Die Bedienungsanleitung von Wang Huning zum Politerfolg Chinas
(gh) - "Ich sage nur China, China, China!" orakelte Bundeskianzler Kurt Georg Kiesinger 1969 auf dem Wahlkongress der CDU. Wer wissen will, was China immer größer macht, muss lesen, was Chinesen als Bedienungsanleitung lernen: "Amerika gegen Amerika" von Wang Huning. Er ist ein Politiker in der Volksrepublik China und seit November 2012 Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas. Wang Huning ist einer der wichtigsten Berater von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping.
Vor zwei Jahren schrieb die Frankfurter Rundschau über ihn: "'Wang Huning spielt eine ganz entscheidende Rolle in der Kommunistischen Partei', sagt der Münchner Sinologe Hans van Ess im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. Etwas abseitsstehen, unauffällig sein, aber dennoch in der Herzkammer der Macht agieren: Das ist die Rolle, in der sich Wang Huning gefällt. Kaum jemand in China war in den vergangenen Jahrzehnten so mächtig.. Wang war es, der Chinas Kommunisten einst lehrte, den Westen zu verachten. Natürlich blickte die Führung der Volksrepublik schon immer mit einer Mischung aus heimlicher Bewunderung und offener Ablehnung auf die Länder des Westens, vor allem auf die USA. In den 80er-Jahren aber, als China sich nach Jahrzehnten der freiwilligen Abschottung wieder öffnete, war noch nicht ganz klar, welchen Pfad das Land einschlagen würde. 'Da gab es noch lebhafte Diskussionen über den richtigen Weg und regelrechte Flügelkämpfe', sagt van Ess. Und selbst nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 standen China alle Optionen offen.
'Es gab Diskussionen darüber, wie das richtige System für China eigentlich auszusehen habe', so van Ess. Sogar freie Wahlen schienen möglich, zumindest auf lokaler Ebene". In diese Gemengelage platzte 1991 ein Buch, das Wang Huning, damals Politik-Professor an der renommierten Fudan-Universität in Shanghai, in den Monaten zuvor verfasst hatte: 'Amerika gegen Amerika', eine Mischung aus Reisebericht, politischer Analyse und ideologisch gefärbtem Pamphlet. 1988 war Wang für sechs Monate durch die USA gereist, das 'kapitalistische Land Nummer Eins', wie er schreibt, er besuchte mehr als zwei Dutzend amerikanische Städte, eine Siedlung der Amischen, die Coca-Cola-Fabrik in Atlanta. Das politische System der USA ist laut Wang für ihren Abstieg verantwortlich.
Fassungslos erzählt Wang in dem Buch zudem, was er in Kalifornien erlebt hat, in einem Park gleich neben der Universität von Berkeley: 'Da waren Hunderte von in Lumpen gekleideten Menschen, sie verbrachten dort jede Nacht, einige mit kleinen Zelten aus Lumpen, andere mit Zeitungen auf dem Boden, auf denen sie schliefen'. Wie kann das sein, diese Armut im reichsten Land der Welt? Die Antwort findet Wang Huning im politischen System der USA. 'Meine Analyse' zeigt, dass die mächtigen Gruppen, die die Politik beherrschen, über dem einfachen Volk stehen', schreibt er. An den Spitzen von Politik und Wirtschaft würden Menschen sitzen, die nur ihre eigenen Interessen verfolgen, die USA beschreibt er als einen riesigen Selbstbedienungsladen. Zudem sei das Land zerrissen zwischen scheinbar unauflöslichen Widersprüchen. Wang schreibt über Rassenunruhen, über religiösen Fundamentalismus und spirituelle Leere, über einen überbordenden Individualismus, der die amerikanische Familie zerstöre.
'Das Buch von Wang Huning hat mit dazu beigetragen, dass man sich in Chinas Führung gesagt hat: Der Weg, den der Westen eingeschlagen hat, kann nicht der Richtige sein', sagt Hans van Ess. 'Und so haben sich in Chinas Führung die Leute durchgesetzt, die auf dem Pfad der Einparteienherrschaft beharren wollten und dafür plädiert haben, dass die Kommunistische Partei über alles die Kontrolle behält'. Mitte der 1990er-Jahren begann Wangs Aufstieg vom gefeierten Intellektuellen zum einflussreichen Politiker. Unter Staats- und Parteichef Jiang Zemin kletterte Wang in der Polithierarchie der Kommunistischen Partei immer weiter nach oben.
Jiangs Nachfolger Hu Jintao nahm ihn mit zu Staatsbesuchen und holte ihn ins Politbüro. Dort rückte er unter Xi Jinping in den Ständigen Ausschuss vor, in dem er heute noch immer sitzt, mittlerweile an vierter Stelle. Für Xi erdachte Wang den 'Chinesischen Traum' vom Wiederaufstieg der Volksrepublik zur Weltmacht. Wie kaum ein anderer beherrscht er die Kunst, konkrete politische Zielvorstellungen in griffige Slogans zu verpacken". Was das schiere politische Überleben angehe, sei Wang einzigartig, da er nun schon seit über 30 Jahren unter drei aufeinanderfolgenden Führern in der obersten Ebene der Kommunistischen Partei tätig sei, urteile David Shambaugh, einer der besten Kenner der chinesischen Machtstrukturen.
"Lehrer der drei Generationen" oder "Lehrer des Staates" sind nur zwei der inoffiziellen Titel, die man Wang verliehen hat. Als ein wütender Mob im Januar 2021 das Kapitol in Washington stürmte, sprach man in China plötzlich wieder über Wangs längst vergriffenes Buch. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete damals, dass einzelne Exemplare von "Amerika gegen Amerika" für bis zu 2.500 Dollar bei chinesischen Onlinehändlern verkauft worden seien. Dabei müsse man in China das Buch gar nicht lesen, um zu verstehen, was schieflaufe in den USA. Ein Blick ins Staatsfernsehen reiche, wo täglich aufs Neue die Horrormeldungen präsentiert würden, die Amerika ja tatsächlich wie am Fließband produziere: Schießereien, die Drogenepidemie, die Hunderttausenden Corona-Toten.
Xi Jinpings "Chinesischer Traum", den Wang Huning einst erdachte, habe den "American Dream" längst verdrängt. Die beiden Staaten hätten einen Konfrontationskurs eingeschlagen, von dem sie kaum mehr abzubringen seien. In Washington überböten sich Republikaner und Demokraten in ihren Verbalangriffen auf China, und in Peking warnte unlängst Staatschef Xi: "Die westlichen Länder, allen voran die Vereinigten Staaten, haben eine umfassende Eindämmung und Unterdrückung Chinas betrieben, die die Entwicklung des Landes in nie gekanntem Maße behindern“. Wang dürfte es genauso sehen.
Alle Systeme, die Menschen zum Glück zwingen wollen, kranken an einem Fehler: sie sind ohne Freiheit oder mit Freiheit, die die Herrschaft meint. Viele meine Gespräche mit Freunden in der DDR versuchten immer klarzumachen, dass die BRD im Unterschied zur DDR auch die Freiheit bot, im Leben zu scheitern. Davor wollten Väterchen und Mütterchen Staat drüben helfen dies zu verhindern, indem sie überall den Volkserzieher herauskehrten. Für viele Menschen ist das sehr bequem.