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Karikatur eines Generalstreiks

Die Tarifparteien sind Bewahrer überkommener Rituale, die kraftlos geworden sind

Von MANFRED ROUHS

Ein politisch motivierter Generalstreik ist in Deutschland rechtlich ausdrücklich unzulässig. Die Spitzen der Bahngewerkschaft EVG und des Gewerkschaftsriesen Verdi wissen das. Trotzdem lassen sie nichts unversucht, um eine Generalstreikstimmung zu erzeugen, die allerdings nicht wirklich zustande kommen will.

Denn ob nun Busse und Bahnen fahren oder auf allen Flughäfen gestartet und gelandet werden kann, interessiert die breite Masse der Berufstätigen nicht. Sie fahren Auto. Wer dagegen nicht berufstätig ist, kann seine Ausflüge verschieben auf Tage, an denen nicht gestreikt wird.

Der Reallohnverlust, gegen den jetzt angestreikt wird, ist ein Ergebnis des wirtschaftlichen Niedergangs Deutschlands. Er ist weder durch Gewerkschaftsaktivitäten verursacht worden, noch kann er durch sie beseitigt werden. Die Arbeitervertretungen laufen einer globalen Entwicklung hinterher, von der sie längst überrollt worden sind. Sie lehnen sich mit großen Gesten gegen ihren eigenen Bedeutungsverlust auf.

Die da jetzt streiken, das sind nicht die Geringverdiener. Piloten und Fluglosten verdienen 80.000 bis 90.000 Euro jährlich (außer bei Ryanair, aber die sitzen in Irland und streiken nicht mit). Selbst Zugbegleiter und Busfahrer kommen im Regelfall auf mehr als 30.000 Euro Jahreseinkommen. Ihre Wohnung, ihr gefüllter Kühlschrank und ihre Mobilität sind nicht in Gefahr.

Sie stehen nicht auf als Pauperisierte, für die es um das letzte Hemd geht, sondern als kleine Wohlstandsbürger, denen der Niedergang Deutschlands jedes Jahr ein Stück vom Kuchen wegschneidet.

Ihre Annahme, eine Gehaltserhöhung würde das Problem lösen, ist Ausdruck einer Naivität, ohne die alle Gewerkschaften ihren Laden dichtmachen könnten. Was sie wirklich herbeizustreiken versuchen, ist die nächste Inflationsrunde. Dem Globalisierungskapitalismus ist mit der Lohn-Preis-Spirale nicht beizukommen.

Georg Herwegh dichtete 1863: „Mann der Arbeit, aufgewacht! Erkenne deine Macht! Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.“

Eine solche Rhetorik ist im 21. Jahrhundert ungültig geworden. Den „Mann der Arbeit“ gibt es nicht mehr, denn jede Stellenanzeige richtet sich an männliche, weibliche und diverse Bewerber. Der „starke Arm“ des Mannes steht im Sexismusverdacht und hat jegliche Durchsetzungsfähigkeit verloren.

In unserer schönen neuen Zeit macht Streiken keinen Sinn mehr. Die Tarifparteien sind Bewahrer überkommener Rituale, die kraftlos geworden sind. Der männliche, weibliche und diverse Arm der Arbeit hängt schlaff herunter. Keine der Streikparteien kann das Rad der Geschichte zurückdrehen.
(pi-news.net)

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