War die Bundesrepublik schon immer autoaggressiv?
Von C. JAHN
Die nach innen gerichtete Aggressivität unseres heutigen Staates wirkt immer wieder verstörend. Man sehnt sich nach der „alten“ Bundesrepublik zurück, insbesondere der Zeit vor der Kulturrevolution von 1968, als der Staat noch geprägt war von bürgerlicher Vernunft und politischer Mäßigung – so erscheinen uns diese „guten Jahre“ der Bundesrepublik von 1949 bis 1967 zumindest im Rückblick.
Aber geht die Zerstörungswut unseres heutigen Staatswesens wirklich in erster Linie auf den Marsch linksgrüner Radikalinskis durch die Institutionen seit 1968 zurück? Oder war die 1968 einsetzende Wende vom zivilisierten, bürgerlichen Staatswesen zum wildwütigen, autoaggressiven Revoluzzerstaat nicht im Keim schon in der 50er Jahren angelegt? Hat es die „gute, alte“ Bundesrepublik von 1949 bis 1967 also nie wirklich gegeben?
Zwei geistige Strömungen der 50er- und frühen 60er-Jahre werfen aus heutiger Sicht schon früh einen Schatten auf die allgemein so gelobte Anfangszeit der Bundesrepublik: Ein irrlichternder, arroganter Modernismus, der jeglichem „Gestrigen“ den Kampf ansagte, und eine den Kollektivschuldtheorien der Westalliierten entlehnte Feindseligkeit gegenüber allem Deutschen.
1. Selbstzerstörung im Dienste der „Moderne“
Die 50er-Jahre waren keineswegs eine Epoche verstaubter Langeweile, wie uns seit 1968 gebetsmühlenhaft eingeredet wird, sondern im Gegenteil eine sowohl wirtschaftlich als auch kulturell höchst dynamische, faszinierend innovative Zeit. Sie waren allerdings, ähnlich wie die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, auch eine Zeit des Selbstzweifels und der Suche nach „Neuem“, das dem im Krieg vermeintlich gescheiteren „Alten“ entgegenzusetzen sei.
Diese Selbstzweifel mündeten oft genug in übersteigertem Selbsthass, gepaart mit modernistischer Zerstörungsfreude: Wertvolle mittelalterliche Häuser wurden abgerissen, um „modernen“ Betonbauten Platz zu machen, unberührte Natur galt als Sinnbild gestriger Deutschtümelei, der Rhein wurde begradigt, jahrhundertealte, baumbestandene Alleen abgeholzt. Auch auf geistiger Ebene begann dieselbe „Modernität“ zu wüten: „Moderne“ Pädagogik hielt Einzug an den Schulen, das Lernen von Gedichten, das Singen von Liedern, die Vermittlung der Klassiker wurden schrittweise abgeschafft, und in gesellschaftlich-kultureller Hinsicht bedeutete „Modernität“ in der Regel, die Westalliierten nachzuahmen: Deutsch zu sein, galt als „altmodisch“, Amerika war „in“. Wer sich einen lebendigen Eindruck der Spannungslagen dieser Zeit verschaffen möchte, findet in Walter Kempowskis „Herzlich willkommen!“ vermutlich den immer noch besten literarischen Augenzeugenbericht.
Die meisten dieser „Modernisierungen“ waren bereits in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Projekte einer abgehobenen, sich geistig überlegen wähnenden Elite: Architekten, die gewachsene Altstädte zerstörten, Pseudopädagogen, die die Schulbildung ruinierten. Das „einfache Volk“ stand diesen vielfältigen Vernichtungstätigkeiten irritiert und distanziert gegenüber, dennoch sah sich die Elite rechthaberisch dazu berufen, ihren Willen auf Biegen und Brechen durchzusetzen: Das „einfache Volk“, das den Abriss architektonisch wertvoller Altbauten missbilligte, galt als dumm, gestrig, Hitlerwähler allesamt, und war daher von oben herab durch den Neubau von 50er-Jahre Betonklötzen eines Besseren zu belehren.
Diese uns auch aus der Gegenwart überaus vertraute Arroganz der Elite gegenüber dem „einfachen Volk“ begegnet uns also schon in den 50er-Jahren. Die Bundesrepublik war nie ein Staat, in dem die Macht vom Volke ausging, sondern von Anfang an ein Staat, in dem die Machthaber das Volk mit Skepsis, Misstrauen und unverhohlener Feindseligkeit betrachteten.
2. Deutschfeindlichkeit und nach innen gerichteter Vernichtungswille als Folge der Kollektivschultheorien
Die Geschichte der westdeutschen Bundesrepublik begann zwar formell 1949, tatsächlich aber bildete dieser neue Staat nur eine scheinsouveräne Fortsetzung der alliierten Besatzungszeit. Das Jahr 1949 markierte also keinen Neuanfang, sondern nur eine im Sinne einer erweiterten Autonomie veränderte äußere Form eines bereits seit 1945 bestehenden politisch-militärischen Zustands. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die Ideologie der Besatzungsjahre, insbesondere die der plakativen Außensicht der Westalliierten entsprungenen Kollektivschuldtheorien, wenn auch in abgemilderter Form, in die Anfangsjahre des neuen Staates Bundesrepublik mit hineingetragen wurden.
Diese westlichen Kollektivschuldtheorien, wonach „die Deutschen“ allesamt und unterschiedslos schuld an Krieg und National-Sozialismus gewesen seien, zählten zugleich zu den markantesten Gegensätzen zum Ideologiegebäude der DDR: Dort wurden Krieg und Hitlerei gemäß Sowjetideologie als Systemfolge von Kapitalismus, Imperialismus und Militarismus, nicht aber als quasi genetische Veranlagung speziell der Deutschen gedeutet. Diese Interpretation der DDR, die im Dritten Reich in erster Linie einen Systemfehler sah, aber die Deutschen nicht in geistige Kollektivhaft nahm, fand 1989 mit der de facto-Übernahme des DDR-Territoriums durch die westalliierte Bundesrepublik ihr Ende.
Die feindselige Unversöhnlichkeit, mit der der westdeutsch geprägte Gesamtstaat den Deutschen in Ost und West seither gegenübertritt, lässt sich somit nahtlos bis in die alliierte Besatzungszeit und damit auch die Anfangsjahre der Bundesrepublik zurückverfolgen. Während die DDR mit den Deutschen als solchen keine Probleme hatte und ihre politische Aggressivität im Sinne der Sowjetideologie auf Systemgegner fokussierte, war die DNA der Bundesrepublik als Folgestaat der alliierten Besatzung schon immer stark antideutsch, gegen die Deutschen in ihrer bloßen Existenz als kulturelle und politische Gegebenheit auf der Welt, ausgerichtet.
Aus heutiger Sicht, insbesondere vor dem Hintergrund der durch den gesamten Staatsapparat mit rücksichtsloser Unerbittlichkeit durchgeprügelten Umvolkungspolitik, ist daher den Pessimisten aus den Anfangsjahren der Bundesrepublik zumindest teilweise recht zu geben: Bekanntlich wurde schon 1949 von vielen Zeitgenossen die Ansicht vertreten, der einzige Sinn und Zweck des neuen Staates Bundesrepublik sei es, die alliierten Kriegsziele, die sich trotz der Flächenbombardements reiner Zivilistenstädte wie Dresden und Würzburg nicht vollumfänglich hatten erreichen lassen, mit zivilen Methoden zu vollenden: Deutschland von der Landkarte zu tilgen und die verhassten Deutschen als angeblich erbschuldiges Tätervolk kollektiv einer idealerweise genozitären Zukunft preiszugeben.
Diesem ultimativen Fernziel ist der heute um das DDR-Territorium erweiterte Westalliiertenstaat Bundesrepublik in den vergangenen Jahren, insbesondere seit der Katastrophe von 2015, unzweifelhaft ein großes Stück näher gekommen.
(pi-news.net)