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Zittau am Montagabend

Demokratie muss permanent verteidigt werden

Von Vera Lengsfeld

Seit der Europawahl, die ein deutliches Zeichen ist, dass die Wähler die Politik der Ampel satt haben, steht der politisch-mediale Komplex Kopf. Die „Analysen“ und Kommentare überschlagen sich, wie es zu dem Wahlergebnis kommen konnte. Neben den Jugendlichen, die auf permanenten Druck der Grünen und der linken SPD neuerdings ab 16 Jahren wählen durften und sich mehrheitlich für die AfD entschieden haben, werden vor allem die Ostdeutschen kritisch unter die Lupe genommen, weil sie die AfD zur stärksten Partei in allen neuen Bundesländern gemacht haben. Alle möglichen Ursachen werden von den „Experten“ genannt. Dass es aber in erster Linie auf die völlig absurde Politik der Ampel zurückzuführen ist, die Deutschland zu einem Abstiegskandidaten gemacht hat, wird verschwiegen.

Die Ostdeutschen sind keine Aliens, die im vereinten Deutschland nicht ankommen wollen, sondern Leute, die sich 1989/1990 die Demokratie erkämpft haben, die den Westdeutschen von den Westalliierten geschenkt wurde. Die ältere Generation hat die zweite deutsche Diktatur miterlebt und diese Prägung ihrem Nachwuchs mitgegeben. Das beinhaltet ein Sensorium, das die Gefährdungen, denen Demokratie ausgesetzt ist, eher und klarer erkennt als jene, die Demokratie als Selbstverständlichkeit erlebt haben, offensichtlich ohne das Gefühl zu entwickeln, dass sie permanent verteidigt werden muss.

Am Montag, dem 17. Juni, war ich auf Einladung des Bürgerbündnises grüner Ring Zittau Rednerin auf der Montagsdemonstration. Diese Demonstration gibt es seit der Coronazeit als Protest gegen die Corona-Politik. Sie wurde nach Beendigung der Corona-Maßnahmen fortgesetzt, weil sie sich inzwischen als ein Event der Gegenkultur etabliert hat. Die Teilnehmerzahl bleibt stabil um die 400 bis 500 Personen. Es findet zu Beginn ein Spaziergang um den Ring statt, während in der Gegenrichtung ein Autokorso dreimal den Ring umkreist. Mitgeführt werden von den Fußgängern vor allem Sachsen-Flaggen, während die Autos überwiegend mit Schwarz-Rot-Gold geschmückt sind. Auf dem Rathausplatz findet dann die Abschlusskundgebung statt.

Sie beginnt immer mit dem Lied „Die Gedanken sind frei“. Nach der Begrüßung und der Bekanntgabe der Teilnehmerzahl – das Bündnis hat sich dafür extra einen Zähler gekauft, weil die Polizei bei ihren Angaben die Zahl immer weit nach unten korrigiert hat – folgt eine Presseschau. Nach dem Hauptredner das Oberlausitz-Lied. Danach geht ein großer Teil der Demonstranten in die Schauburg, ein ehemaliges Kino, das heute vom Betreiber für kulturelle Veranstaltungen genutzt wird, um den Abend bei Bier und Bratwurst zu beschließen. Die Atmosphäre ist sehr familiär, was den Zusammenhalt stärkt. Übrigens waren die Gründer des Bündnisses zu DDR-Zeiten aktive Bürgerrechtler, die mit einer Umweltgruppe über die Luftverschmutzung und das Waldsterben in der Gegend informiert haben.

Als ich am anderen Morgen einen Spaziergang durch die Stadt machte, sah ich, dass der Friedlichen Revolution 1989 an mehreren Stellen durch Tafeln gedacht wird. Auf einem der ausgestellten Bilder entdeckte ich auf einem Foto Professor Peter Dierich, der mich eingeladen hatte, als Redner auf einer Kundgebung. Wer in der Friedlichen Revolution aktiv war, muss es jetzt wieder sein. Dierich hat sich einen Namen als früher Corona-Kritiker gemacht. In einem Interview mit der Sächsischen Zeitung hat er bereits am 14. Mai 2020 öffentlich Stellung zu den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie bezogen. „Der Shutdown [in der ersten Jahreshälfte 2020] war ein nicht entschuldbarer Fehler.“ Das leitete er aus einer statistischen Analyse ab. Zu diesem Interview publizierten mehrere Professoren am 7. Juni 2020 im Namen der Fakultät Mathematik der Technischen Universität Dresden eine Replik, in der sie falsche Annahmen und methodische Verfehlungen Dierichs behaupteten und nicht wissenschaftliche Standards kritisierten.

Im Sommer 2022 gab es dann eine Demo, in der Studenten einen Dialog zur Umbenennung des Peter-Dierich-Hauses Z IV forderten.

Dierich hat seine Auffassungen zur „Corona-Politik“ inzwischen in 100 Fakten-Sammlungen dargelegt und dabei umfangreiche Statistiken aufgearbeitet und kommentiert. Die Artikel über die Replik der Professoren und den Studentenprotest sind inzwischen abgerufen worden. Dierichs Corona-Info, abrufbar auf peterdierich.info, wird nach wie vor aktualisiert.

Abgesehen von der Montagsdemo ist Zittau unbedingt eine Reise wert. Es gehört mit Görlitz und Bautzen zu den drei Städten, die vom Zweiten Weltkrieg unberührt geblieben sind. Man kann hier erleben, wie schön die deutschen Städte gewesen sind. Anderswo kann man das nur aus den Überresten, die nach der Bombardierung wieder aufgebaut worden sind, erahnen. Zu DDR-Zeiten war Zittau von Braunkohletagebauen umzingelt. Selbst die Schmalspurbahn ins Zittauer Gebirge mit dem Sandsteinberg bei Oybin und dem Kloster sollte abgebaut werden. Dazu kam es zum Glück nicht mehr. Heute fährt die Bahn an den gefluteten Tagebauen entlang und vom Berg bietet sich ein wunderschöner Blick auf die von Seen umgebene Stadt. Bleibt nur zu hoffen, dass sich viele Zittauer, die nach dem Mauerfall in den Westen abgewandert sind, auf ihre schöne Heimat besinnen und zurückkehren.
(vera-lengsfeld.de)

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