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Aneinander vorbeireden

Für Ampel und Union ist nur eine gespaltene Gesellschaft eine gute Gesellschaft!

Von Michel van Laack

Hardy Ostry lieferte Ende 2017 im Bulletin der Konrad-Adenauer-Stiftung unter der Artikelüberschrift „Sebastian Kurz macht die Mitte stark“ einen Kommentar, der exemplarisch für das Thema steht, dass ich im Nachfolgenden ausfächern möchte: Begriffsverwirrung und schwache bis nicht vorhandene Definitionen im politischen Vokabular, wie wir sie heute – sechs Jahre später – leider nicht einfach nur immer noch sondern noch deutlich ausgeprägter sehen.

Ostry schrieb seinerzeit:
Die österreichische Nationalratswahl, die aufgrund des jungen ÖVP-Spitzenkandidaten und der möglichen Koalition mit der FPÖ international stark rezipiert wurde, bedeutet eine Zäsur in der Politik Österreichs. Sebastian Kurz hat es geschafft, entgegen allen Erwartungen einen umfassenden Wahlerfolg der rechtspopulistischen FPÖ zu verhindern. Es gelang ihm damit, die politische Mitte zu stärken. Sollte es nun wie erwartet zu einer Koalition mit der FPÖ kommen, muss Kurz aber beweisen, dass seine Regierung in jeder Hinsicht pro-europäisch agieren wird. Erste Gelegenheit dazu hat er bereits am kommenden Donnerstag, wenn er in Brüssel auf die Staats- und Regierungschefs der übrigen Mitgliedsstaaten trifft. Auf einige unangenehme Fragen wird er sich dort in jedem Fall vorbereiten müssen.

Wenn die Begriffe nicht stimmen…
Die Konrad-Adenauer-Stiftung passt sich hier gemeinsam mit dem Autor dem Begriffsverwirrungs-Vokabular an, welches seit fast einem Vierteljahrhundert verstärkt gepflegt wird und von dem schon Konfuzius meinte, dass ein Volk in Gefahr gerate, wenn eine solche Verwirrung sich etabliere.

Da wäre allen voran der Begriff „Mitte“ zu nennen. Schließt man seine Augen und stellt sich ein Nichts vor, in dem drei Menschen nebeneinander dem Betrachter zugewandt stehen und sich an den Händen halten, so befindet sich einer von diesen zwangsläufig und eben auch per Definition in der Mitte.

Die politische Parteienlandschaft besteht allerdings weder in Österreich noch in Deutschland nur aus drei Parteien, diese sind auch nur selten ihren Wählern unmittelbar zugewandt und stehen zudem nicht im Nichts. In dieser Dimensionslosigkeit sind eher ihre Parteiprogramme zu verorten, weil sie oft nichts beinhalten. Zumindest nichts, dass sich nicht mindestens dreifach interpretieren ließe und somit eben nicht den Hochglanz wert ist, aus dem es den Wähler – so er sich überhaupt der Mühe unterwirft oder die Fähigkeit besitzt) zu lesen und/oder zu verstehen. – anstrahlt. Doch zurück zur Mitte, aus der mich mein roter Faden gerade ein wenig wegführt.

Was bitte ist “Mitte”?
Die politische Mitte in Österreich besteht aus dem rechten Flügel der SPÖ, der aktuell ungefähr 30% dieser Partei ausmacht, der gesamten ÖVP, der Majorität der FPÖ (die das, was man linken Flügel nennen könnte, kaum besitzt, wohl aber einen rechten Flügel, der vielleicht 20% der Partei stark sein dürfte.

Die politische Mitte in Deutschland besteht aus dem linken und pseudoliberalen Flügel (Merkelianer) der CDU, weitesten Teilen der SPD, den Realos der Grünen, dem liberalen und linksliberalen Flügel der FDP und dem realpolitischen Flügel der Linken.

Wir sehen: Während man in Österreich auch in der Nach-Kurz-Ära tatsächlich davon sprechen kann, dass eine große Zahl des Wahlvolks sich in der Mitte trifft und rechts wie links nur einige daneben stehen, die der Mitte darüber hinaus auch nicht die Hand reichen möchten, ist das, was die veröffentlichte Meinung in Deutschland als Mitte bezeichnet, – um im Bild von oben zu bleiben – wieder jene aus drei Personen bestehende Gruppe, von der zwei (zum einen die Ampel, zum anderen die Union) sich fast gleicht tief nach links neigen und die dritte (die AfD) zu schwach, immer noch zu inhomogen und auch kaum willens ist, die von den beiden ihr am nächsten stehende der beiden nach links gebeugten Personen zu ziehen, um entweder zu erreichen, dass sie die ganz links stehenden los lässt oder gar die Kraft hat, sie wieder in eine kerzengerade Position zu ziehen.

Will sagen: derselbe Begriff umschreibt divergierende Zustände. Damit mag man viele Gewissen beruhigen. Wissenschaftlich aber ist diese Vorgehensweise nicht und nutzbringend erst recht nicht.

Pro-europäisch ist nicht identisch mit “Pro-EU”
Ebenso interessant ist es, einen Blick auf das Schlagwort „pro-europäisch“ zu werfen. Sowohl das politische Establishment in Deutschland als auch die veröffentlichte Meinung verstehen darunter einen immer engeren Zusammenschluss der EU-Staaten unter wachsender Preisgabe hoheitlicher Eigenrechte in den Bereichen Justiz, Finanzen, Wirtschaft, usw.

Zwar ist das Europa, das der ÖVP vorschwebt, kein Europa der Vaterländer, also keine Rückkehr in EG-Zeiten, aber doch eines, dass den EU-Einzelstaaten ein hohes Maß an Souveränität lässt. Hier ist also die Schnittmenge mit der „Schwester-Partei“ CDU/CSU nicht sonderlich groß, zumindest nicht realpolitisch. Papier ist bekanntlich geduldig.

Sehr bedauerlich, dass auch die Konrad-Adenauer-Stiftung im beispielhaft herangezogenen Papier und auch in anderen vorherigen Papieren häufig den Begriff “rechts” als Attribut oder umschreibenden Wortteil einführt, sich der Formulierung einer belastbaren Definition auch dieses Begriffs allerdings bisher entzogen hat, es also den anderen politischen Institutionen, Vereinigungen und selbstverständlich auch dem ÖRR und anderen Leitmedien gleichtut.

Alles, was nicht bei Drei auf einem linken Ast des Baumes sitzt, ist “rechts”!
Und so bleibt es jedem Bürger auch weiterhin überlassen, darüber nachzusinnen, ab wann er eine Haltung oder eine Aussage als „rechtsgerichtet“, „rechtsextrem“, „rechtsaußen“, “rechtspopulistisch” usw. verstehen soll und ob bzw. wie er eine Hierarchie dieser Begriffe bildet. Sicher scheint nur zu sein: Rechts ist alles, was nicht Mitte ist, und Mitte ist nichts, was sich nicht nach links zu neigen bereit ist.

Vielleicht sollte man einfach die „Deutsche Partei“ (DP), mit der Konrad Adenauer 1949, 1953 und 1957 koaliert bzw. Mitglieder aus ihr ins Kabinett aufgenommen hat, als Basis für die Definition „rechtsgerichtet“ nehmen. Ich bin überzeugt, man wäre für die Zukunft weitaus vorsichtiger bei der Bewertung der AfD als „rechtsaußen“ oder „rechtsextrem”.

Solange es an Definitionen mangelt, werden wir immer weiter und auch immer folgenreicher aneinander vorbeireden. Solange Begriffe nur betrachtet werden, aber nicht definiert, wird es keine Chance geben, die Spaltung der Gesellschaft zu verringern. Es sei denn, man isolierte den einen Teil der Gesellschaft so sehr, dass ihn der andere nicht mehr wahrzunehmen genötigt wäre.

Ein Reich, das in sich uneins ist, zerfällt!
Ist es das, was wir wollen sollen? Ist es nicht stattdessen Aufgabe der Regierenden und der Politik insgesamt, eskortiert von den Medien ein gesellschaftliches Klima herzustellen, in dem die Bürger gern gemeinsam für unser Land und für Europa den Dienst an allen seinen Gliedern tun? Wer Kategorisierungen zementiert, schafft Spaltung, umso mehr dann, wenn er Kategorien ausweitet, Begriffe verschiebt und so den Boden dafür bereitet, dass die Worte nicht mehr stimmen.

Es gilt also, mehr zu tun, als in der gleichen Sprache die gleichen Begriffe zu verwenden! Zuallererst müssen wir ALLE uns bemühen, Konsens darüber herstellen, was wir meinen, wenn wir einen Begriff verwenden. Sonst wird das aneinander vorbeireden und sich mit Schlagworten diskreditieren (Nazi, Kommunist usw.) sich nicht nur verstetigen und sprachlich verselbstständigen, sondern eine Gesellschaft schaffen, in der nahezu ausschließlich in Feindkategorien gedacht und entsprechend gehandelt wird.

Auch Integration kann nur so funktionieren. Es reicht nicht, die Sprache des Gast- oder neuen Heimatlandes zu sprechen, es reicht nicht, ihre „Werte“ zu kennen, man muss Begriffsdefinition betreiben, bevor sich eine Leitkultur etablieren lässt. Es muss das gleiche Fleisch sein, dass wir an die Knochen jener Skelette anwachsen lassen, die wir Deutschland oder Europa nennen. Wildwuchs bringt nur Warzen oder Hautkrebs!
(conservo.blog)

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