Springe zum Inhalt

Deutsches Volk

Welche Verfassung schützt ein Verfassungsschutz?

Gut zu wissen, was im Lexikon steht, wenn ein Deutsches Volk Gefahr läuft, verfassungswidrig zu sein, obwohl es noch immer keine Verfassung hat, sondern ein Grundgesetz, welches ersetzt werden sollte.

Deutsches Volk (hierzu die Karte »Verbreitung der Deutschen in Mitteleuropa«), 1) in politischer Beziehung die Bevölkerung des Deutschen Reiches, die auch nichtdeutsche Bestandteile umfaßt (s. Deutschland, S. 768ff.); 2) in ethnographischer Hinsicht die Gesamtheit der Bewohner Europas und der andern Erdteile, deren Muttersprache die deutsche Sprache ist. Bedeutend lebhafter und inniger als noch vor ein bis zwei Jahrzehnten beschäftigt man sich heutzutage mit der gründlichen Beantwortung der wichtigen Frage, was denn eigentlich das Wesen und die Seele des deutschen Volkes in seiner Eigenart, das alltägliche Leben, das gewöhnliche Fühlen und Denken der breiten Masse, namentlich der mittlern und untern Schichten, ausmache.

Abgesehen von dem Versuch, in Wiederaufnahme der Jahnschen Bestrebungen von 1810 das deutsche Volkstum eingehend zu analysieren (vgl. Hans Meyer, Das deutsche Volkstum, Leipz. 1898; 2. Aufl. 1903), mehren sich von Jahr zu Jahr die Vereine, die sich der Volkskunde (s.d.) in landschaftlich begrenzten Abschnitten widmen und die Ergebnisse ihrer Einzelforschungen durch selbständige Zeitschriften in weitere Kreise tragen. Zu nennen sind: 1) Verein für Volkskunde in Berlin (gegründet 1889; »Zeitschrift des Vereins für Volkskunde«, begründet von Weinhold); 2) Verein für niederdeutsche Volkskunde, Göttingen (1901, »Mitteilungen«); 3) Verein für sächsische Volkskunde, Dresden (1897, »Mitteilungen«); 4) Schlesische Gesellschaft für Volkskunde, Breslau (1894, »Mitteilungen«); 5) Hessische Vereinigung für Volkskunde, Gießen (1901, »Hessische Blätter für Volkskunde«); 6) Verein für bayrische Volkskunde und Mundartforschung, Würzburg (1884, »Mitteilungen und Umfragen«); 7) »Verein für Volkskunst u. Volkskunde«, München (1902, »Volkskunst und Volkskunde«); 8) Württembergische Vereinigung für Volkskunde, Tübingen (1899, Mitteilungen in den »Jahrbüchern für Statistik und Landeskunde«); 9) Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde, Zürich (1896, »Schweizerisches Archiv für Volkskunde«); 10) Verein für Egerländer Volkskunde, Eger (1897, »Unser Egerland«); 11) Verein für österreichische Volkskunde, Wien (1894, »Zeitschrift für österreichische Volkskunde«); 12) Kommission für deutsch-böhmische Volkskunde, Prag (1891, »Beiträge zur deutsch-böhmischen Volkskunde«). Vgl. auch Kaindl, Die Volkskunde; mit besonderer Berücksichtigung ihres Verhältnisses zu den historischen Wissenschaften (Wien 1903).

Daß die politischen und ethnographischen Grenzen sich nicht decken, erklärt sich aus der Vergangenheit des deutschen Volkes. Nordostdeutschland ist die Wiegenstätte des deutschen Volkes. Als Pytheas aus Massilia[748] um 320 v. Chr. zu allererst die Nordseeküsten des heutigen Deutschland erschloß, wohnten deutsche Völkerschaften nur im jetzigen Schleswig-Holstein bis aus Nordseegestade heran; sonst breiteten sie sich längs der Ostseeküste bis etwa ins unterste Weichselland aus und über das Binnenland des Odergebiets durch das heutige Schlesien, Sachsen, die Mark und Mecklenburg bis an die Elbe, wohl auch bereits über Thüringen. Das übrige Mitteleuropa gehörte den Kelten, nur die Tiroler und Schweizer Alpen den mit den Etruskern verwandten Rätern.

Näher als die Kelten standen den Deutschen deren Nachbarn im Osten und Norden, mit denen zusammen sie den Völkerkreis der Germanen bildeten, die Ostgermanen, hauptsächlich die Goten (damals im heute polnischen Weichselgebiet wohnhaft) und die Nordgermanen, die Stammväter der Dänen, Schweden und Norweger. Durch körperliches Aussehen, Sprache und Charakter den noch fortlebenden Nordgermanen sowie den nachmals in der Völkerwanderung oder später vernichteten, bezüglich in andern Völkern ausgegangenen Ostgermanen (z. B. auch den Vandalen, Gepiden, Burgundern) nächstverwandt, verdienen folglich die Deutschen gemäß jenen ihren ältesten Wohnsitzen den Namen der Westgermanen.

Schon in den nächsten Jahrhunderten nach Pytheas räumten die Kelten das Land zwischen Elbe und Rhein, in das nun die Deutschen einzogen. Der Rhein ward allmählich ein deutscher Strom. Die Menapier waren das letzte Keltenvolk, das (in den heutigen Niederlanden) aufs rechte Rheinufer hinüberreichte; sie räumten es kurz vor Cäsars Erscheinen in Gallien den Deutschen. Diese waren seit dem Cimbernzug stürmischer vorgedrungen, hatten den keltischen Bojern Böhmen entrissen und waren, den aus dem Maingebiet südwärts gegen die Schweiz hin verziehenden keltischen Helvetiern auf dem Fuß folgend, am süddeutschen Rhein erschienen. Sweben (Sueven) nannten sich die germanischen Heerscharen, die unter Ariovist 72 v. Chr. den Rhein sieghaft überschritten und in Gallien eindrangen. Cäsars Sieg über Ariovist lenkte die Völkergeschicke um. Ohne ihn wäre vielleicht Frankreich deutsch, Mitteleuropa slawisch geworden. Zwar blieben auch nach Ariovists Niederlage drei deutsche Volksstämme auf dem linken Ufer des süddeutschen Rheins, etwa von Straßburg ab nordwärts, in der oberrheinischen Niederung nebst dem anstoßenden Gebirge sitzen: die Triboker, Nemeten und Vangionen. Sie wurden aber Rom gleich sämtlichen Keltenstämmen Galliens untertan, und der germanischen Eroberungslust ward auf Jahrhunderte längs der Rheinlinie durch die Römer Halt geboten. Der Wallzug des Limes, der vom norddeutschen Rhein bis an die Donau oberhalb Regensburg verlief, schirmte sogar das Gelände auf der rechten Stromseite vor germanischem Ansturm, und seit unter Augustus die mitteleuropäischen Alpen samt deren nördlichem Vorland von Rom bewältigt und die Provinzen Vindelicien und Noricum organisiert waren, hielten die Römer einige Jahrhunderte auch an der Donaulinie das Übergreifen der Germanenflut zurück.

Die Völkerwanderung erst zerbrach die künstlichen Schutzgrenzen von Schanzen und Römerkastellen und machte fast ganz Mitteleuropa deutsch. Freilich entleerte sich bei diesem Jahrhunderte währenden Abströmen deutschen Volkes nach Südwesten der Osten, namentlich der Nordosten. Dafür rückten Slawenstämme westwärts ein: in Norddeutschland bis nach Ostholstein, bis an und über die Elbe und die thüringische Saale; Böhmen und Mähren ging an die Tschechen verloren, zwischen Fichtelgebirge und Böhmerwald zogen die Radanzwinden bis nach Mittelfranken hinein. Aber schon im Zeitalter Karls d. Gr. setzte die deutsche Rückflut nach diesen slawisch gewordenen Ostlanden ein: teils wurden den Slawen oder »Winden« (»Wenden«) auf kriegerischem Wege mit der deutschen Herrschaft deutsche Sprache und Gesittung sowie Aufnahme deutscher Neusiedler aufgezwungen, teils riefen slawische Fürsten freiwillig, wie in Schlesien, Böhmen und Mähren, deutsche Ansiedler in ihre Lande, um Wälder zu roden, Bergwerke zu eröffnen, Städte zu gründen. Der Deutschritter-Orden führte seit dem 13. Jahrh. Angehörige aller deutschen Stämme in das von ihm gleichzeitig dem Christentum und dem Deutschtum gewonnene Küstenland jenseit der Weichsel, wo neben polnischer litauisch-lettische Zunge erklang. Endlich verursachte die Anteilnahme Preußens an den polnischen Teilungen den letzten bedeutungsvollen Abstrom deutschen Volkes ins östlichste Oder- und ins Weichselland bis zur russischen Grenze. (Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, zeno.org)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert