. Die öffentlich-rechtlichen Sender wie ARD und ZDF - oft als "Zwangsbezahlpropagandarundfunkundfernsehanstalten" kritisiert - haben in den letzten Jahren eine Berichterstattung geprägt, die eng mit den Positionen der etablierten Parteien (CDU/CSU, SPD, Grüne) verknüpft ist. In der Ukraine-Debatte dominierten Narrative wie "Russland darf nicht siegen", während alternative Ansätze wie Verhandlungen marginalisiert wurden. Ebenso wurde Merz' frühere Verteidigung der Schuldenbremse als verantwortungsvoll gelobt - nun wird seine Lockerung mit einer Billionenschuld als "staatspolitische Notwendigkeit" gefeiert, ohne den Widerspruch zu seiner früheren Kritik an SPD und Grünen oder die fragwürdige Rechtfertigung über Trump und Putin groß zu thematisieren. Diese sogenannten Zwangsbezahlmedien stehen Merz' Richtungswechsel hilfreich zur Seite, indem sie die neue Schuldenpolitik positiv darstellen und die Koalitionspläne mit einstigen Gegnern als pragmatisch rechtfertigen. Echte oppositionelle Akteure, die abweichende Perspektiven einbringen könnten, werden dabei kaum in die Diskurse eingebunden, was die Dominanz des etablierten Narrativs weiter festigt.
Diese Abhängigkeit funktioniert in beide Richtungen: Medien beeinflussen die öffentliche Meinung und damit die Politik, während Parteien über Gremien und Netzwerke die Medienagenda mitgestalten. Neue oder nicht etablierte Akteure - etwa kleinere Parteien oder kritische Stimmen - haben es schwer, Gehör zu finden, bis sie selbst Teil des Systems werden. Das Ergebnis ist eine eingeschränkte Diskurskultur, in der Narrative dominieren, bis äußere Umstände einen Wandel erzwingen - sei es durch Trump oder die Erschöpfung eines Krieges.
Opportunismus und die Schwäche des Systems
Der Wandel von Amann und Merz zeigt ein zentrales Problem: Opportunismus als treibende Kraft. Amann passt ihre Haltung an, als die bisherige Strategie fraglich wird; Merz opfert Prinzipien für eine Koalition mit Parteien, die er zuvor scharf angriff, und rechtfertigt dies mit Sicherheits- und Investitionsrhetorik, die auf lange bekannte Akteure wie Trump und Putin verweist. Beide Beispiele deuten auf eine Schwäche des Systems hin, in dem Eigenständigkeit riskant ist und Anpassung belohnt wird. Festzustellen ist zudem, dass es offensichtlich Ziel dieses Systems ist - und auch funktioniert -, den Souverän, also die Wähler, vom selbstständigen Denken abzubringen. Journalisten und Politiker operieren in einem Netzwerk, in dem abweichende Meinungen ausgeschlossen werden, bis sie unvermeidlich sind - dann schwenken alle um. Dieses Verhalten ist nicht nur eine Schwäche der Institutionen, sondern auch der Menschen darin, die sich nach Macht oder Akzeptanz richten, statt aus Überzeugung zu handeln.
Die Krise der Meinungsvielfalt
Demokratie lebt von der Vielfalt der Meinungen, doch in Deutschland scheint diese Vielfalt zu schwinden. Die einheitliche Berichterstattung zum Ukrainekrieg, die stereotype Rechtfertigung der Schuldenbremse oder die unkritische Begleitung von Merz' Wende zeigen, wie eingeschränkt die Debatte ist. Kritische Perspektiven - etwa auf das Leid des Krieges oder die langfristigen Folgen einer Billionenschuld - werden selten aufgegriffen. Auffallend ist, wie die geschickt verbreiteten Narrative immer wieder vom Wähler kritiklos übernommen werden, ohne sie zu hinterfragen - ein Zeichen dafür, dass die Strategie, selbstständiges Denken zu unterdrücken, erfolgreich ist. Stattdessen folgen Medien und Politik einem Konsens, der erst bricht, wenn äußere Kräfte es erzwingen. Das Paradoxon von Amanns und Merz' Verhalten unterstreicht diesen Mangel: Während die eine Frieden andeutet, treibt der andere Aufrüstung und Schuldenpolitik mit einstigen Gegnern voran - doch beide Positionen werden kaum hinterfragt, solange sie ins neue Narrativ passen.
Fazit
Melanie Amanns Wandel und Friedrich Merz' Kehrtwende sind mehr als individuelle Entscheidungen - sie spiegeln ein System wider, das von Abhängigkeit, Opportunismus und fehlender Vielfalt geprägt ist. Amanns Öffnung für einen schlechten Frieden steht im Widerspruch zu Merz' Aufrüstungs- und Schuldenplänen mit SPD und potenziell Grünen, doch beide werden von einem Medienapparat getragen, der sich anpasst, statt kritisch zu reflektieren. Die "Zwangsbezahlpropagandarundfunkundfernsehanstalten" unterstützen Merz' Richtungswechsel ebenso wie Amanns neue Töne, ohne die Widersprüche zu seiner früheren Oppositionskritik, die fragwürdige Nutzung von Trump und Putin als Rechtfertigung oder die Tragweite einer Billionenschuld zu beleuchten. Echte oppositionelle Akteure bleiben ausgeschlossen, während der Souverän durch geschickte Narrative vom selbstständigen Denken abgehalten wird - ein Zustand, den Wähler kritiklos akzeptieren. Dieses Paradoxon zeigt, wie weit Deutschland von einer lebendigen Diskurskultur entfernt ist. Ob dieser Zustand durch externe Impulse oder neue Akteure gebrochen werden kann, bleibt offen. Sicher ist: Ohne echte Unabhängigkeit von Medien und Politik wird die Demokratie ihre Vielfalt - und damit ihre Stärke - weiter verlieren.