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Worte unter Generalverdacht?

Sprache darf nicht verboten sein, nur weil sie missverstanden werden könnte

Von David Cohnen

Am 23. Oktober 2025 veröffentlichte die Junge Freiheit den Artikel "Harmloser X-Beitrag: Polizei rückt mit Durchsuchungsbeschluß bei Norbert Bolz an"
(jungefreiheit.de).

Demnach wurde bei dem emeritierten Professor und Publizisten Norbert Bolz in Berlin eine Hausdurchsuchung durchgeführt - ausgelöst durch einen ironisch gemeinten Beitrag auf der Plattform X, in dem er den Satz "Deutschland erwache!" verwendete.

Diese Formulierung stammt aus dem "Sturmlied" der NSDAP und wird von der Staatsanwaltschaft als Verstoß gegen § 86a StGB ("Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen") gewertet.

In diesem Aufsatz soll nicht nur das Ereignis betrachtet werden, sondern auch eine grundsätzliche Frage: Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn Worte selbst unter Generalverdacht geraten? Wenn Sprache nicht mehr frei ist, sondern juristisch vermessen wird, steht mehr auf dem Spiel als ein einzelner Tweet.

Analyse des Artikels und des Falls

Der Artikel der Jungen Freiheit zeichnet ein Bild von einem vermeintlich harmlosen Social-Media-Post, der eine drastische staatliche Reaktion nach sich gezogen hat.
Bolz hatte einen Artikel der taz geteilt, in dem es hieß: "AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland erwacht."
Dazu schrieb er ironisch: "Gute Übersetzung von 'woke': Deutschland erwache!"

Die Ermittlungsbehörden sehen darin eine Parallele zur NS-Parole "Deutschland, erwache!". Laut Artikel war sogar die zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet beim Bundeskriminalamt (BKA) beteiligt.

Daraus ergeben sich drei zentrale Fragen:

  1. Zur Verhältnismäßigkeit:
    Eine Hausdurchsuchung ist ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre. Ist ein ironischer Kommentar dafür ausreichend?
  2. Zum Kontext:
    Bolz erklärte, er habe den Satz als sprachliche Satire verstanden, als ironische Kritik an der modernen "Woke"-Bewegung. Wird der Kontext hier bewusst ignoriert, um einen politischen Punkt zu setzen?
  3. Zur Signalwirkung:
    Wenn bereits Ironie Anlass für Ermittlungen ist, dann entsteht eine Atmosphäre der Angst vor Sprache - und genau das gefährdet eine offene Gesellschaft.

Über die Absurdität sprachlicher Tabuisierung

Ich möchte an dieser Stelle einen Gedanken hinzufügen:
Es kann doch nicht sein, dass in Deutschland Worte selbst zu einem Risiko werden - dass man sie meiden muss, nur damit nicht der Verdacht entsteht, man würde in irgendeiner Weise "den Nazis huldigen".

Das Wort "erwachen" ist so alt wie die deutsche Sprache selbst. Es steht für Einsicht, Erkenntnis, manchmal schlicht für den Übergang vom Schlaf zum Denken.
Wenn man es heute nicht mehr verwenden darf, weil es einmal in einem Lied der NSDAP vorkam, dann ist das kollektive Sprachgedächtnis krank geworden.

Um die Absurdität zu verdeutlichen:
Der "Gröfaz" - wie Hitler im Volksmund genannt wurde - hat vermutlich jeden Morgen, wenn er in die Reichskanzlei kam, zu seiner Sekretärin gesagt:

"Guten Morgen, Frau Junge."

Müsste man deshalb den Gruß "Guten Morgen" heute ebenfalls meiden?
Natürlich nicht.
Aber genau das zeigt, wohin übertriebene Sprachsensibilität führen kann:
Wenn jedes Wort schuldig wird, nur weil es ein Schuldiger je benutzt hat, dann verliert Sprache ihren Sinn - und Freiheit ihre Grundlage.

Sprache, Schuld und Freiheit

Selbstverständlich darf man die historische Verantwortung Deutschlands nie relativieren.
Doch diese Verantwortung besteht nicht darin, die Sprache zu kastrieren, sondern darin, bewusst mit ihr umzugehen.
Worte sind Werkzeuge des Denkens.
Wer beginnt, sie zu verbieten oder juristisch zu vermessen, verhindert freies Denken - und genau das sollte in einer Demokratie unmöglich sein.

Dass inzwischen sogar das Wort "Deutschland" in bestimmten Zusammenhängen als "problematisch" gilt, ist Ausdruck einer übersteigerten Selbstzensur.
Es ist, als ob die Angst vor der Vergangenheit uns daran hindert, in der Gegenwart vernünftig zu sprechen.

Schluss

Der Fall Norbert Bolz steht damit sinnbildlich für eine Entwicklung, in der historische Schuld in staatliche Sprachkontrolle umschlägt.
Wenn Ironie, Satire oder gar Alltagsworte juristisch verfolgt werden, wird aus Erinnerung Politik - und aus Politik Einschüchterung.

Sprache darf nicht verboten sein, nur weil sie missverstanden werden könnte.
Denn eine Gesellschaft, die sich vor Worten fürchtet, verliert irgendwann die Fähigkeit, über sich selbst zu sprechen.

Quellenhinweis:
Artikel der Jungen Freiheit, "Harmloser X-Beitrag: Polizei rückt mit Durchsuchungsbeschluß bei Norbert Bolz an", 23. Oktober 2025.
URL: https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2025/harmloser-x-beitrag-polizei-durchsucht-haus-von-norbert-bolz/

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